Grüne Konservative

Der politische Konservatismus kommt von conservare, erhalten. Es ist paradox, dass Konservative so gar nichts erhalten, sondern Deutschland am nachhaltigsten verändert haben. Konrad Adenauer steht für Wiederaufbau und Marktwirtschaft, Westbindung, Wiederbewaffnung, Atomprogramm, Rentenreform und Anwerbeprogramm für Gastarbeiter. Er integrierte zentrifugale Kräfte in Partei und Regierung und nahm so Katholiken und Protestanten, West- und Süddeutsche, Vertriebene ebenso wie Alteingesessene mit auf den wilden Ritt in die Moderne. Aber die rasante „Amerikanisierung“ des Lebensgefühls wurde erst durch das gefühlte Versprechen ermöglicht, „der Alte“ werde schon dafür sorgen, dass der Kaffee in der Tasse bleibt. 

Angela Merkel ähnelt in ihrer schnörkellosen Sprache wie auch im fast zynischen Pragmatismus dem ersten Bundeskanzler. Wie er schöpft sie nüchtern Möglichkeiten aus und keinen Deut mehr; die Jammerei über verlorene Grundsätze hält sie für Zeitverschwendung. Aber anders als Adenauer fehlt ihr das Charisma, ein überwölbendes Lebensgefühl zu vermitteln. Dabei geht ihr die Unterstützung durch Gesellschaftsgruppen verloren, die konservativ fühlen. So hat Deutschland die Finanzkrise erstaunlich gut bewältigt. Aber man schreibt es dieser Regierung nicht gut, denn wenn Merkel handelt, dann erklärt sie es nicht. Sie greift aus in neue Wählerschichten, während Traditionswähler sich längst unbehaust fühlen.

Gemessen an der CDU, ist die stets an der Spitze des Fortschritts marschierende SPD viel konservativer – sie hat Ludwig Erhards Wirtschaftsliberalisierung ebenso bekämpft wie die strikte Westbindung und anfangs sogar die Wiedervereinigung. Von den sozialliberalen Koalitionen bleibt nicht viel außer der Ostpolitik und wachsender Staatsverschuldung. In Nordrhein-Westfalen wurde unter SPD-Ägide der Strukturwandel weg von der Montanindustrie blockiert, während das rückständige Agrarland Bayern sich industrialisierte, das erste Umweltministerium erfand und unter Gamsbarthüten die Superhirne für High Tech versammelte. Die SPD ist programmatisch hilflos und weiß selbst, dass mit mehr Sozialausgaben und Wohlfahrtsbürokratie die großen Probleme nicht zu lösen sind.

Das ist ein Grund, warum die Grünen anstelle von Union und SPD zur neuen Volkspartei heranwachsen. Sie sind die parlamentarische Vertretung moderner Milieus und Lebensstilgruppen; von den in Ehren ergrauten Anti-AKW-Zauseln und den neuen Solarmodulmonteuren, Vegetariern, Veganern und Bio-Protagonisten, türkischen Fußballvereinen, Emanzipationsbewegten und Fahrradclubs. Sie eint ein unbestimmtes, irgendwie modernes Lebensgefühl, die Angst vor dem Klimawandel und das Engagement für einen besseren Planeten.

So ist eine rastlose Bewegung entstanden, die rasenden Stillstand erzeugt: Die Globalisierung soll ausgesperrt werden, weil sie die Wohngemeinschaftsgemütlichkeit der Siebzigerjahre gefährdet. Multikulti haben alle lieb; das Glück wird in autonomen Dörfern mit Biogasanlage gesucht; großindustrielle Strukturen dagegen sind ebenso schrecklich wie neue Technik, sobald sie Realität wird. Boris Palmer, der Südwest-Grüne, hat es im Kampf um den Bahnhof Stuttgart 21 formuliert: Braucht man wirklich schnelle Züge, und wäre es nicht besser, alles bliebe, wie es ist?

So ist ein anti-moderner, grünlackierter Konservatismus der gehobenen Bürger entstanden. Diesmal steht er wortreich für seinen Wortsinn: Stillstand und die Sehnsucht nach Beständigkeit. Kein gutes Zeichen für Deutschland.

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