Der Grexit, der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, ist tabu. Dabei ist ökonomisch die Lage klar: Was für die deutsche Wirtschaft gut ist, schadet in einer gemeinsamen Währungsunion Griechenland, und umgekehrt. Zu unterschiedlich ist die wirtschaftliche Ausgangslage. Das war bei Gründung des Euros auch klar. Allerdings hoffte man auf eine schnelle Anpassung – natürlich in dem Sinne, das Griechenland auf Deutschlands Leistungsniveau hochschnellt wie ein Hochspringer. Eine Illusion.
Jetzt fordert einer der wichtigsten Berater von Griechen-Regierungschef Alexis Tsipras (41) den schnellen Ausstieg seines Landes aus dem Euro („Grexit“): Costas Lapavitsas (54), Abgeordneter im griechischen Parlament für das regierende Linksbündnis „Syriza“. Im Interview schockiert er mit der Forderung nach einem kompletten Schuldenerlass für sein Land. Das sei die Voraussetzung für den „Grexit“, meint der Professor für Ökonomie an der Universität London, Wirtschafts-Kolumnist beim angesehenen britischen „Guardian“. Dabei haben wir das auf dieser Site bereits mehrfach beschrieben – und ergänzen das mit den Analysen von Lapavitsas.
1. So funktionieren Austritt und Umstellung
Griechenland fordert einen Schuldenschnitt. Dass darüber Einigung erzielt wird, ist wichtig – mit einer einseitigen Kündigung der Verpflichtungen würde es internationale Abkommen im Dutzend brechen. Griechenland könnte aber einvernehmlich aus der Euro-Zone austreten. Dann könnte die Griechische Nationalbank griechische Staatsanleihen aufkaufen und der Regierung dafür säckeweise Drachmen zur Verfügung stellen, mit denen dann etwa höhere Beamtengehälter bezahlt, mehr Mitarbeiter im öffentlichen Dienst eingestellt oder Renten, Arbeitslosenunterstützung und ähnliche schöne Dinge finanziert würden.
Technisch ginge das wohl so vor sich, dass sämtliche Euro-Guthaben von Bürgern und Unternehmen auf Bankkonten etwa 1:1 auf Drachme umgestellt würden.
Allerdings tritt hier bereits das erste, große Problem auf: In welcher Währung lauten die Schulden? “Griechische Inlandsschulden” würde auch in Drachmen umgestellt; Zahlungsverpflichtung an das Ausland aber blieben in der jeweiligen Währung wie Euro oder Dollar bestehen. Lapavitsas: „Griechenland kann aus dem Euro austreten und sollte aber trotzdem unbedingt Mitglied der EU bleiben. Natürlich wird es eine Phase der Anpassung, eine Phase mit zwei Währungen und zwei Preisen geben – die lokale Währung und den Euro. Aber nach und nach wird die neue Währung dominieren, wenn der Staat in dieser Währung Steuern erhebt und bezahlt. “Das zweite Problem ist, dass die Bürger vermutlich ihre Euros abheben und horten würden.“
Zwar könnte man versuchen, den Besitz von Euros in Form von Geldscheinen zu verbieten, auftauchende Geldbestände zu beschlagnahmen und ebenso in Drachmen umtauschen. Aber die griechischen Bürger würden dann in die Nachbarländer reisen und dort ihre wertvollen Euros verstecken. Eine riesige Kapitalflucht wäre die Folge; faktisch hat sie schon begonnen. Mit jedem Tag nach dem Wahlsieg der Linken wurde Kapital ins Ausland gebracht.
Nun könnte man an den Grenzen Kapitalverkehrskontrollen einführen, also verbieten, Geld ins Ausland zu bringen. Der griechische Experte: „Die Eurozone war ein historischer Fehler. Entgegen der weit verbreiteten Meinung hat die Eurozone – mit Ausnahme vielleicht der Beschäftigungszahlen – der deutschen Bevölkerung keine Vorteile gebracht. Eure Einkommen, eure Reallöhne und eure Arbeitsbedingungen sind 15 Jahre lang gleich schlecht geblieben.
Wenn die Eurozone also ein Fehler war, dann müssen wir danach fragen, was das für schwächere Länder bedeutet. Und für Griechenland bedeutet das logischerweise den Austritt nach fünf Jahren Tortur. Außerdem haben wir gesehen, dass es unmöglich war, die Politik in der Eurozone anzugleichen. Deshalb ist für mich der beste Weg ein Austritt aus der Eurozone. Das muss allerdings im Konsens mit der EU und geordnet erfolgen. Keine Turbulenzen, kein Kampf, kein Blut auf dem Teppich.“
2. Was geschieht mit Garantien und Krediten?
Es gibt kaum mehr Versicherungen oder Banken, die griechische Staatsanleihen im Portfolio halten. Diese liegen fast ausschließlich bei der EZB, dem IWF und anderen öffentlichen Händen. Insgesamt 380 Milliarden hat Griechenland an Hilfen, Subventionen und Krediten erhalten, davon ungefähr ein Viertel aus Deutschland. Deutschland müsste also ungefähr 80 Milliarden griechische Schulden abschreiben; das Niveau der Bundesschulden würde sich um diesen Betrag erhöhen.
Das klingt fürchterlich, ist aber nur der buchhalterische Nachholeffekt der Realität. Dass Griechenland irgendwann seine Schulden bezahlt, ist ohnehin nicht zu erwarten, mit und ohne Drachme. Die Regierung Merkel müsste allerdings so die bisherigen Kosten der Euro-Rettung offenlegen; Wolfgang Schäubles Schwarze Null wäre schon tiefrot, kaum dass sie erreicht wurde.
Das wird jede Regierung zu vermeiden suchen. Übrigens: Deutschland könnte das wegstecken. Aber die 40 Milliarden, mit denen Italien gerade steht, ist für Rom ein größeres Problem. Aber ein Schuldenschnitt wäre Voraussetzung für einen einvernehmlichen Grexit. Schuldenfrei könnte Griechenland neu starten. Das ist für die wirtschaftliche Erholung wichtig.
3. Der Absturz der Drachme – tief, aber gebremst
Für Importe müssten nach dem Austritt Drachmen in Euro, Dollar oder eine andere international gehandelte Währung eingetauscht werden. Angesichts der Risiken in Griechenland würde der Drachmen-Kurs drastisch abstürzen; sich vielleicht im ersten Go dritteln. Ein Exporteur, der für 10.000 € Autoteile nach Griechenland liefern soll, würde beispielsweise dafür 30.000 Drachmen verlangen.
Die Folge wäre eine brutale Verteuerung aller importierten Güter in Griechenland; in dem Beispiel die Verdreifachung. Vielleicht auch eine Verfünffachung? Das ist schwer zu prognostizieren. Für die normale griechische Bevölkerung jedenfalls würden Importgüter unerträglich teuer – das Land würde auf sich selbst zurückgeworfen, auf seine tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im internationalen Vergleich. Die abgewertete, oder billige Drachme hätte aber auch andere Wirkungen. Urlaub in Griechenland wird zum Schnäppchen, Griechenland ein Ferienparadies. Grundstücke, Ferienhäuser – alles wäre zum Sonderpreis verfügbar.
„Der Preis des Austritts ist ein Schuldenschnitt“, sagt Lapavitsas. „Der ist unabdingbar für unser Land. Und damit der Austritt in geordneten Bahnen verläuft, muss die EZB den Wechselkurs und die griechischen Banken stützen. Die Kosten dafür sind zu vernachlässigen.“ Mit anderen Worten: Einmal noch für Griechenland bluten. Allerdings sollte genau diese Forderung zurückgewiesen werden. Denn dann würde Europa wieder die Verantwortung für Griechenland übernehmen. Eine Verlagerung der Verantwortung auf Europa wäre wieder möglich. Es ist offensichtlich, dass mit diesem letzten Vorschlag Lapavitsas weiter die Hand in deutschen Kassen drinhaben will.
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