Generation Landlust

Es ist wieder schick, über das Feld zu stapfen, in grünen, feuchten Gummistiefeln, an denen Lehm und Erde kleben – Hauptsache, es ist die eigene Scholle, die da brockenweise mitmarschiert.

Wer sich keinen eigenen Forst oder Acker leisten kann, der träumt davon – ein ganzes Segment neuer Zeitschriften schwelgt in Bildern vom erdverbundenen, ehrlichen Leben auf dem Lande. Internet-Versender bieten poppige Designer-Hühnerställe und grelle Bienenstöcke für Vorgarten und Balkon an. Und wenn erst die Frühlingssonne lockt, dann stauen sich die Käufer in den Gartensupermärkten für den Kauf der Wegwerfhybridstaude und Einmal-Bäumchen. Es ist der Traum von der Autarkie, der Selbstversorgung: Wer Holz vor und einen Herd in der Hütte hat, fühlt sich der Fragilität der globalen Energiesysteme, den Ölscheichs und den Gaslieferungen durch Schurkenstaaten weniger stark ausgeliefert. Land gilt als Inflationsschutz. Die jüngsten Lebensmittelskandale befeuern den Wunsch nach dem reinen Ei und dem sauberen Ferkel aus dem eigenen Stall oder eigenen Tomaten vom Balkon.

Der romantisch verklärte Blick auf Wald und Scholle kollidiert spätestens hier mit der wirtschaftlichen Realität der deutschen Landwirtschaft. Die frühere bäuerliche Kultur, das langsamere Beobachten von Werden und Wachsen im ewigen Lauf der Jahreszeiten, steht längst unter einem brutalen Modernisierungsdruck. Selbst kleinere Höfe sind heute komplett durchorganisiert und stehen einem Industriebetrieb in nichts mehr nach: Hochtechnisiert, durchrationalisiert, arbeitsteilig und kapitalintensiv operieren sie; der moderne Bauer verkauft seine Ernte längst und ganz selbstverständlich auf Terminbörsen, mithin an Spekulanten, die sonst von der deutschen Allgemeinbevölkerung so gefürchtet werden. Raum für Romantik, Selbstverwirklichung oder gar für Experimente mit Acker und Vieh lassen der brutale Kostendruck und die niedrigen Preise nicht zu.

Gerade in den vergangenen Jahren konnten wieder einige ökologische Nischen, brachliegende Felder und ungedüngte Wiesen erblühen, entwickelte sich so mancher Biolandbau – weil die auf Maximierung der produzierten Menge an Milch, Fleisch und Wein ausgerichtete Subventionierung durch die Europäische Union zurückgefahren wurde.

Doch diese Nischen geraten jetzt in Gefahr: Statt auf den Teller wandern die landwirtschaftlichen Produkte mit massiver staatlicher Unterstützung in den Tank, in Biogasanlagen oder in Brennöfen. Schon klagen Bierbrauer, dass Felder statt für den benötigten Hopfen für den Anbau der neuen Energiepflanzen genutzt werden und dass Holz aus den neuen Pappelplantagen nicht der Herstellung von Möbeln dient, sondern in Sprit verwandelt wird. Die neue Nachfrage der Benzinraffinerien und Pelletproduzenten verstärkt einen weltweiten Trend: Nicht mehr aus Dienstleistung und Industrie kommt das Wirtschaftswachstum – sondern aus dem Agribusiness, auch und gerade in der gemäßigten Klimazone, in der Deutschland liegt. Es klingt wie Hohn: Gerade erst haben wir auf Berater und Banker umgeschult – jetzt sollen wir wieder Bauer werden. Gründe dafür gibt es durchaus: Die wachsende und wohlhabendere Weltbevölkerung wird 40 Prozent mehr Nahrungsmittel brauchen und 30 Prozent mehr Trinkwasser zu deren Produktion, schätzt eine Expertenkommission der britischen Regierung in einer Studie. Gleichzeitig schrumpft die landwirtschaftliche Nutzfläche, vor allem in Ländern mit wachsender Bevölkerung und industriellem Nachholbedarf. Seit einigen Jahren gelten Agrarprodukte als eigene Anlageklasse neben Wertpapieren und Industrierohstoffen. Seither bemächtigen sich die Finanzmärkte der eher geruhsamen, konservativ vor sich hin dümpelnden Agrarmärkte. Anstelle des hier so geschätzten Bioapfels tritt weltweit die Gentechnologie ihren Siegeszug an.

Mit der neuen deutschen Landlust hat das wenig zu tun: Die wirtschaftliche Realität hebelt Romantik und Ökologie aus.

(Erschienen auf Wiwo.de am 29.01.2011)

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