Darf man in Glaubensdingen über Geld reden?
Man muss – immerhin sind die katholische und evangelische in Deutschland die reichsten Kirchen der Welt: 9,5 Milliarden Euro in Form von Staatszuschüssen und Steuereinnahmen klingeln im Kasten. Obwohl die Mitgliederzahl pro Jahr um ein Prozent sinkt, blieben die Einnahmen dank steigender Einkommen konstant. Doch so kapitalstark die Kirchen sind, so glaubensschwach erscheinen sie, wie leere Kirchen und überalterte, mutlose Gemeinden zeigen – das Feuer des Glaubens erlischt.
Da werden neue, dröhnende Orgeln gekauft – aber die Lieder der Gemeinden sind leise. Geld oder Glaube: Ist unser Wohlstand glaubensfeindlich, tötet Reichtum die Hoffnung auf ein besseres Jenseits? Die – aus deutscher Sicht übereifrige – Religiosität in den USA zeigt, dass dies nicht gilt. Religion ist nicht auf dem Rückzug; die Zahl der Christen in Asien, in Südamerika steigt, und in Russland erlebt die Kirche eine Renaissance. Und außerhalb der Amtskirchen suchen auch viele Deutsche nach Sinn und Glauben. Freikirchen erleben Zulauf. Mit inbrünstigem Eifer folgen Deutsche esoterischen Wunderheilern, von der Bachblütentherapie bis zum Buddhismus. Wenn der Dalai Lama ruft, pilgern 20 000 Deutsche in rot-orangen Kutten dahin, wo sie sein Wort hören. Nicht nur in Köln beginnen Moscheen mit dem Dom in Größe und Glanz zu konkurrieren; selbst nahe dem früheren „deutschen Rom“, der Jesuitenhochburg Dillingen an der Donau, ruft der Muezzin zum Gebet in die neu gebaute Moschee. Dagegen wirken die scheinbar mächtigen christlichen Großkirchen mit ihren Zigtausenden Kirchengebäuden, Ämtern, Apparaten, ihren Pöstchen und Räten und Lehrstühlen wie riesige steinerne, aber seelenlose Gehäuse, betrieben von einem Heer festbesoldeter Religionsbeamter. Es sind riesige Sozialkonzerne entstanden, in denen wertvolle Arbeit geleistet wird. Aber hat das mehr mit Glauben oder Geld zu tun (siehe Seite 112)? Oder macht zu viel Einfluss und zu viel Geld glaubensmüde? In den Religionsbürokratien wird der Mensch als Steuernummer verwaltet. Das Unvorhergesehene, das Spontane, des Lebendige, das Göttliche eben, stört beim Zählen irdischer Reichtümer. Zwar zanken sich die evangelische und katholische Kirche seit Luther unversöhnlich um Marias Jungfräulichkeit – aber sie sind im Auftritt identisch: graue Religionsverwaltungsbürokratien. Letztlich verhalten sie sich ökonomisch sogar rational: Geld kommt nicht von den Gläubigen, sondern vom Finanzamt. Angeboten wird ein Einheitsprodukt. Dass der gesellschaftliche Trend zur Individualität andere, differenzierende Zugänge erfordert, wird missachtet und dem ärgerlicherweise wachsenden Wettbewerb mit Wettbewerbsverbot begegnet: Die großen Kirchen haben sich ein Quasimonopol in den Finanzierungsformen geschaffen, das sie gegen neue Mitbewerber, meist als „Sekte“ diffamiert, erbittert verteidigen. Bemerkenswerterweise war es Joseph Ratzinger, der deutsche Papst, der immer wieder vor diesem entspiritualisierten Staatskirchentum gewarnt hat. Aber gegen die deutschen Filialleiter konnte sich die römische Zentrale nicht durchsetzen – Gott Mammon regiert.
Ohne Gefolge und Botschaft fühlen sich die Bischöfe geschmeichelt, wenn wenigstens der Staat sie benutzt: In der Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ dürfen drei Glaubensfürsten unter Federführung des Kirchenreferats im Bundeskanzleramt einem Industriemann erläutern, wie die Bundeskanzlerin sich die wichtige industriepolitische Weichenstellung, die „Energiewende“, wünscht. Statt dem Atem Gottes zu lauschen, verhandeln sie über Windräder.
Besser wäre eine Fokussierung aufs Kerngeschäft, aber das stört nur; reden ist einfacher als zuhören.
Denn Kirche ist eben auch nur menschlich. Da ist es wohl angenehmer, sich im Staatsauftrag vor Kameras wichtigtuerisch zu blähen, statt vor leeren Bänken zu predigen und die verbliebenen Gläubigen vom Wort Gottes zu überzeugen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 16.04.2011)
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