Geiz ist ja schon eine ganze Weile geil in Deutschland; jetzt droht die Geizgeilheit zum Dauerzustand zu werden. Alles wird heute billiger und morgen noch billiger. Was Marketingstrategen bisher in immer neue Werbeslogans fassen mussten, geht jetzt fast automatisch, quasi naturgesetzlich vonstatten: Alles muss raus, alles wird billiger. Deflation nennen Ökonomen so einen Preisverfall quer durch den Warenkorb. Benzin und Diesel binnen Jahresfrist im Preis halbiert; Weizen um ein Drittel billiger, Kupfer, Blei, minus zwei Drittel. Es geht immer schneller und schlägt auf immer neue Produkte in der Wertschöpfungskette durch. Wer hat noch was, was muss noch raus? Die Inflationsrate ist mit 1,4 Prozent auf ein Zweijahrestief gesunken. Noch hoffen manche, dass ihre eigentliche Wucht beim Endkunden nicht ankommt. Und auch die Bundesregierung vertraut auf die ruhige Hand.
Aber wer heute einen Wintermantel kauft, ist leichtsinnig – ich wette mit Ihnen, dass sich die Preise bis Weihnachten halbieren werden. Schon in diesen vorweihnachtlichen Tagen, an denen im Einzelhandel die Kassen heftig klingeln müssten, werden mehr Artikel im vorgezogenen Winterschlussverkauf verramscht, als sich Schneeflocken vom Himmel herabverirren. Für Verbraucher öffnet sich das Tor zum Preis-Paradies – wären da nicht ein paar unangenehme Risiken und Nebenwirkungen: Noch im Sommer fuhr man ein dickes Auto, aber Volltanken wurde fast unerschwinglich. Jetzt könnte man preiswert tanken. Leider haben manche ihr Auto bereits abgemeldet.
Deflation ist aber nicht nur eine Art Inflation mit umgekehrten Vorzeichen. Inflation überhitzt – einer Wirtschaft in der Deflationsfalle droht der Kältetod. Denn nicht wirtschaftliche Tätigkeit und Investitionen werden belohnt, sondern das Abwarten. Wer verschiebt, gewinnt – beim Wintermantel wie bei Investitionsvorhaben, deren Kalkulationsbasis zusammenbricht, wenn Preise nur noch fallen. Deshalb bunkern Banken, Unternehmen und Haushalte Geld: Morgen ist es mehr wert. Cash ist King, schon Geld unterm Kopfkissen eine rentable Anlage. Wer aber mit Geld und Kapital arbeitet, ist der Dumme und vernichtet Kapital.
Dagegen ist die Geldpolitik machtlos – sie kann zwar die Zinsen senken, aber sie verliert dennoch den Wettlauf gegen die steigende Kaufkraft des zurückgelegten Kapitals. Eine zunehmende Liquiditätspräferenz oder wachsende Liebe zum Baren lässt sich seit Monaten beobachten, die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes stockt. In den USA kostet Geld von der Zentralbank nur noch ein Prozent Zinsen; ein Zinssatz von weniger als null muss erst noch erfunden werden. Für Investitionskapital steigen dagegen die Zinsen – selbst die Industrieriesen in Deutschland müssen sie zahlen. Viele Mittelständler kriegen hingegen gar nichts mehr. Der öffentliche Aufschrei bleibt nur deshalb aus, weil niemand zugeben darf, dass er keinen Kredit hat: Das wäre der wirtschaftliche Selbstmord.
Gekniffen sind Produzenten und Schuldner: Produzenten, weil die Löhne nicht sinken können und weil sie trotz sinkender Preise für Rohstoffe und Vorprodukte irgendwann in die roten Zahlen rutschen. Und Schuldner kommen in die Bredouille, weil ihre Schuldenlast immer drückender wird, die finanzierte Anlage oder Immobilie aber gleichzeitig immer mehr an Wert verliert. Im Schritt zwo kündigen dann Banken Kredite oder Hypotheken. Deflation lähmt und ist schwer zu bekämpfen; Japan hat ein Jahrzehnt darüber verloren.
Währenddessen ist die Bundesregierung stolz darauf, dass sie unsere Steuergelder unter dem Kopf‧kissen ruhen lässt. Dabei wäre es viel wichtiger, jetzt die Steuern zu senken, damit die monetäre Lähmung nicht weiter um sich greift. Geiz ist nicht wirklich geil.
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