Krise ist, wenn Madame Leysen ihrem Gatten Butterbrote in die Aktentasche packt. So rüstete sich André Leysen, einer der großen Nachkriegsunternehmer und Manager in Belgien und Deutschland (Agfa, Philips, BMW, Telekom, Treuhand, Holzmann), einst für Betriebsschließungen und die Geiselnahme durch aufgebrachte Arbeiter. In Frankreich ist jetzt wieder die Zeit der Butterbrote in der Tupperware für Manager angebrochen; eine Mehrheit der Bevölkerung dort findet Geiselnahme und Aushungern von Managern in Ordnung. In Deutschland versuchen die Linke und die Möchte-so-gerne-Bundespräsidentin Gesine Schwan, Massenproteste herbeizureden.
Unklar ist allerdings, wogegen denn eigentlich protestiert werden soll. Gegen die Bundesregierung? Am Schlamassel der Finanzkrise ist sie wirklich unschuldig und hat sogar in der Krise ganz ordentlich regiert. Gegen die ausbeuterischen Unternehmer? Gibt auch wenig Sinn, denn Daimler-Zetsche und BMW-Reithofer würden ja gerne mehr Autos verkaufen, wenn es nur irgendwie ginge. Auch die Belegschaften ließen sich gerne ganz ohne Kurzarbeit jeden Tag ein wenig länger ausbeuten, wenn nur die Bänder liefen. Zudem treten heute die Betriebs- und Aufsichtsräte der IG Metall so geschniegelt, gewandet und gewandt auf, dass gelegentlich die Vertreter der Kapitalseite underdressed und undereducated wirken. Der Zorn auf Banken und Großunternehmen und die blanke Not ist bei manchem Mittelständler größer als bei sozial gepamperten Angestellten. Die Zeche der Finanzkrise zahlen bislang eher die höheren Einkommensschichten in Form von Vermögenseinbußen, ausradierter, weil privat finanzierter Altersvorsorge und lädierten Aktiendepots. Und die langfristig Betroffenen der Finanzkrise können noch gar nicht so richtig demonstrieren – die heutigen Kinder, die als Erwachsene die Last der gigantischen Konjunkturprogramme und Staatsverschuldung schultern müssen.
Die klare Kante des Klassenkampfs zerfasert, die Klischees wirken ungewollt
komisch. Trotzdem wächst eine Art „ Erklärungs-Notstand “, wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück feststellt. Es ist ja wirklich schwer, zu verdauen, dass wir millionenweise und mit schmerzhaften Sozialkürzungen den Staatshaushalt gerade so sanieren und jetzt die kleinste Recheneinheit für Banken-Notprogramme die Milliarde ist. Aber offensichtlich haben die paar leeren Drohungen von links die große Koalition so verunsichert, dass jetzt die vernünftigen und notwendigen Maßnahmen zur Sanierung Deutschlands zurückgedreht werden. Wie eine Art kollektive Zwangsmedikamentation mit Valium wirkt, dass derzeit gigantische Sozialprogramme auf die Reste-Rampe der Legislaturperiode geschoben werden – Programme, deren langfristige Schädlichkeit erwiesen ist und die noch schwerer rückholbar sind als das verlorene Vertrauen in die Banken: Teure Frührente und Altersteilzeit, Mindestlöhne, Rücknahme der Hartz-Reformen – das Scheunentor zum alimentierenden Sozialstaat, der eigentlich schon seit den Siebzigerjahren leergeräumt ist, wird wieder weit aufgestoßen.
Sicher, die Renten sind weder üppig noch ein Staatsgeschenk. Aber dass Bundessozialminister Olaf Scholz es kategorisch ausschließt, dass die Renten sinken, wenn auch die Löhne sinken – das ist Opportunismus pur und zerstört den Sozialstaat: Denn ausgeben kann man nur, was vorher verdient und erwirtschaftet wurde. Es wird Zeit, wieder darauf hinzuweisen, dass der Sozialstaat nicht mit göttlichem Manna, sondern von irdischer Arbeit finanziert wird.
Der Wahlkampf hat begonnen, das temporäre Ende der wirtschaftlichen Vernunft ist somit eingeläutet. Und in dieser Phase packen Politiker nicht gerne das Notfall-Butterbrot ein – lieber geben sie den Sugardaddy.
(Erschienen am 02.05.2009 auf Wiwo.de)
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