Deutschland lobt sich ja gerne selbst für die Energiewende und feiert sich als Vorbild für die Welt. Schade nur, dass niemand dabei mitmacht – und statt Anerkennung machen sich eher Spott und Kritik breit. Und das ausgerechnet in Frankreich!
Vor den Sommerferien hat die Nationalversammlung noch schnell ein Gesetz über die nationale Energiewende beschlossen. Demnach soll der Ausstoß von Treibhausgasen deutlich sinken und mehr Strom aus erneuerbaren Quellen produziert werden.
Nach der Wende 50 Prozent Atomstrom
Besonders umstritten war das Ziel der sozialistischen Regierung, den Anteil des Atomstroms in zehn Jahren, von heute etwa 75 Prozent auf 50 Prozent zu senken. Aber während viele deutsche Kommentatoren darüber jubeln: Deutschland wird im selben Zeitraum seinen Atomstrom von rund 25 % Anteil (vor der Energiewende) auf dann Null Prozent abgesenkt haben.
Frankreich bleibt also Atomstrom-Land. In Frankreich wird momentan in 58 Reaktoren an 19 Standorten Atomstrom produziert. Da französische Haushalte rund ein Viertel mehr Strom verbrauchen sollen als deutsche, soll ein großer Teil der französischen Energiewende über Einsparungen erfolgen und die CO2-Bilanz durch Atomstrom günstig gehalten werden.
Hauptziel ist daher nicht die Abschaltung der Reaktoren: Bis 2050 will Frankreich vielmehr 75 Prozent weniger CO2 ausstoßen als 1990. Schon 2030 sollen 40 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen. Zudem sollen der Energieverbrauch und die Nutzung fossiler Energieträger deutlich zurückgefahren werden. Damit unterscheidet sich die Energiepolitik weiterhin diametral: In Frankreich geht es um die Reduzierung von CO2; in Deutschland wird für den Atomausstieg ein schnell steigender CO2-Anstieg in Kauf genommen.
Deutschland klebt an der Kohle
Eine Annäherung ist nicht in Sicht. „Deutschland bleibt an der Kohle kleben“, titelt beispielsweise die Regionalzeitung „Le Républicain Lorrain“ aus Metz über die braune Energiewende hin zur Braunkohle. Und das journalistisch sehr engagierte Blatt rechnet ein paar Weisheiten vor, die in der deutschen Energiedebatte gerne unter den Teppich gekehrt werden: Das Ziel, den CO2-Ausstoß zu bremsen, verfehle Deutschland meilenweit wegen seiner Braunkohlekraftwerke, die in die Atomstromlücke einspringen. 10 der 30 schmutzigsten Kohlenmeiler Europas stehen in Deutschland – kein gutes Zeichen für ein Land, das gerne weltweit die Sauberfrau in Sachen Umwelt gibt.
Und am Beispiel der Windräder von RWE macht der Républicain eine Rechnung auf, die in Deutschland notorisch verschwiegen wird: Nur ein Viertel der rechnerisch möglichen Stromerzeugung wird tatsächlich per Windkraft hergestellt – ansonsten herrscht Flaute – oder mittlerweile überalterte Windmühlen holpern ineffizient vor sich hin. Deutschland ist eben in der Technik erneuerbarer Energiegewinnung nicht mehr führend – die verfettete grüne Industrie, gepäppelt mit Eigenkapitalrenditen von 25 %, wie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig im SPIEGEL kürzlich eingestanden hat, orientiert sich nicht am Stand der Technik, sondern optimiert nur die Grünstromsubvention. „Ein Windpark auf der Insel Fehmarn bringt Renditen, für die ich Herrn Ackermann von der Deutschen Bank wüst gescholten hätte“, sagte Albig dem SPIEGEL. „Heute wissen wir, dass wir den erneuerbaren Energien auch mit weniger Geld zum Durchbruch verholfen hätten.“
Dem Républicain geht es aber um mehr als um die aus seiner Sicht miserable Ökobilanz der Energiewende: Weil auch noch abgasarme Gaskraftwerke stillgelegt werden, sei die Energiewende „alles andere als grün“.
Nun liegt im weiteren Verbreitungsgebiet des Républicain auch das Atomkraftwerk Fessenheim, das älteste Atomkraftwerk Frankreichs. Es ist seit 1977 in Betrieb. Seine Schließung ist im Gesetz nicht festgeschrieben. Allerdings hat Präsident Hollande das Aus für die Anlage bis Ende 2016 angekündigt, auch weil es deutsche Atomkraftgegner auf die Barrikaden treibt – vergleichsweise sichere deutsche Atommeiler statt des notorisch störanfälligen Fessenheim sind längst geschlossen.
Jetzt dreht der Républicain den Spieß um: Das neue Braunkohlekraftwerk Neurath mit insgesamt 2.200 Megawatt Leistung sei größer als Fessenheim mit seinen zwei Reaktorblöcken, die je 900 MW leisten – und der Dreck von Neurath, schädliche Nanopartikel und was sonst noch so aus den Kaminen daherkomme, regne über Frankreich ab. Und dabeim in Deutschland fresse der Braunkohletagebau eine Landfläche weg, die etwa 2/3 des Nachbarn Luxemburg umfasse.
So grün also sind die Deutschen nicht – sondern aus französischer Sicht eher die Dreckferkel Europas.
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