Was schafft Inflation? Wie wird die Währung weich? Die Europäische Zentralbank sucht nach neuen Wunderwaffen für den Euro-Sieg.
Die neueste Zauberformel des Geldmagiers Mario Draghi heißt „negativer Zinssatz“. Vereinfacht: Wer zukünftig Geld spart oder anlegt, wird nicht mehr mit Zinsen belohnt, sondern mit einer Strafgebühr, dem negativen Zinssatz, abkassiert. Bei solchem Teufelswerk braucht man schon einen starken Zaubertrank, der die Menschen zum Mitmachen verführt. Denn freiwillig trägt niemand sein Erspartes zur Bank, damit es dort weniger wird. Deshalb schwören Draghi und seine Geldzauberer aus der Europäischen Zentralbank (EZB) seit Monaten die Fachwelt auf einen raffinierteren Plan ein, der voraussichtlich auf der nächsten Sitzung des Zentralbankrats am 5. Juni – passend nach der Europawahl – vorgestellt wird.
Dann wird voraussichtlich der Leitzins von derzeit 0,25 Prozent auf 0,1 Prozent gesenkt. Dann rutschen die Zinsen; für Sparbuch oder Tagesgeld gibt’s dann auch nur nochwenige Cent knapp über der Nulllinie – noch kein Nullzinssatz, aber auch kein Anreiz mehr zum Sparen. Der harte Negativzinssatz ist für jene 100 Milliarden vorgesehen, die die Banken bei der EZB parken, weil sie vorübergehend dafür keine Abnehmer finden. Dafür könnte dann eine Strafgebühr von 0,1 Prozent kassiert werden. Offiziell wird das damit begründet, dass die Banken ja schließlich Kredite an die Wirtschaft vergebensollten, statt völlig risikolos Geld bei der EZB anzulegen.
Die geheime Hoffnung der EZB-Geldkünstler ist aber eine andere – die Banken sollen stattdessen etwa italienische Staatsanleihen kaufen oder ihr Geld in New York, Südamerika oder sonstwo anlegen. Wenn sie Staatsanleihen der südeuropäischen Pleitestaaten kaufen, helfen sie deren Regierungen, die ständig weiter wachsende Staatsverschuldung zu finanzieren. Ebenso chic ist es, wenn sie Euro in Dollar oder Real tauschen: Das drückt den Wechselkurs des Euro, und das wünschen sich die Wirtschaftspolitiker in ganz Europa. Denn ein niedriger Euro-Kurs verbilligt Exporte und verteuert Importe. Das stützt die europäische Exportwirtschaft – und importiert Inflation, wenn Rohstoffe, Energie und Konsumgüter bezahlt werden müssen.
Und genau darauf will Draghi hinaus: Nichts fürchtet er so sehr wie stabile Preise. Die EZB hat eine zweiprozentige Geldentwertung als Normalfall definiert; derzeit schrumpft die Kaufkraft des Geldes in Deutschland aber nur um 1,3 Prozent. Die Preise steigen derzeit nur bei Immobilien; hier bläht sich eine gewaltige Immoblase auf. Stabile Preise sind der Feind der Finanzminister, die ihren gewaltigen Schuldeneisberg vor sich herschieben: Ein kräftiger Schuss Inflation, und der Gegenwert der Staatsverschuldungschmilzt dahin.
Der ganze EZB-Zauber aber kann über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Die Wirtschaft in den südeuropäischen Krisenländern braucht keine Kredite: weil sie zuwenig Geschäfte und Geschäftsideen hat, und das kann noch so viel geldpolitische Magie nicht ändern. Die EZB versucht darüber hinwegzutäuschen, dass die schlechte Verfassung und ausbleibende Reformen die Wirtschaft in Italien und Frankreich in die Knie zwingt – nicht ein paar Zehntelprozent an Zinsen. Seine Zauberkunststücke aber peitschen das Geldsystem weiter in die Unseriosität, mit seinem billigen Geld schummeln sich die Regierungen in Rom und Paris an Reformen vorbei. Schon 1967 kämpfte der damalige Wirtschaftsminister der Großen Koalition, Karl Schiller, für die Zinssenkung mit dem Argument: „Die Pferde müssen saufen.“ Ob es eine „Inflation nach Maß“ geben kann, titelte damals zweifelnd „Der Spiegel“. Bald galoppierte die Inflation. Nicht die Pferde.
Im Herbst wird Miriam Meckel die Chefredaktion der WirtschaftsWoche übernehmen. Meckel ist Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen und als frühere Sprecherin des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen bekannt geworden. Bitte übertragen Sie das mir entgegengebrachte Vertrauen auf meine Nachfolgerin.
(Erschienen auf Wiwo.de am 24.05.2014)
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