Es ist Partystimmung, zumindest in den Börsensendungen, seit der Deutsche Aktienindex einen kleinen Bullensprung auf über 6600 Punkte getan hat. Nun wäre es ja auch verkehrt, solche Feiern durch apokalyptisches Krisengerede verderben zu wollen: Wirtschaftswachstum und Rückgang der Arbeitslosigkeit sind echte Lichtblicke (siehe Seite 22). Aber ein paar relativierende Fakten sollten schon berücksichtigt werden: Auf dem Arbeitsmarkt ist es weniger der wachsende Personalbedarf, der die Arbeitslosenzahl unter die magische Drei-Millionen-Grenze gedrückt hat. Viele der neuen Stellen sind befristet und so schlecht bezahlt, dass sie kaum zum Leben reichen. Das ist zwar besser als gar keine neuen Arbeitsplätze; aber so recht zum Jubeln auch nicht. Und: Unsere Bevölkerung schrumpft und wird älter, wir haben immer weniger junge Arbeitskräfte. Deutschland kann nicht mehr wachsen.
Aber auch auf den Wertpapiermärkten ist nach der Krise alles anders als vor der Krise, weil Notenbanken und Regierungen neue Verhaltensweisen an den Tag legen. Die Notenbanken haben weltweit die große Gelddruckmaschine angeworfen und kaufen gefährdete Staatsanleihen von Ländern, die ihre Schulden wohl nicht mehr bedienen können. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die US-Notenbank. Hinter dem Rezept des Quantitative Easing verbirgt sich die Angst vor einer lang anhaltenden Rezession und einer Deflation, also einer permanenten Verbilligung aller Produkte und Dienstleistungen. Zinsen, die gegen null gehen, und jede beliebige Menge frischer Dollar sollen den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft ankurbeln. Inflationssorgen erscheinen derzeit unbegründet: Woher sollen auch Preissteigerungen kommen, wenn die US-Konsumenten sparen müssen, wenig kaufen? Sollte die Wirtschaft erst mal anspringen, hätte die Notenbank genügend Zeit, um dann noch rechtzeitig auf Antiinflationskurs gegenzusteuern.
Während in den USA die Deflationisten die Gestaltungshoheit der Wirtschaftspolitik übernommen haben, ist in Europa die Schlacht um die Deutungshoheit der ökonomischen Datenreihen in vollem Gang. Um die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) tobt ein Machtkampf der Personen, Sichtweisen und Handlungsoptionen. Bundesbankpräsident Axel Weber sieht im Ankauf praktisch wertloser griechischer und südeuropäischer Staatsanleihen „erhebliche stabilitätspolitische Risiken“. Er gilt in der EZB als Hardliner, der für eine als dogmatisch verstandene deutsche Stabilitätskultur im XL-Format für ganz Europa eintritt. Er steht für eine EZB, die den Geldwert hochhält, die nicht bereit ist, die Schuldenpolitik vieler Regierungen weiter zu finanzieren, und Inflationstendenzen lieber zu früh als zu spät bekämpft. Wenn französische oder italienische Kandidaten an seiner Stelle als Nachfolger für den Ende Oktober 2011 ausscheidenden Jean-Claude Trichet positioniert werden, ist es nicht eine national motivierte, sondern eine stabilitätspolitische Personalentscheidung: Webers Gegenspieler befürchten, dass ein harter Stabilitätskurs die leistungsschwächeren Volkswirtschaften im Süden Europas beschädigen und letztlich die Währungsunion gefährden könnte.
Für Anleger sind diese globalen Entwicklungen der Notenbankpolitik entscheidend, denn die Folge könnte eine massive Umwertung der Stabilität unterschiedlicher Anlageformen sein. Lange galten Bargeld, Geldmarktpapiere, Immobilien und vor allem Staatsanleihen der Industrieländer als sichere Anlagen. Ins Reich des Risikos gehörten Aktien und Rohstoffe. Gold wurde als Anlageform reduziert, weil im Tresor keine Erträge auflaufen. Kommt es zu einer Lockerung der Stabilitätskultur und zur globalen Liquiditätsschwemme, könnten Anteile an der Realwirtschaft wie Aktien, Rohstoffe, und Immobilien tendenziell sicherer werden und Gold wieder zum Geldersatz mutieren. Das Umgekehrte gilt für Staatsanleihen und geldnahe Vermögenswerte, deren Werte weginflationiert werden.
Es ist eben Party. Fragt sich nur, wo?
(Erschienen am 29.10.2010 auf Wiwo.de)
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