Frankreichs Präsident lobte den Koalitionsvertrag. Deutschland würde nun den französischen Weg einschlagen. Hurra, es geht bergab.
Mutlos, rückwärtsbezogen, perspektivlos: Der Koalitionsvertrag ist ein Dokument des entschiedenen Zurück ins Gestern. Wirtschaft wird offenbar als stationär gegeben betrachtet, als etwas, das man eben einfach so hat. Erhabenes Ziel staatlichen Handelns dagegen ist die Umverteilung. Das ist ein Programm der Selbstlähmung – als habe man sich zum Ziel gesetzt, Europa nach unten zu nivellieren und die beklagten Exportüberschüsse durch Selbstkastration zu beseitigen. Aber hilft das Europa und dem Euro?
Es sei ein „Vertrag für die kleinen Leute“, sagt Sigmar Gabriel über den Koalitionsvertrag. Nichts könnte falscher sein, und nichts mehr den Mann für das Amt disqualifizieren, das er so rücksichtslos anstrebt: Superwirtschaftsminister. Auch ein einfacher Wirtschaftsminister in spe, ganz ohne Super, sollte wissen: Wenn, wie geplant, die Senkung der Rentenbeiträge auf die Schnelle verhindert wird und in den kommenden Monaten ebenso rasant Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsbeiträge erhöht werden – dann bedeutet das eine Steuererhöhung für die sogenannten kleinen Leute. Denn die Sozialversicherungsbeiträge sind die Steuern der kleinen Leute. Schlimmer noch: Für die Arbeitgeber sind es Kosten, die den Faktor Arbeit verteuern. So, wie Mindestlöhne und Abgaben hier und Regulierungen dort vor allem eins erreichen: Arbeit zu vernichten. Die Arbeit wird teurer, sie wird ersetzt oder vermieden. Oder sie verschiebt sich in den Schwarzmarkt.
Ein seltsam wirtschaftsfernes Denken durchzieht den Koalitionsvertrag. An keiner Stelle finden sich fundierte Überlegungen, wie dieses Land sich langfristig wirtschaftlich entwickeln kann, wie Arbeitsplätze entstehen, Wachstumsmöglichkeiten gefördert werden sollen. Dass dieses Vertragswerk irgendwann – und zwar vermutlich ziemlich schnell – beiseite gelegt werden wird, ist nur ein schwacher Trost. Denn es ist ein Dokument, das die Machtverhältnisse innerhalb der Parteien und die vorherrschende Denkschule der herrschenden Parteien widerspiegelt. Wirtschaftspolitiker in der SPD und in der Union sind nur noch randständige Figuren ohne Rang und Einfluss: Rechthaber, nörgelnde Kläffer, an denen die Karawane, schwer beladen mit den Geschenken der Umverteiler, vorbeizieht. Und so kommt es, dass diesen Koalitionsvertrag ein geradezu kindlich-naiver Glaube an die wirtschaftliche Allmacht des Staates durchweht, ein Glaube an bürokratische Lösungen, höhere Steuern, Abgaben und Umverteilung und an die allein seligmachende Wirkung staatlicher Reglementierung.
Es herrscht hier eine befremdliche Binnensicht, die das Wünschbare an die Stelle des Machbaren setzt. Längst sind ja die schnell steigenden Strompreise als das wirksamste Mittel zur Zerstörung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entlarvt. Nun brüstet sich die angehende Koalition damit, die Geschwindigkeit dieses Anstiegs abbremsen zu wollen. Nicht den Preisanstieg, nur sein Tempo nimmt man ins Visier – während im Rest der Welt derweil die Energiepreise fallen. Nicht mehr Notwendigkeiten werden hier zum Maßstab gemacht, sondern verquere Hoffnungen: Irgendwann wird die Welt sich schon nach den Deutschen richten.
Ähnlich ignorant sind die wortgewaltigen, aber inhaltsleeren Seiten, auf denen sich der Koalitionsvertrag mit der künftigen Europa- und Europolitik befasst. Unbearbeitet bleibt die Krise einer Gemeinschaft, in der der Süden wirtschaftlich implodiert, aus der Großbritannien desertiert, während Frankreich kollabiert. Ist es da ratsam, dass sich Deutschland selbst demontiert? Manchen erscheint es ja wünschenswert, dass Deutschland seine Exportüberschüsse reduziert und damit die lautstarken Forderungen amerikanischer Ökonomen wie Paul Krugman erfüllt.
Angela Merkel ist eine Meisterin der Politik. Da liegt die Vermutung nahe, die Kanzlerin verfolge eine verborgene Absicht mit diesem widersinnigen Politikgehabe. Kann diese offenkundige Demontage am Ende sogar Methode sein, um endlich den erträumten einheitlichen, europäischen Wirtschaftsraum herzustellen – wenn schon nicht auf global hohem Niveau, dann eben auf einem gemeinsam niedrigen? Der Schnelle soll sich bremsen, damit der Langsame nicht zurückbleibt? Das hätte zumindest ein Gutes: Es würde die Spannungen innerhalb der Eurozone vermindern, denn eine einheitliche gemeinsame Geldpolitik für wirtschaftlich Starke und Schwache ist nun mal ungleich schwieriger zu stemmen als eine unter vergleichbar Schwachen.
Bislang ist es Merkel und Gabriel gelungen, ihr geplantes umfassendes Export- und Wirtschafts-Blockadeprogramm als soziale Meisterleistung zu verkaufen – tatsächlich aber sind die steigenden Sozialleistungen das probateste Mittel, um die Deutschen von Selbstverantwortung, Tüchtigkeit und Fleiß zu entwöhnen und die Effizienz der Wirtschaft auf europäisch verträgliches Niveau abzusenken. Die Nachbarn haben dies sofort erkannt. Frankreichs François Hollande lobte noch am Tag der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags, dass Deutschland nun den französischen Weg einschlage – der bekanntlich zu einem rapiden Verfall französischen Wohlstands geführt hat. Die französische Begeisterung wurde in Berlin freilich kaum wahrgenommen; hier beherrschte indessen der SPD-Mitgliederentscheid die politische Debatte.
Derweil befassen sich Hollandes Experten mit Spekulationen, ob Deutschlands Selbstdemontage tatsächlich zur Wiederherstellung der französischen Wettbewerbsfähigkeit führen könnte. Immerhin besteht gleichermaßen die Gefahr, dass der zu erwartende Niedergang der deutschen Wirtschaft auch die eng mit ihr verflochtene gesamteuropäische nach unten zieht – immerhin sind ja ein Drittel der deutschen Exporte eingebaute und sorgfältig versteckte Importe aus Italien und Frankreich und anderen Ländern. Ein Ansteigen der deutschen Staatsverschuldung würde auch Ansprüche an die deutsche Kredithilfe senken. Selbst gemeinsame Eurobonds verlören dann ihren Schrecken, wenn in einer europäischen Schuldenunion die Deutschen nicht mehr ihre Guthaben, sondern ihre Schulden zu vergemeinschaften begännen.
Aber das wurde offenbar nicht durchdacht. Dafür fehlte es wohl auf 184 Vertragsseiten an Platz. Zumal – Sieg des Kleinen über das Große? – den Belangen ausgewählter Klein-Interessengruppen breiter Raum eingeräumt wird. Weil sich jede von ihnen etwas wünschen darf, wurde die Barrierefreiheit auf Bahnhöfen ebenso Regierungsprogramm wie die Förderung der Erforschung der Frauenbewegung in der DDR.
Das Verbot von Walfleisch – in Deutschland bekanntlich ohne einen solchen Bann an jedem Imbiss den ahnungslosen Kunden aufgetischt –, der Warnhinweis zum Dispokredit, mehr Platz für Hund und Katz im Tierheim – das ist ja alles sicher gut gemeint. Aber unter Regierungsverantwortung, unter aktiver Zukunftsgestaltung in schwierigen Zeiten, in einer globalisierten Welt stellen sich die Bürgerinnen und Bürger zurecht mehr vor als ein verlässliches Bienen-Monitoring auf Bundesebene.
Zu den großen Fragen, die alle angehen – und zu ihnen zählt nicht zuletzt die Wirtschaft – hat der Koalitionsvertrag nichts zu bieten als dröhnendes Schweigen oder falsche Versprechungen. Was soll das werden: eine insgeheim linksgerichtete Koalition, von einer noch linkeren Opposition kontrolliert? Wir erleben hier eine beunruhigende Verschiebung des politischen Diskurses.
Erschienen am 16.12.2013 im Hauptstadtbrief
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