Purdah nennt man in Pakistan die Verschleierung der Frau bis auf einen schmalen Augenschlitz. Im Slang der Notenbanken, die für die Stabilität unseres Geldes verantwortlich sind, gibt es eine „Purdah-Periode“ – die Schweigephase vor der Sitzung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB). Die 22 Mitglieder tagen das nächste Mal am kommenden Donnerstag, und es ist kein Geheimnis, dass es gewaltig rumpelt hinter dem Schleier. Das Schweigen fällt vielen schwer, denn es geht um nicht weniger als die quasi amtliche Erhöhung der Inflationsrate auf vier oder mehr Prozent.
Vordergründig soll das Inflationsziel neu gefasst werden. Dies klingt so theoretisch, als wäre die Geldpolitik ein Springbrunnen mit Reglern und Drehknöpfen, die bewirken, dass Geldmenge, Zinsen und Inflation mal höher, mal niedriger spritzen. Darf der Spritzbrunnenaufdreher so viel Geld in den Kreislauf der Wirtschaft lassen, dass die Inflation um maximal zwei Prozent steigt, oder darf die Inflation bis auf vier Prozent springen? Seit den Siebzigerjahren mit ihrer mal trabenden, mal galoppierenden Inflation gilt die Zwei als goldene Zielgröße der Notenbanken weltweit, eher praktisch hergeleitet: Drosseln sie den Geldzufluss in die Wirtschaft zu sehr, fallen das Wasserbecken und der Springbrunnen trocken, es droht die gefährliche Deflation. Die Zwei ist wie eine Sicherheitsmarge – besser etwas Inflation als einen sich beschleunigenden Preisverfall riskieren.
Seit einigen Wochen wird nun am Haupthahn der Geldversorgung gefummelt. Der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, denkt laut über eine Erhöhung des Inflationsziels auf vier Prozent nach.
Zunächst wurde das bei der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Bundesbank auf die leichte Schulter genommen. „Mit Erstaunen“ lese man davon, hieß es in einem Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Eine Woche später drehte Bundesbankpräsident Axel Weber in der „Financial ‧Times Deutschland“ voll auf: „Grob fahrlässig und schädlich“, ein „Spiel mit dem Feuer“ sei dieses Denken.
Denn in nur einer Woche fand das neue Inflationsziel viele Anhänger, am lautesten in Frankreich. Der Übergang zur bösartigen Vier würde ein Problem lösen: Inflation entwertet Staatsschulden und erhöht das Steueraufkommen. Inflation löst die derzeitigen Probleme aus Sicht vieler Politiker viel geräuschloser und bequemer als Steuererhöhungen oder eiserne Sparpolitik – die Streiks in Griechenland demonstrieren das gerade.
Hält der Konsens mit der Politik?
Aus Sicht der Bürger ist Inflation Gift – bei vier Prozent Inflation ist unser Geld in zehn Jahren um die Hälfte entwertet. Wenn Löhne, Renten und Zinsen nicht rasch genug angepasst werden, droht Kaufkraftverlust – bei zu schneller Anpassung der Übergang zur galoppierenden Inflation mit wachsender Arbeitslosigkeit.
Die Europäische Zentralbank ist formal unabhängig. Aber Geldpolitik braucht den Konsens mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dieser Konsens droht unter der gewaltigen Schuldenlast zu zerbrechen – auch innerhalb der EZB. Stabilitätsvertreter in der Tradition der Bundesbank reiben sich an Inflationisten der Pariser Schule. Kein Zufall, dass der Franzose Olivier Blanchard als Nachfolger des deutschen EZB-Chefvolkswirts Jürgen Stark gehandelt wird für den Fall, dass der deutsche Axel Weber EZB-Präsident werden darf! Vor diesem Hintergrund liest sich Blanchards IWF-Papier wie eine Kriegserklärung an die deutschen Anti-Inflationisten.
Bleibt die Europäische Zentralbank beim Bundesbank-Konzept, oder wird die Währungsunion zu einer Schulden- und Transferunion, die auch das Griechen-Problem elegant löst? Die Spritzbrunnenaufdreher sind schon unter uns.
(Erschienen am 27.02.2010 auf Wiwo.de)
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein