Angst nimmt seltsame Formen an in Deutschland: Wer über Wetter und nachfolgende Entscheidungen berichtet, wird bezichtigt, "rechte Verschwörungstheorien" zu propagieren. Wie politisch ist das Wetter?
Ein abgesagtes Fußballspiel in Hannover wegen nie erklärter Terrorwarnung; an Silvester gleich die Sperrung der großen Münchner Bahnhöfe und dann, erst Tage später wirklich weithin bekannt geworden, die Überfälle auf Frauen in Köln und vielen anderen Städten. Große Veranstaltungen werden zu Anlässen der Verängstigung.
Rosenmontagszüge im Rheinland werden abgesagt; in Köln trotzen die Veranstalter. Der sympathisch fatalistische Grundzug des Kölner Charakters, sonst für jede Nachlässigkeit der Stadt verantwortlich gemacht – jetzt zeigt er sein buchstäblich Gutes. Et hätt noch emmer joot jejange. Es ist bisher noch immer gut gegangen.
Kostbares Gut Zuversicht
Über 50 abgesagte Umzüge in weniger robusten Gemeinwesen – für jeden Jecken eine traurige Sache, und doch war den Verantwortlichen eine gewisse Erleichterung anzumerken: Das Wetter ist eine höhere Macht, sich dagegen aufzulehnen ein Akt der Gotteslästerung. Aber längst ist auch eine solche, durchaus nachvollziehbare Entscheidung politisiert. Am Tag danach rechtfertigt sich der Deutsche Wetterdienst: „Es waren Wetterwarnungen, keine Unwetterwarnungen.“
Klar: Nicht der Wetterdienst hat die Umzüge abgesagt – sondern die Veranstalter. Sie tragen die Verantwortung. Wieviel können, vermögen sie zu tragen? Und das in einer Zeit, in der die Unsicherheit wächst, in der die Sicherheitsdienste tatsächlich vor Bedrohungen warnen und damit die Entscheider an Ort und Stelle allein lassen. Gefährdungsbewertungen des Bundeskriminalamtes – aus Meckenheim in den Karnevalstagen an die Landeskriminalämter und andere Dienststellen verschickt – bleiben vage, schließen aber vorsichtshalber nichts aus:
„Mit einem erhöhten Hinweisaufkommen während der Karnevalsfeierlichkeiten nach den zuvor beschriebenen Mustern ist zu rechnen.
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Der aktuellste Hinweis mit Bezug zum Rosenmontagszug in Düsseldorf/NW bestätigt diese Prognose nachhaltig. Mittels folgenden Texts (Fehler wurden übernommen)
„Betreff: Terrorwarnung
Bitte Absagen keine Rosenmontag die Karnevalsumzug ! Islamisten Terroristen wollen eine Anschlag eingeplant. Ich habe die Islamisten abgehört. Auch Sex Mob Attacke !“
warnt eine Person u.a. vor einem islamistisch motivierten Anschlag.
Die Sicherheitslage in Deutschland ist nach wie vor maßgeblich von einer hohen abstrakten Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus geprägt. Dies gilt entsprechend auch für die Karnevalstage.“
An diesem Text kann man die vage Unsicherheit der Sicherheitsbehörden mit Händen greifen. Gefährdung – abstrakt. Ist schlechtes Deutsch als erhöhte Bedrohung einzustufen oder Hinweis auf einen Fehlalarm? Was bedeutet das für die Karnevalsvereine, die alle nicht hauptberuflich Lageberichte dechiffrieren und doch entscheiden müssen? Man möchte nicht in ihrer Haut stecken; darüber schreiben ist risikoloser – denkt man.
Der Lagebericht Innere Sicherheit des Bundesinnenministeriums und polizeiliche Lagebilder vermeiden Bewertungen.
Wohlwollende Bevormundung bewirkt das Gegenteil
Da nehmen manche lieber eine Grippe; menschlich verständlich. Wie Gift wirkt das Misstrauen, dass hinter jeder Entscheidung eine andere, nicht erklärte stehen könnte. Dazu zählt das unbedachte Wort von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der lieber nicht über Gründe wie die Absage eines großen Fußballspiels informieren will, weil es „sie beunruhigen könnte“. In eine ähnliche Richtung und kaum weniger nachhaltig wirken prominente Journalisten, die dazu auffordern, nichts zu berichten, was Radikalen und Extremisten für ihre Propaganda nutzen könnte. Bis zum Beweis des Gegenteils unterstelle ich allen beste Absichten. Die objektive Wirkung ist – wie oft auch an dieser Stelle – das genaue Gegenteil.
Höhepunkt der neuen deutschen Zerrissenheit: Wer die Entscheidung über die Absage kritisch hinterfrägt oder nach Gründen sucht, wird sofort der Verschwörungstheorie bezichtigt. Kritik am Wetterbericht als „rechte Verschwörungstheorie“? Dabei geht es nicht darum, ob eine Wolke mehr oder weniger am Himmel hängt – sondern um die verständliche Unsicherheit der Entscheider: so rum oder so rum? Vermutlich wäre in früheren Jahren der Jeck durch Regen und Hagel gestapft. Jetzt schaukelt es sich hoch zur überängstlichen Vorsorge. Da wird selbst Schreiben riskant, wo Unerwünschtes flugs als Verschwörungstheorie auf den Index kommt.
Lichtblick Bürgermut
Was keiner thematisiert: gerade das ändert das Land. Harmlose Vergnügungen bei wechselhaftem Wetter werden zu hochpolitisierten Schicksalsentscheidungen. Ein Land verliert seinen Mut, aber nicht überall. In Köln, finster entschlossen die Blamage von Silvester auszubügeln, ist gefühlt jeher zehnte Teilnehmer nicht als Polizist verkleidet, sondern tatsächlich einer. Die freiwerdenden Mannschaften aus dem sonstigen Rheinland sind willkommene Verstärkung der Sicherheit. Durch den ganzen Rosenmontag prosten die Jecken stolz darauf, sich ihren Fastelovend (Fasching, Karneval) durch nichts nehmen zu lassen, nicht durch die Silvesterübergriffe und nicht durch Wetterwarnungen. Ungewohnt milde zelebrieren sie ihre traditionelle Dauerfehde mit den Düsseldorfern, die dem Sturm nachgeben.
Am Tag danach beschäftigt sich die Lokalpresse mit der Frage, ob Köln jetzt rehabilitiert sei. Denn Kölns Ruf hat gelitten – jetzt musste Karneval gelingen. Und so war es auch. Schunkeln unter Polizeibewachung: Der Kölner platzt vor Fröhlichkeit. Es ist nicht aufgesetzt. Und wenn morgen die Welt unter geht – vorher noch Karneval. So war es immer und so wird es sein.
Übrigens: Verschwörungstheorien gibt es tatsächlich – und nicht zu knapp. Sie wuchern auf dem Humus von verschwiegenen Fakten zwecks wohlwollender Bevormundung.
Hätten wir nicht darüber schreiben sollen? Ein Mediendienst aus dem Hause Handelsblatt facht deshalb Erregungsfeuer an – um die am selben Tag bekanntgewordenen neuen Werte der Reichweite dieses Portals madig zu reden, wie ein kluger Kopf sofort kontert? Kachelmann, genau der, surft auf der Wetterwoge – versuchter Punktgewinn in der Wetter-Wirtschafts-Branche. Dabei wirft er den „Tichyanern“ eine „getürkte“ Wetterkarte vor. Es ist jedoch seine eigene, die wir gezeigt haben.
Wetter-Berichterstattung und Staunen über eine neues Stadium von Wetterfühligkeit als Gewissensfrage? Letztlich entscheiden Sie. Viele Zuschriften erreichen uns; dafür danken wir. Ihren Rat nehmen wir gern an. Die Erfahrung liegt beim Leser. Nach der ganzen Aufregung: die Erregungskurve flacht schnell ab, doch das Unbehagen bleibt.
Glücklicherweise ist jetzt erst mal Pause.
Zwar ist diesmal am Aschermittwoch nicht alles vorbei. Angst regiert auch in der Fastenzeit, in der allerdings keine größere Veranstaltungen anstehen, also auch kein Entscheidungsstress. In den vergangenen Jahren war das kritisiert worden als weiter bestehende Definitionsmacht der Kirchen in einem weltlichen Staat. Jetzt sind viele froh über Tanzveranstaltungen, die gar nicht erst stattfinden. Kein Verantwortlicher braucht eine politische Grippe zu nehmen. Aber danach geht es wieder weiter.
Nur Rezepte gegen die Angst, die fehlen.
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