Wer zahlt für das Ende des Atomzeitalters in Deutschland? Werden wieder Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert?
Am Anfang stand die Utopie – es ist „die Hoffnung dieser Zeit, dass der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erleichtern, von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann“. Die ganz großen Wörter sind die Einleitung zum Godesberger Programm der SPD von 1959. Mit der Utopie vom helfenden Atom verabschiedete sich die SPD gleichzeitig von einer anderen Zukunftshoffnung – der des Sozialismus. So wurde die SPD regierungsfähig, und es begann der Umbau Deutschlands zum Atomstaat. Die Stromkonzerne waren übrigens schon damals wenig innovativ. Statt auf die komplexe atomare Zukunftstechnologie zu setzen, wollten sie lieber weiter Kohle verbrennen; Geschichte wiederholt sich also doch. Oder ist es nur so, dass betriebswirtschaftliche Logik und die Gigantomanie der Staatswirtschaft einfach nicht zusammenpassen? War der Atomstaat also die Fortsetzung des Weges zum Sozialismus mit anderen, ebenso irren Mitteln? Jedenfalls bedurfte es vieler Subventionsmilliarden, um die Energieunternehmen erst mal auf den Weg in die strahlende Zukunft zu locken.
Aber wer zahlt nun für die Abwicklung des Atomstaats? Ein Blick in die Bilanzen der Konzerne allerdings zeigt: Sie haben brav vorgesorgt. Die vorgeschriebenen Kassen für die Rücklagen sind prall gefüllt und überdies sogar so flüssig angelegt, dass der Abbau der stillgelegten Atomkraftwerke am Geld nicht scheitern wird. Auch hier schlägt die Geschichte einen ironischen Haken: In den Achtzigerjahren sorgte sich die WirtschaftsWoche darüber, dass die Atomkonzerne sich mit diesen Milliarden ein Sammelsurium von Industrieunternehmen aufkauften und zu Monopolisten heranzuwachsen drohten. In den Neunzigern wollten SPD und Grüne den Stromkonzernen den gewaltigen wie geheimnisumwitterten Nibelungenschatz entreißen. Mittlerweile hatte die Atom-Utopie ausgedient, und man fürchtete, die Stromkonzerne würden durch ein zu reichhaltiges Auffüllen der steuermindernden Rücklagen nur künstlich ihre Steuern niedrig halten. Ganz verkehrt war der Verdacht wohl nicht – selbst die dramatisch verkürzte Laufzeit und die dadurch bewirkte, künstlich herbeigeführte Unwirtschaftlichkeit bremsten nicht den Aufbau für den Abbau.
Und heute? Heute wollen die Konzerne eben diesen umstrittenen Nibelungenschatz freiwillig an den Staat abdrücken, um nur ja von Kostenrisiken befreit zu werden. Die Mittel sollen in einen Staatsfonds wandern, der das teure Ende des Atomzeitalters finanziert. Diesmal aber lehnen Regierung wie auch die Grünen dankend ab. Hier endet die Analogie zum Nibelungenschatz. Nach dem Reichtum der Burgunder wird immer noch gesucht, während den verstrahlten Zaster heute keiner haben will. Denn auf ihm liegt ein Fluch – der des atomaren Endlagers.
Zwar ist der Salzstock von Gorleben dafür bestens geeignet, und für die Erkundung wurden bereits mehr als 1,6 Milliarden Euro verbuddelt. Aber die Berliner Allparteienkoalition hat trotzdem die Endlagerung gestoppt. Der Atomindustrie sollte so die Zukunft abgeschnitten werden. Seitdem der Ausstieg beschlossen und unumkehrbar ist, könnte man zwar darangehen, die strahlenden Reste des Godesberger Programms und seiner Folgen zu entsorgen. Doch genau das traut sich die Politik nicht. So wird selbst das sichere Zwischenlager in Gorleben zukünftig nicht mehr benutzt, weswegen demnächst die heißen Castorbehälter irgendwo zwischen Alpenrand und Nordseestrand herumstehen werden wie nicht abgeholte Mülltonnen. Bis spätestens 2031 soll im wohl längsten Entscheidungsfindungsprozess der Geschichte ein Standort gefunden werden, von dem alle Fachleute wissen, dass es ihn längst gibt – eine verantwortungslose Politik riskiert Leben und treibt die Kosten. Dafür wird nicht einmal der Nibelungenschatz ausreichen – sodass am langen Ende fürs Zahlen nur zwei übrig bleiben werden: Sie und ich, Steuerzahler und Stromkunden.
(Erschienen auf Wiwo.de am 17.05.2014)
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