Linke, SPD, CDU und FDP – alle berufen sich neuerdings wieder auf Ludwig Erhard. Der würde sich mit Grausen abwenden. Von allen.
Revolutionäre, wenn sie denn gesiegt haben, werden zu gusseisernen Denkmälern – auf denen Tauben zustimmend gurren. So geht es auch Ludwig Erhard. Kein Wirtschaftspolitiker, der sich nicht auf ihn beruft, ihn zitiert, sich einen Satz herauszupft, der dann in eine Rede gepresst wird. Aber so billig ist er nicht zu haben.
Ludwig Erhard war ein bürgerlicher Revolutionär. Heute würde man seine Lehren, wenn man sie denn genau anschaute, schaudernd “marktradikal” oder “neoliberal” schimpfen. Seine Taten waren die Währungsreform, die Abschaffung der Zwangsbewirtschaftung, der Bezugsscheine und der Preisbindung.
Dagegen haben damals SPD und Gewerkschaften mit Generalstreik gedroht. Auch die CDU hatte gerade in Ahlen ein Programm verabschiedet, in dem viel von gottgleicher Staatslenkung und der bösen, bösen Macht der Märkte die Rede war. Es erschien ja wirklich ungeheuerlich, in einem zerbombten Land, dessen Bewohner mehrheitlich in Barackenstädten hausten und hungerten, die Marktwirtschaft auszurufen, einfach so. Die Sorge war berechtigt, dass das Chaos ausbrechen könnte, wenn statt Bezugsscheinen für karge, aber genau gerechnete Notrationen plötzlich Angebot und Nachfrage bestimmen sollten. Marktwirtschaft verlangt Mut und Vertrauen – in die Menschen, ihre Fähigkeit, ihre Eigenverantwortung und Erfindungsgabe.
Diesen Mut hatte Erhard und die Überzeugung, dass die Menschen allemal tüchtiger sind als Versorgungsämter; und dass die Menschen, wenn sie auch ihrem Eigennutz folgen dürfen, so viel Mehr erzeugen, dass die Not ein Ende hat. Er hat recht behalten; aber heute recht kriegen würde er nicht. Es wird ja alles sozial versorgt und betüttelt, im Kleinen bis zum ganz großen Schalten und Walten der Beamten, des Sozialstaats und der Politik. Die Energiepolitik ist so ein Musterbeispiel: Hier wird geplant und gebastelt, und jede Regelung erzwingt eine neue Regel und noch eine Subvention. Bloß besser wird es nicht, nur jeden Tag noch teurer und verfahrener. Ein Erhard käme auf eine ganz andere Idee und würde das planwirtschaftliche Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen – dann fände der Strom schon seinen Weg zum Verbraucher, zum Bruchteil der Kosten und ohne Energieminister und aufgeblasenes Getue und Gewese um von der Politik selbstgeschaffene Probleme.
Wenn es Dinge gibt, die heute unter Generalverdacht stehen, dann sind es die Märkte und der Eigennutz; es ist ja nach einem einleitenden Erhard-Zitat immer nur von ihrer Zähmung, Bändigung und Regulierung die Rede. Und es wird dauernd von Gerechtigkeit geredet und nicht mehr davon, dass irgendwer vor dem Umverteilen dafür sorgen muss, dass die Regale voll sind. Ludwig Erhard war ein Gegner des Umlageverfahrens in der Rentenversicherung; es erschien ihm nicht nachhaltig. Konrad Adenauer dagegen meinte: “Kinder kriegen die Leute sowieso.” Erhard hat recht behalten. Die heutige sozialdemokratische Unions-Regierung und ihr Rentenpaket fänden keine Gnade bei dem Mann, den die Union mal zum Kanzler wählte. Er steht ja nicht nur für das Wirtschaftswunder. Sehr früh hat er vom Maßhalten geredet – in einer Zeit, in der der Sonntagsbraten in der Drei-Zimmer-Wohnung das große Wohlstandsglück bedeutete. Heute säuft der Proll die Sangria auf Mallorca aus Kübeln und beklagt seine Verarmung. Der heutige Wirtschaftsminister meint, wir lebten so “unter unseren Verhältnissen”. Das mag ja intellektuell stimmen, aber sind 200 aus der Rentenkasse verschenkte Milliarden Euro die Lösung oder nicht eher das Problem, weil sie für Infrastruktur und Bildung fehlen – kurz: für die Renten von morgen? Und warum kassiert der reichste Staat aller Zeiten immer noch höhere Steuern und macht trotzdem Schulden? Weil er vom Erhard’schen Investitionshaushalt zum Transferhaushalt degenerierte.
Was kann man also noch von Erhard lernen außer Mut und Vertrauen in Menschen?
(Erschienen auf Wiwo.de am 28.2.2014)
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