Das Jahr der Nullen

Das Jahr 2008 wird als das Jahr der vielen Nullen in die Geschichte eingehen: Mit 200 Milliarden Dollar für die US-Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac hat die Finanzkrise angefangen, teuer zu werden; für 480 Milliarden Euro hat die Bundesregierung den Bankenschirm aufgespannt; 1,4 Billionen an Bankgarantien wurden dann in New York fällig – ob Dollar oder Euro spielt bei so viel Nullen keine Rolle; in Brüssel flossen 200 Milliarden in ein europäisches Konjunkturprogramm, wobei schon jetzt klar ist: Das war nur die erste Rate.

Bis zu acht Billionen werden gebraucht, um die US-Wirtschaft aus der Krise herauszuhauen. Allein 50 Milliarden Dollar durch den Anlagebetrüger Bernard Madoff verdummt, 1000 Milliarden von den Banken bisher abgeschrieben. Und 50 Milliarden neue Schulden wird Bundesfinanzminister Peer Steinbrück wohl auch ohne zusätzliches Konjunkturprogramm im kommenden Jahr anhäufen – mehr als Theo Waigel während der Wiedervereinigung. Übrigens hat der Zweite Weltkrieg, in heutigen Dollar gerechnet, gerade 3,6 Billionen gekostet; Pearl Harbor war nur ein Betriebsunfall gemessen an Lehman Brothers, in Dollar gerechnet. Die Kriege in Vietnam und im Irak mit Kosten von 700 und 600 Milliarden zeigen: Rein betriebswirtschaftlich scheint ein Investmentbanker ein größeres Wohlstands-Risiko zu sein als ein Osama Bin Laden. Kommen Sie noch mit den Nullen zurecht? Die Finanzkrise hat längst etwas Surreales: Salvador Dalí, übernehmen Sie!

In 2009 müssen wir die Nullen abarbeiten. Peer Steinbrück hat den Ruf als größter Steuer-Erhöher in Kauf genommen, um als Finanzminister des ausgeglichenen Haushalts in die Geschichte einzugehen – ich verstehe seine Skrupel davor, das wohl größte Schuldenloch in Friedenszeiten aufzureißen. Er wird wohl müssen. Denn der Staat schüttelt seine morschen Knochen zusammen und steigt als Retter aus der Grube, in der ihn selbstverliebte Finanzjongleure verschwunden geglaubt hatten. Jetzt wird den Unternehmen die politische Rechnung für den staatlichen Notarzteinsatz präsentiert. Die großen Dax-Konzerne sollen eine Beschäftigungsgarantie aussprechen, fordert Siemens-Chef Peter Löscher. Gute Idee, aber es hat etwas Selbstmörderisches an sich, wenn jetzt Ideen eines Staatskapitalismus propagiert werden. Josef Ackermann schwadroniert von der Wiederbelebung der „Deutschland AG“, also der deutschen Industrie, geführt am Zügel der Industriebeteiligung durch seine Bank. Aber dazu muss er erst wieder ins Portfolio kriegen, was er vorher versilbert hat. Diese Beispiele zeigen: Die deutsche Wirtschaft ist uneins wie nie, nicht wirklich verhandlungsfähig und dazu verurteilt, in den Talkshows den Prügelknaben abzugeben und in Berlin auf dem Arme-Sünder-Bänkchen zu kauern. Den Gewerkschaften geht es ähnlich – das Klassenkampf-Getöse ist verstummt. Erstaunlich, wie schnell Berthold Hubers IG Metall die Acht-Prozent-Lohnforderung auf gut drei reduziert hat – von so kooperativen Gewerkschaften kann Detroit nur träumen.

Aber vermutlich ist das dann der eigentliche Standortvorteil Deutschlands: In der Krise wird zusammengerückt und in die Hände gespuckt. Während die Eierköpfe von Harvard ihre Milliarden an der Wall Street verspekuliert haben, drehen deutsche Forscher auf. BMW und Daimler wenden in der Sackgasse und entdecken ihre Liebe zum alternativen Antrieb, Unternehmen finden neue Geschäftsmodelle. Es gibt sie nicht wirklich, die guten Nachrichten zum Jahreswechsel. Ihre WirtschaftsWoche hat vor der Katastrophe frühzeitig gewarnt. Nun werden wir über die vielen Keimzellen zukünftiger Erfolge vorab berichten. Das Leben ist kein Ponyhof – aber morgen, hinter der Scheune, geht die Sonne wieder auf. Garantiert.

(Erschienen auf Wiwo.de)

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