Haben Sie heute schon Ihren Anlageberater geohrfeigt? So unkultiviert sollte man sich keinesfalls geben. Noch vor einem Jahr wäre das als Notwehr durchgegangen – an dem Tag, an dem der Ihr sauer erspartes Vermögen halbierte. Mittlerweile kritisiert niemand mehr Bankberater für die größte Geldvernichtung aller Zeiten. Verständnisvoll hören wir unserem leidgeprüften Berater zu, der seinen lieben Kunden so traurige Nachrichten übermitteln muss. Lehman! Was kann man da machen?
Schicksalsergebenheit umwölkt den Bankschalter. Hinter diesem Vorhang lässt sich jede Verantwortlichkeit verstecken. Ja, die Finanzkrise ist eine wunderbare Gelegenheit, von eigenen Fehlern abzulenken. Beispiel Märklin. Wegen der Finanzkrise wurde nicht eine Lok weniger verkauft. Märklin ist das Opfer von Managementfehlern, später haben gierige Berater und hungrige Heuschrecken das letzte Grün zwischen den Eisenbahngleisen abgegrast. Und doch – Märklin wird als Opfer der Finanzkrise wahrgenommen. Oder Opel: Ja, es ist schade um die hübschen neuen Modelle. Aber in den 20 Jahren davor produzierte der Konzern jede Menge Schrott im Wortsinn. Diese Fehler machen Opel nun den Garaus – nicht die Finanzkrise. Oder Schaeffler: Dort setzte das Management im Kasino alles auf Rot – leider fiel die Kugel auf Schwarz. Die Maus kann keinen Tiger reiten – das galt schon vor der Finanzkrise, ebenso wie der Grundsatz, der bei der Hypo Real Estate zum Desaster führte: Finanziere niemals lang mit kurz. Hätte Herr Boni-Funke wissen können.
Aber geschenkt! Kleben Sie das Schild „Finanzkrise“ auf die Leiche, und die Kripo drückt Ihnen ihr Beileid aus, statt Sie zu verhaften.
Allerdings sind ein paar Feinheiten zu beachten. Es kommt auf den Zeitpunkt und die Nullen an. Falsch hat es der damalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt gemacht. Seine Pleite-Bank, die Sachsen LB, belastet den Haushalt mit 2,75 Milliarden Euro. Eigentlich ein Geniestreich, wie es ihm in letzter Sekunde gelungen ist, das größte Loch im Osten an die Landesbank Baden-Württemberg zu verticken.
Dass die Käufer jetzt wegen der Sachsen LB ein Problem von rund 20 Milliarden Euro an der Backe haben, führt in Stuttgart nicht zur Frage nach der Verantwortlichkeit von Bank und Land, denn mittlerweile haben wir gelernt: Es war nicht der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, sondern die Finanzkrise! Die ehrliche Haut Milbradt war nur zu früh dran und hat versucht, den Schaden zu begrenzen – das hat ihn Ehre und Amt gekostet.
Also: Versuche nicht, es billig zu machen! Je höher, umso besser. Über Millionen regen sich die Leute auf, Milliarden dagegen sind systemisch, somit entschuldigt. Jeder Hamburger – Vater, Mutter, Baby, Greis – haftet mit 16 661 Euro für die Fehler der HSH Nordbank. Wurde deshalb jemand davongejagt? Nein. Riesen-Beträge führen zur kollektiven Ohnmacht, in der die Frage nach Verantwortlichkeiten nicht mehr gestellt werden kann. Etwa bei der Commerzbank. Die kaufte die Dresdner und stellte 14 Tage später fest: 6,3 Milliarden Euro Miese tauchen auf wie das Ungeheuer von Loch Ness. Der schnellste und folgenloseste Fehler der Wirtschaftsgeschichte. Toll, Herr Blessing, supi!
Auch wir Journalisten sind nicht frei von Demenz. 20 Milliarden Euro hat die Allianz in der grünen Hölle der Dresdner Bank verloren. Ein „glücklicher“ Deal sei das, schreibt ein Wirtschaftsmagazin, dessen Namen ich aus Scham über die eigene Profession lieber verschweige. Begründung: „Es hätte noch viel schlimmer kommen können.“
Manchmal denke ich, ganz im Stillen: Da helfen nur noch Ohrfeigen.
(Erschienen am 21.03.2009 auf Wiwo.de)
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