Tichys Einblick
Keine Bundespräsidentenwahl

Steinmeier oder die peinliche Veranstaltung einer verängstigten Demokratie

Mach aus wenig viel: Dieses Rezept beherrscht die SPD in einzigartiger Weise. Sie ist die führende deutsche Partei - weil die CDU schwach ist wie nie zuvor und so verängstigt, dass sie lieber unter den Rock der Ampel kriechen will.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier vor seinem Amtssitz Schloss Bellevue

IMAGO / Frank Ossenbrink

Mit nur 25,7 Prozent der abgegebenen Stimmen bei der letzten Bundestagswahl beherrscht die lange totgesagte SPD in einer einzigartigen Weise Deutschland. Der Bundespräsident ist SPD-Mitglied; schlimmer noch: er hat eine astreine Funktonärskarriere in der SPD hinter sich. Das laut Protokoll zweithöchste Amt im Staat ist das des Bundestagspräsidenten. Derzeit liegt es bei der weitgehend unbekannten Bärbel Bas, SPD, die als Hinterbänklerin bislang nicht besonders aufgefallen ist, und ebenfalls aus dem breiteren Funktionärskader der Partei stammt, diesmal Abteilung Krankenversicherung. Und dann ist da natürlich Bundeskanzler Olaf Scholz, der um seinen Ruf kämpft, als größter Schweiger und Vergesser in die Reihe der Bundeskanzler einzugehen, und sich nicht mal an seine Termine mit steuerhinterziehenden Finanzjongleuren erinnert.

20 Prozent reichen für die Macht im Lande. Die drei protokollarisch höchsten Ämter liegen also bei einer Partei, die nur rund 20 Prozent der Wahlberechtigten repräsentiert, berücksichtigt man das knappe Viertel derjenigen, die aufgehört haben, irgendwo ihr Kreuz zu malen. Warum wählen, am Ende, könnte man spotten, wird es ja doch wieder ein Sozi.

Die Wahlautomaten lächeln dazu

Es ist ein respektables Stück Machtpolitik, das Land so unter Kontrolle zu kriegen, und das unter der Parteiführung von Saskia Esken, über die kübelweise Hohn und Spott ausgeschüttet wurde. Deutschland kennt keine Parteien mehr, es kennt nur noch Sozialdemokraten.

Über Steinmeier zu schreiben, lohnt nicht. Er spricht gedrechselte Sätze an der Grenze zur Inhaltsleere; man erinnere sich an sein jüngstes Bonmot, wonach auch Spaziergang seine Unschuld verloren hätte. Unschuld als Merkmal des Spaziergängers und dann noch verloren – so eine schräge Metapher macht Kabarettisten arbeitslos. Aber man unterschätze Steinmeier nicht: Er ist der perfekte Repräsentant des sozialdemokratischen Staatsgebildes neuerer Art: Er zieht in seiner Rhetorik die Grenze zwischen denen, die dazu gehören, weil angepasst  und gehorsam, und jenen, die nicht dazu passen, weil sie Fragen stellen, eigene Meinungen pflegen und dafür neuerdings auch noch spazieren gehen. Er ist der Präsident einer Partei, die aus wenigen Anhängern und Wählern höchste Ämter ableitet und ihre Machtposition virtuos und rücksichtslos ausbaut. Es sind nicht die Grünen, die in der Ampel den Ton angeben; die sind vollauf damit beschäftigt, ihre Familienclans zu versorgen und ihren Strippenziehern in den NGOs den Staat zum verdauen vorzuwerfen. Die „Trittin-Connection“: Wie unser Land in die Fänge grüner Lobbys geriet. Die FDP hat sowieso immer keine Meinung, dafür ist sie ein williger Koalitionär.

Bei der Bundespräsidentenwahl zeigt sich die Macht der SPD. Seit Wochen jubelt und trubelt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen über diese Wahl, die nach Absprachen ja keine mehr ist. Es ist ein Nicht-Ereignis, über das breit berichtet wird, auch in den gedruckten Blättern; allerdings mit sinkender Auflage und Umfang. Auch ihre intellektuelle Reichweite ist zu gering, um sich zu schämen. Zu schämen dafür, dass eine im Hinterzimmer abgekasperte Wahl als Hochamt der Demokratie gefeiert wird. Eine Wahl, deren Ergebnis feststeht, ist keine. Die Stimmberechtigten bestätigen nur, was andere ihnen vorgeben. So einfach und jämmerlich ist es. So was kann man sich sparen; oder online erledigen oder wem das zu kompliziert ist mit diesem Digitalen, dann eben per Zustimmung im Umlaufverfahren. Wozu ein feierlicher Wahlakt, der keiner ist? Dazu die freudestrahlenden Gesichter der Geladenen, die doch nur Marionetten sind, und von denen keiner den Mut hat, das zu tun, was möglich wäre: Einen Kandidaten direkt in der Bundesversammlung vorzuschlagen und zur Wahl zu stellen; denn das wäre möglich. Aber längst ist brave Zustimmung das, was wir Demokratie nennen, nicht eine eigene Entscheidung, dem Gewissen und Verantwortung folgen. Die Bundesversammlung ist wie der Bundestag zu einem Wahlautomaten verkümmert. Und der billige Jubel erinnert fatal an die verdienten Vertreter des Volkes, die zu anderen Zeiten willig ihre Hände zur Wahl ohne Wahl heben mußten – heute machen sie es sogar freiwillig. Rückschritt ist ohne weiteres möglich. Und sage keiner ein Wort von einem Präsidenten, der über den Parteien stehe. Steinmeier mag persönlich ein netter Kerl sein – aber er ist eben nur ein Parteifunktionär, und zwar der einer ganz bestimmten.

Respekt für die drei Gegenkandidaten

Deswegen gilt mein Respekt den drei weiteren Kandidaten. Sie haben den Mut, sich zur Wahl zu stellen. Sie retten einen Rest Ehre der Demokratie in Deutschland.

Nicht der Sieg macht die Demokratie aus, sondern die Alternative. In Demokratien kann man, ja man muss sogar verlieren – nur in Diktaturen steht der Wahlsieger immer schon fest, so fest wie Beton.

Max Otte, erfolgreicher Unternehmer und Wissenschaftler, CDU-Mitglied und als Vorsitzender der WerteUnion ist sicherlich ein profilierter CDU-Politiker – ein Attribut, das ihm jetzt Merkels gewesene Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner streitig machen will. Er habe doch keinerlei Mandat dieser Partei und ihm drohe der Ausschluß. Klöckner hat nie „1984“ gelesen, jenen großen Roman über Newspeak und Ausschluss aller, die eigenes denken. Ja, so geht Demokratie 2022. Wer sich zur Wahl stellt ohne den Segen aus dem Hinterzimmer, wird persönlich herabgesetzt; Argumente? Keine. Geschlossenheit und Kadavergehorsam sind die Werte, die zählen; wer dagegen verstößt, wird ausgeschlossen. Otte riskiert sein Unternehmen; denn wer widerspricht, wird ausgegrenzt und ihm droht die berufliche und soziale Vernichtung bis zur Stornierung gebuchter Hotelzimmer. Das ist Deutschland 2022, reden wir es uns nicht schön. 

Über Gerhard Trabert  St. Martin aus Mainz: Ein Armenarzt als Bundespräsidenten-Kandidat der Linken habe ich nur zu sagen, dass er eine Alternative darstellt, die sicherlich nicht die meine ist. Aber Demokraten zeichnet aus, dass sie andere Meinungen und andere Personen respektieren. Ich drücke ihm meinen Respekt aus; auch dafür, dass er hochhält, was Sozialdemokraten früher ausgezeichnet hat: Er „möchte die Kandidatur nutzen, um auf die Armut und soziale Ungerechtigkeit in diesem Land hinzuweisen, und um als Fürsprecher von Menschen aufzutreten, die zu wenig gehört werden.“ So jemanden brauchen wir wieder im Land der hartherzigen Sozi-Funktionäre.

Für die Freien Wähler tritt die Astrophysikerin Stefanie Gebauer aus Brandenburg an. Als Kommunalpolitikerin ist mir ihr Wirken unbekannt.

Aber bei den der wirklichen Kandidaten fällt auf: sie haben richtige Berufe! Physikerin, Arzt, Unternehmer. So stellt man sich Persönlichkeiten vor, die dieses Land und seine Menschen repräsentieren könnten. Das unterscheidet sie von den Inkompetenten, die dieses Land irreführen.

 Die glorreichen Drei

Diese glorreichen Drei retten den letzten Rest Ehre der Bundesversammlung. Möge jeder von ihnen auch Stimmen aus dem Lager der Parteigläubigen erhalten: Das sind die Stimmen, die zählen, nicht die befohlenen Stimmabgaben. Sie merken, dass ich Vorbehalte pflege, was ihre Inhalte betrifft. Aber längst geht es darum, ob dieses Land noch eine Wahl hat – oder das Hinterzimmer unter Vorsitz von Saskia Esken entscheidet.

Ach, eine Partei habe ich fast vergessen. Es ist die CDU. Ihre Niederlage ist perfekt. Sie ist fast gleich groß wie die SPD – und ohne Einfluss. Sie hat einen neuen Vorsitzenden der großen Worte. Allerdings findet Friedrich Merz nicht einmal einen eigenen Kandidaten. Er schließt sich der SPD an, wie ein braver Genosse. Merz mag Steinmeier über den Schellnkönig lobpreisen, dessen Wahl als „Zeichen der Kontinuität“ belobigen – welcher Kontinuität? Die der Alternativlosigkeit? Er besingt  bloß seine Schande. Er hat keine Kraft, Alternativen zu formulieren, das müssen andere machen.

Denn Demokratie bedeutet, zwischen Alternativen wählen zu können.

Die CDU unter Friedrich Merz signalisiert: Sie kennt keine.

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