Der preisgekrönte Archäologe und Historiker Ian Morris versucht in seinem neuen, ebenso spannenden wie vielschichtigen Werk eine Antwort auf die Frage „Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden“.
Seine Erfolgsfaktoren im Kampf um Macht sind militärische Stärke, Bildung, Organisationsfähigkeit – und Herrschaft über Energieressourcen. Das zeigt die historische Dimension der Frage, die gerade im populistischen Hauruck-Verfahren gelöst wird: Deutschland wird wegen ihrer Risiken auf die Atomenergie verzichten. Das ist möglich. Wie der „Atomstaat“ sich in die Ökorepublik verwandelt, beschreiben wir ab Seite 22: Der Umbau wird Jahrzehnte dauern, weil Kraftwerkpark und Leitungsnetze umgebaut werden müssen. Es wird teuer, weil die zumindest vordergründig billige Atomenergie durch weniger effiziente Energiegewinnung oder mit aufwendigen Sparmaßnahmen kompensiert werden muss. Das hat massive Auswirkung auf Wohlstand und Arbeitsplätze: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz pumpt schon heute pro Jahr weit mehr als zehn Milliarden Euro von den privaten Haushalten zu den Produzenten regenerativer Energie. (Weil die „Atomkonzerne“ RWE, E.On und EnBW längst in riesige Windparks investieren, ist es ein Treppenwitz, dass sie erneut die Subventionsgewinner sein werden.) Das wird für Otto Normalverbraucherin schnell sehr teuer. Mit rund 18 Prozent Kostensteigerung rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung; das gilt unter Fachleuten als Untergrenze der Erhöhung. Die schnell steigenden Energiekosten für die Industrie werden deren globale Wettbewerbsfähigkeit weiter verschlechtern. Das wird die ohnehin schleichende De-Industrialisierung Deutschlands beschleunigen. Grundstoffindustrien, Metallverarbeitung, aber auch Chemie und Automobilbau stehen zur Debatte. Es wird ein gefährlicher Wettlauf zwischen Arbeitsplatzverlust und erhofftem Aufbau in alternativen Branchen.
Die ehrgeizigen Klimaziele, für die man nun jahrelang geworben hat, sind nicht mehr haltbar, wenn jetzt landauf, landab Gaskraftwerke und alte Kohlestinker angeheizt werden. Wie reagieren die Bürger darauf? Können die neuen Schneisen für die Stromtrassen unter dem Eindruck des Japan-Schocks schneller geschlagen werden? Beerdigen Bürgerinitiativen ihren Widerstand gegen unterirdische CO2-‧Speicher? Da kann man nur hoffen – eher aber könnte sich der Widerstand der neuen Protestgeneration auch gegen jedes beliebige großindustrielle Vorhaben richten: vom Bahnhof in Stuttgart über Kohlekraftwerke hin zu Chemieanlagen mit ihrem ebenfalls gigantischen Gefährdungspotenzial. Dann wird Deutschland zum Stillstandort. Ein Ausweg wäre ein Investitionsbeschleunigungsgesetz, mit dem der grüne Bürgerprotest gegen grüne Energiepolitik niedergebügelt wird. Dann müsste Deutschland mit massivem Polizeieinsatz „grüne“ Kohlekraftwerke und unterirdische CO2-Speicher durchsetzen.
Mit der Energiefrage stellt sich auch die politische Machtfrage. Das bürgerliche Lager ist nach Finanzkrise und Guttenberg-Skandal demoralisiert; die moralisierende Anti-Atom-Keule bringt es zum verstummen. Die kommenden Wahlen werden wohl zu Festspielen rot-grüner Bündnisse. Aber an ihrer Spitze wird nicht mehr wie einst mit Gerhard Schröder ein „Genosse der Bosse“ marschieren – sondern erklärte Gegner marktwirtschaftlicher und wirtschaftsfreundlicher Lösungen. Ein Kanzler Marke Trittin wird nicht nur das Energieproblem lösen müssen, sondern auch soziale Konflikte, wenn ständig wachsende Einkommen als Kitt des sozialen Friedens entfallen.
Hier geht es nicht um die Rettung der Atomkraftwerke. In der aufgeregten Debatte des wohlstandssatten Deutschlands werden Probleme verniedlicht, die von den Wohlstandshungrigen als Chance interpretiert werden. Ian Morris’ Grundmuster der Geschichte zeigen: Aus der Geschichte gibt es keinen Ausstieg. Sie marschiert weiter, oft genug getrieben von launenhaften Narreteien und Zufällen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 19.03.2011)
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