Die nächsten Tage werden spannend – wir erleben eine tatsächlich ernsthafte Europakrise: Schafft es Griechenland am Donnerstag, seine Schulden beim Internationalen Währungsfonds IWF zu begleichen – und eskaliert es wirklich den Konflikt mit Deutschland wegen seiner an den Haaren herangezogenen Reparationsforderung von 280 Mrd. den Konflikt mit Deutschland? Gelingt es Athens Ministerpräsident Alexis Tsipras, bei Russlands Wladimir Putin Kredite oder zumindest niedrigere Gaspreise zu erbetteln? Oder verschafft er sich bei US-Präsident Barrak Obama Unterstützung bei seinen Versuchen, die Europäischen Partner zu weiteren Geldgeschenken zu veranlassen? Und wenn diese Fragen irgendwie, also mit Geld, geklärt sind, kommen schon die nächsten Zahlungsverpflichtungen Griechenlands und weitere Verhandlungen, Erpressungen und Tricksereien, damit das Land an Geld kommt – während seine Wirtschaft verfällt und seine Bürger die daheim dringend benötigten Mittel entweder verstecken oder ins Ausland transferieren. Und dann droht da noch der Brexit.
Alexis Tsipras ist geradezu ein Gottesgeschenk – für alle jene, die den Euro für eine Mißgeburt halten, oder wie es neuerdings der linke französische Umverteilungsökonom Thomas Piketty beschreibt: „Mit der Eurozone haben wir ein Monster geschaffen“. Und die Zahl der Euro-Skeptiker wird jeden Tag genauso länger wie die Liste derjenigen, die sich in ihrer Kritik am Scheitern der Euro-Rettung bestätigt sehen können. Denn mit dem Euro stehen mittlerweile nicht nur eine vermurkste Währungsunion, sondern das Vereinte Europa auf dem Prüfstand. Anders ist es nicht zu verstehen, dass Deutschland ständig angepöbelt wird – gerade so, als ob Deutschland für die griechische Misswirtschaft, Korruption und notorische Steuerhinterziehung verantwortlich wäre. Das Monster ist los in Europa.
Deutschland als Feindstaat
Monster lassen sich nicht zähmen, sie fressen alles auf. Und jetzt zeigen sich in erbarmungsloser Brutalität die Fehler der Währungskonstruktion: Es fehlt an gemeinsamer Wirtschafts-, Finanz-, und Sozialpolitik unter den Mitgliedsländern. Es mangelt an einem Ausgleichsmechanismus: Früher konnten schwache Länder ihre Währungen abwerten und dadurch zwar ärmer, aber insgesamt wieder wettbewerbsfähiger werden. Es mangelt aber auch an einem gemeinsamen Verständnis: Griechenlands neue Regierung versucht gar nicht, den akuten wirtschaftlichen Verfall zu stoppen – sie begreift die gemeinsame Währungsunion offensichtlich als Vehikel, um den Partnerländern in die Tasche zu greifen. Und damit wächst der Euro zu einem Monster heran, das mehr als nur wirtschaftliche Probleme schafft: Gerade Deutschland wird jeden Tag als „Feind“ behandelt, den es anzugreifen, zu beschimpfen und gegen den es eine Allianz zu schmieden gilt.
In dieser Woche hat der stellvertretende griechische Finanzminister wieder eine Rechnung präsentiert, nach der Deutschland zu Wiedergutmachungszahlungen verpflichtet sei – praktischerweise etwa in der Höhe, die derzeit Griechenlands Schulden ausmachen; also fast 300 Mrd. €. Es fällt schon auf, dass Italien und Bulgarien nicht genannt werden, obwohl es Italien war, das zunächst Griechenland überfallen hat und dann in einem Dreierbund mit Deutschland und Bulgarien mit besetzt hielt. Und Alexis Tsipras beschwört die alte Waffenbruderschaft mit Russland gegen die Nazis. Nun sind das ja alles historische Tatsachen, die niemand bestreitet. Es stellt sich nur die Frage, warum das heutige Deutschland als Schurkenstaat gebrandmarkt wird, obwohl es immer ein Viertel der Last getragen hat, die Griechenland der Euro-Gemeinschaft aufbürdet: Denn es war nicht Deutschland, das Griechenland seit 2010 ausgeplündert hat, sondern es war Deutschland, das sich an der Umschuldung und an dem Schuldenschnitt beteiligt hat – 106 Milliarden Schulden Griechenlands wurden so gestrichen. Deutschland trägt auch die Lasten der scheinbar unsichtbaren Lasten der Euro-Rettung mit: Die Folgen der Null-Zinspolitik, der dramatischen Geschwindigkeit des äußeren Währungsverlustes durch Abwertung und die heraufziehende Gefahr einer dramatischen Inflation.
Aber der Hass sitzt tiefer
Statt Europas Einigung zu vertiefen, hat das Monster Euro die diabolische Fähigkeit, die Einheit zu zerstören. Mir fällt jedenfalls kein Konflikt ein, der mit einer derart zerstörerischen Dynamik betrieben worden wäre wie der derzeitige auf Deutschland als Gegner gerichtete Krieg der Worte Griechenlands. Es zeigt sich, dass damit auch jenes Maß an politischer Identität, Integrität und Gemeinschaftssinn fehlen, das die zwingende Voraussetzung für eine gemeinsame Währungsunion darstellt. Die einen zahlen – die anderen kassieren: Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Deutlich wird auch, dass die Konflikte der griechischen Innenpolitik auf Europa und die Währungsunion übertragen werden. Der gemeinsame Kampf Griechenlands und Russlands gegen Deutschland, den Tsipras jetzt beschwört, mündete nach dem Weltkrieg ab 1946 in einen Bürgerkrieg. Er soll weit mehr als 100.000 Todesopfer gefordert haben und hinterließ nach der Niederlage der moskautreuen Volksfront ein vollständig zerstörtes Land – auch innenpolitisch: Die damaligen Verlierer sind heute in der Regierungszeit und rächen sich an den damaligen Gewinnern, die ihrerseits die Verlierer grausam gequält und gefoltert hatten. Griechenland hat diesen Konflikt nie verarbeitet – und die alten Verletzungen werden jetzt gerächt. Das erklärt die gnadenlose Unbedingtheit eines Alexis Tsipras – unter den schicken Maßanzügen verbirgt sich der jahrzehntelange Hass des Bürgerkriegs.
Und im Konflikt um den Euro bricht dieser Hass europaweit hervor. Auch in Portugal und Spanien, Länder, die nun gewiß nicht von der Wehrmacht besetzt waren, wird eine aggressive Germanophobie zur Schau getragen, wird Angela Merkel wie selbstverständlich mit den Nazis gleichgesetzt. Ähnlich in Italien und Frankreich, wo immer wieder Parallelen zwischen dem braunen Massenmord und der schlichten und berechtigten Frage gezogene werden: Wer soll wessen Schulden bezahlen? Eines ist gewiss: Ein Friedensprojekt ist der Euro nicht, ganz gewiss nicht. Er ist eher eine Quelle des Hasses und der Spaltung Europas.
Die Verkehrung von Ursache und Wirkung
Es ist ein Meisterstück der politischen Propaganda, wie es Griechenland geschafft hat, Ursache und Wirkung zu verkehren. Irgendwie werden wir Deutschen dafür verantwortlich gemacht, dass Griechenland zu viel Schulden gemacht hat. Deshalb ein paar Zahlen zur Erinnerung: Griechenland hat bis 2005 ungeheure Schulden aufgehäuft – und im Zuge der Finanzkrise und dem wachsenden Bewutsein für Risiken drohte Griechenland der Staatsbankrott. Es war niemand mehr bereit, dem Land Geld zu leihen. Ein Staatsbankrott wäre 2005 ziemlich unangenehm gewesen: Keine Löhne und Gehälter in Griechenland, temporärer Zusammenbruch seiner Wirtschaft – und auch mögliche Bankpleiten in Deutschland und Frankreich. Damals erschienen der Bundesregierung diese Risiken so gewaltig, dass in mehreren Stufen ein gewaltiges Rettungspaket geschnürt wurde.
Insgesamt 330 Milliarden Euro haben die europäischen Länder, die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds Griechenland geliehen, um es vor dem Staatsbankrott zu bewahren. Daran knüpfen sich ein paar Fragen: Warum reicht diese ungeheure Summe, und zwar je Griechen 32.000 Euro nicht? Wo ist das Geld in Griechenland versickert, wer hat es? Und bitte nicht die Antwort, die Banken: Deren Schulden haben die Gläubiger der Troika übernommen – nach einem SChuldenschnitt. Und nächste Frage: Seit 2012 haben sich die Schulden Griechenlands noch mal um 40 Milliarden Euro erhöht. Nennt man das sparen? Ist das die gefürchtete Austeritätspolitik? Noch mehr Schulden machen – das ist sparen. Im Zuge des ersten Schuldenschnittes wurden Griechenland 70 Prozent der Schulden bei privaten Anlegern erlassen; insgesamt rund 107 Milliarden Euro. Beim zweiten Schuldenschnitt hat der deutsche Fiskus weitere 26 Milliarden verloren. Jedem Griechen wurden also 13.000 Euro geschenkt, was sicherlich rechtfertigt, jetzt einen dritten und vierten Schuldenschnitt zu fordern, damit sich diese Summe auf annähernd 50.000 Euro erhöht. Darum geht es in den kommenden Monaten.
Es geht aber erst richtig los mit der Finanzierungslücke
Ist damit eine Ende erreicht? Keineswegs. Nach wie vor gibt Griechenland 20 Prozent mehr aus, als es erwirtschaftet. Jeder Konsum-Euro in Griechenland wird mit 20 Cent vom europäischen Steuerzahler ergänzt. So lässt sich schön wirtschaften. Diese Lücke wird sich erhöhen. Denn die griechischen Sozialisten zerstören ja munter die Wirtschaft des Landes. Steuern werden nicht eingetrieben, sondern sollen zur Hälfte erlassen werden. Bürger heben ihr Geld ab und fliehen damit, Unternehmen kürzen ihre Investitionen, ach was: Sie hören einfach auf. Es geht erst richtig los. Es ist gar nichts gelöst worden. Nichts, nada, niente, típota, null. Griechenland ist das, was man ein Fass ohne Boden nennt. Oben europäisches Geld rein, unten raus an die Klaukratura von Athen. So lange Griechenland im Euro bleibt, kann sich seine Wirtschaft nicht erholen. Die Klaukratura in Athen will aber genau das, weil so ihre Gehälter in € ausgezahlt werden, auf mitteleuropäischem Einkommensniveau, und nicht in sich entwertender Drachme. Europa zahlt dafür, weil angeblich keiner den Geleitzug Euro verlassen darf. Der Euro ist aus Sicht der neuen griechischen Regierung ein Geldautomat – wer die PIN kennt, holt raus, was drin ist. Und mit der Zusicherung der Bundeskanzlerin, sie werde mal wieder alles tun, damit Griechenland im Euro bleibt, hat sie die PIN an Athen gegeben. Diese Krise ist auch eine Krise der Bundeskanzlerin.
Brexit statt Grexit
Man kann dieses Schauspiel nur mit Staunen und Schaudern betrachten. Das findet gerade in Großbritannien übrigens statt. Die Lächerlichkeit des Euro-Chaos ist Wasser auf die Mühlen derjenigen jenseits des Kanals, die ohnehin den Brexit, also den britischen Austritt aus Europa betreiben. Am 7. Mai sind Wahlen. Die Europagegner scheinen Oberwasser zu kriegen; aber wichtiger als gewonnen Unterhaussitze ist, dass der Ausstiegskurs auch die anderen Parteien unter Druck setzt – der Brexit gewinnt Anhänger in allen Parteien. Und das ist die eigentliche schlechte Nachricht: Der Grexit wäre nur eine historische Fußnote oder wirtschaftliche Randnotiz – aber der Brexit, der Austritt Großbritannien aus der EU, ein echter Verlust für Europa: Die Insel ist dabei, Frankreich als zweitgrößte Wirtschaftsmacht Europas nach Deutschland zu überholen; es ist eine Atommacht und global bestens vernetzt. Diese Bedeutung sollte man nicht unterschätzen – vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Welt nicht friedlicher wird und die Bundeswehr faktisch nicht mehr einsatzfähig ist. Zudem ist Großbritannien marktwirtschaftlich orientiert und bildet damit das Gegengewicht zum etatistischen Frankreich. Mit Großbritannien würde Europa eine wirkliche Säule verlieren. Und machen wir uns nichts vor: Auch für jeden Europafreund ist das Griechenland-Chaos einfach nur abstoßend und enttäuschend. Argumente für den Verbleib der Briten jedenfalls lassen sich nicht ableiten. Während man sich so den Grexit geradezu herbeisehnt, droht der Brexit – eine echte Katastrophe.
Meine Prognose ist pessimistisch: Irgendwie wird man den Griechen mit viel Geld aus Europa wieder den Bankrott ersparen. Die Bundeskanzlerin hat nicht mehr die Kraft, die Fehler ihrer Politik einzugestehen und gar zu korrigieren.
Aber das Monster wird nur vorübergehend gesättigt sein. Vertrauen ist zerstört und die Grundübel bleiben. Das Monster schläft nur – es zeigt sich, dass viele sich darin getäuscht haben, wenn sie im vergangenen Jahr die Euro-Krise für überwunden hielten. Vor allem aber: Diese übliche, verschwurbelte Retterei zu Lasten der deutschen Steuerzahler und Volkswirtschaft ist das letzte Argument, auf das die Briten noch gewartet haben.
Und das ist der eigentlich Preis für die Rettung Griechenlands – das sollten sich alle jene naseweisen Politiker hinter die Ohren schreiben, die wie die Grünen-Chefin Kathrin Göring-Eckart einen Grexit für „unverantwortlich“ hält und sagt, man könne Griechenland nicht „rausschneiden wie einen Blinddarm“. Man muß es. Denn es hat Europa vergiftet und Europa von der Wertegemeinschaft zur Zahlergemeinschaft verzwergt.
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