Nach dem Schock der Finanzkrise ist die Weltöffentlichkeit aufgerüttelt: Dem drohenden „Weltwährungskrieg“ widmen sogar die Wirtschaftsweisen ein ratloses Kapitel in ihrem jüngsten Jahresgutachten. Es ist ein apokalyptisches Sprachbild. Tatsächlich hat die Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre auch zu währungspolitischen Auseinandersetzungen und zu Handelskriegen geführt. Die Welt wurde ärmer, und die sozialen Spannungen waren einer der Gründe, die ausgehend von Deutschland zum Zweiten Weltkrieg führten. Sind wir schon wieder so weit?
Wir sollten es gelassener angehen lassen. Diesmal wird die Welt nicht ärmer – sondern wohlhabender. Einer der Hauptgründe für die währungspolitischen Spannungen ist das starke Wirtschaftswachstum Chinas. Aber China hat die Bühne der Weltwirtschaft gerade vor kurzen zwei Jahrzehnten betreten. Der Aufstieg vom Habenichts zur größten Exportnation in dieser kurzen Zeitspanne kann nicht glatt und störungsfrei vor sich gehen. Dieses Wachstum ist erkauft durch niedrige Wechselkurse, die den Export begünstigen – ein Weg zum Wachstum, den bekanntlich auch Deutschland nach 1945 ähnliche lange 20 Jahre beschritten hat. Das als so übermächtig wahrgenommene China ist zu weiterem Wachstum geradezu verdammt: 200 Millionen Chinesen leben von rund einem Dollar am Tag. Von dieser Hungerbasis ausgehend, entsprechen zehn Prozent Wachstum dem Wert eines Extra-Keks zum Kaffee in den reichen Starbucks-Ländern. China ist, um seine Massen zufriedenzustellen, verdammt zum Wachstum und hat errechnen lassen, dass eine 20-prozentige Aufwertung des Yuan in Amerika kaum Arbeitsplätze schaffen würde – aber in China Beschäftigung und Wirtschaftsleistung um drei Prozent fielen. Es ist es ein gutes Zeichen, dass China trotzdem eine schrittweise Aufwertung zulässt und versucht, vom Exportwachstum auf Konsum umzuschalten. Etwas Verständnis für die Verwerfungen hilft bei der Bewertung.
Auch das Anwerfen der Notenpresse in den USA, worüber sich neuerdings deutsche Regierungsvertreter so erregen, ist aus amerikanischer Sicht so verkehrt nicht: Dort droht keine Inflation, nirgends. Im Gegenteil – dort taumelt die Wirtschaft eher in die gefährliche Abwärtsspirale einer Deflation. Der schwache Dollar ist kein unfairer Währungstrick – sondern eher ein Ausdruck für wirtschaftliche Schwäche, und die Geldpolitik so ziemlich das letzte zur Verfügung stehende Mittel, den wirklichen Absturz zu verhindern.
Deutschland ist in dieser globalen Lage eher ein Trittbrettfahrer. Chinas Exportartikel werden auf Maschinen „made in Germany“ gefertigt, und die neuen Superreichen in Shanghai lassen sich im BMW, Mercedes oder Audi chauffieren. Sollte in den USA die Wirtschaft und Nachfrage wieder anziehen, nun gut, dann müssen die Exportfrachter aus Hamburg und Bremerhaven auf den Weltmeeren statt linksrum wieder rechtsrum Kurs nehmen. Die Weltwirtschaft spaziert nicht auf einem gepflasterten Wachstumspfad, den Ökonomen so gerne zeichnen – sondern schaukelt sich mit regionalen Blasen und Verwerfungen hoch. Das führt zu schlaflosen Nächten – aber ist kaum vermeidbar. Es mag erschreckend sein, wie abhängig die großen Wirtschaftsregionen der Welt voneinander sind. Und es ist schwer zu entscheiden, wer stärker vom anderen abhängt: China von Amerika als Absatzmarkt oder Amerika von China als Kreditgeber.
Diese Abhängigkeit hat seit den Dreißigerjahren dramatisch zugenommen – und das Verständnis dafür ebenso, wie das G20-Treffen in Seoul zeigt. Auch globale Instrumente und Abstimmungsmechanismen gibt es ausreichend. Letztlich kann kein Land mehr ohne katastrophale Folgen aus diesem globalen Gleichgewicht der Blasen ausbrechen und ist auf Kooperation und Kompromisse angewiesen.
Im Kalten Krieg hat die Angst vor der Bombe zum Frieden gezwungen. Heute ist es die Angst vor dem Platzen einer Blase am anderen Ende der Welt.
(Erschienen am 13.11.2010 auf Wiwo.de)
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