Ernsthaft diskutieren kann man heute Politik nicht. Gewichtige Fragen stehen auf dem Index. Wer sie stellt zu Kosten und Konsequenzen des Kernkraftausstiegs, ist sofort ein Atomknecht.
Mit Nachfragen zur Frauenquote entlarven sich Chauvi-Schweine. Nun haben Frauenquote und Kernkraft eigentlich nichts miteinander zu tun, aber Sachzusammenhänge lösen sich im ganzjährig totalen Karneval ohnehin auf: Dass eine Reaktorkatastrophe in Japan zum Ende eines Bahnhofs in Schwaben führen kann, ist eine so absurde Kettenreaktion, dass sie bislang nur im Kabarett Lacher ausgelöst hätte. Deutschland befindet sich in einem bizarren Stimmungstaumel, den ich so nur aus dem Kölner Karneval kenne: „Drink doch ene met, stell dich nit esu ann.“
Ja, wer will sich denn so anstellen und immer auf Konsequenzen, auf die Zeche am Ende eines trunkentollen Tages verweisen, wo doch plötzlich alles möglich und machbar erscheint: Der Kicher-Virus hat auch die Bundesregierung angesteckt, es ist, als ob mit dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin der anarchische rheinische Frohsinn wie eine Influenza an die Spree verschleppt worden wäre – um im dortigen Feuchtbiotop urplötzlich, ungehemmt von Tradition und Kalender zum Dauerzustand aufzuwachsen.
Wenn es nach Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner geht, werden künftige Kostensteigerungen nicht auf die Preise umgelegt. Geht doch, oder? Die Kanzlerin, die uns schon mächtig strapaziert hat mit ihrer staubtrockenen, nüchternen, ihrer genau kalkulierenden Gelassenheit, schreddert sowohl ihr bisheriges Energieprogramm wie auch ihre politische Verlässlichkeit in nur einer Nacht zu Konfetti. Die Wutbürger von Stuttgart mit ihren belächelten Aufwallungen werden im gesamtgesellschaftlichen Karnevalsumzug zum Gesetzgeber, die Parkschützer zu Ordnungskräften.
Die Selbstdarstellung von Guido Westerwelle und seinen Jungs als blau-gelbe Funken, die uns weismachen wollen, sie wären schon lange vor den Grünen für den sofortigen Atomausstieg gewesen, veranlasst zur stillen Einkehr: Das berüchtigte Guido-Mobil, das war er also doch, voll und ganz, das bemüht vorgeführte Staatsmännische nur die Maskierung eines lustigen Clowns. Dass Westerwelle und Merkel Deutschland von seinen Verbündeten innerhalb der EU und der Nato in der Libyen-Frage vollständig isoliert haben wie sonst nur das Fürstentum Liechtenstein in Steuerfragen – was soll es. „Et hätt noch immer jot jejange“, schmettert der Rheinländer jeder Krise entgegen. Die internationale Verlässlichkeit Deutschlands, wirtschaftliche Vernunft und kühles Abwägen von Alternativen – dafür steht nur noch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, den viele für unernst hielten. Neuerdings ist Ernsthaftigkeit kein Wert mehr, gilt doch: „Loss mer fiere“, lasst uns feiern!
Der Jubel der SPD-Spitze über den eigenen Stimmenverlust zugunsten der Grünen ist ein Showact zwischen Harakiri und politischer Travestie-Nummer. Ganz ernsthaft: Sollte die SPD nach dieser Implosion nicht besser die Aufnahme als Arbeitskreis für Hartz-IV-Fragen bei den Grünen beantragen?
Zu kurzfristig, dies allein auf Fukushima zu schieben. Die Parteien murksen; im auffrischenden Gegenwind räumen sie Positionen, für die sie gewählt wurden, und vergessen, dass das Original immer beliebter ist als die Kopie. Es ist aber auch eine kulturelle Zeitwende. Die Ökologie mit all ihren Fantasien, Heilsversprechungen und Ungereimtheiten mutierte zur gesamtgesellschaftlichen Utopie und Ideologie. Die hässliche Industriegesellschaft wird auf freundliche Sonnenkollektoren und Windräder reduziert. Die letzte relevante Kraft sind die Grünen. In ihren Händen liegt es, grüne Hoffnung mit Machbarem zu verbinden. Ihre Konkurrenten haben abgedankt wie das Kölner Dreigestirn am Aschermittwoch.
Helau und Alaaf. Und der Kater am Tag danach, wenn gerechnet wird? Keine Sorge, die Frauenquote wird alles zum Guten wenden. Glauben Sie mir.
(Erschienen auf Wiwo.de am 02.04.2011)
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