Wie gut ist Bio wirklich, und hilft Nachhaltigkeit bei Zukunftsfragen? Auch ökologische Themen müssen jetzt ökonomisiert werden.
Bio, Nachhaltigkeit und Grün stehen für das Gute, den Fortschritt, das Überleben der Menschheit. Es schwingt ein wohliger Grundklang mit diesen Begriffen, der sich so hoffnungsfroh und idealistisch abhebt vom kalten Leben der Technokratie im globalen Kapitalismus. Aber viele Apologeten der grünen Revolution und Minnesänger der Nachhaltigkeit sind nachdenklich geworden – und ungewohnt selbstkritisch. Es klaffen Widersprüche zwischen dem so leidenschaftlich Gewollten und dem hässlich Erreichten: Der Bioladen an der Ecke verschwindet, seit die Supermarktketten die Preisschlacht mit ihren Bioregalarmeen gewinnen. Wegen Biodiesel hungert die Welt; dem Bioschwein geht es keinesfalls besser als dem im Traditionsstall. Zwischen gleißenden Solarfeldern, heulenden Windrädern und gigantischen Hochspannungsleitungen fühlen sich immer mehr Menschen als bedrohte Art, die allerdings keine Fürsprecher findet. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat mal neue Technologien gefördert; längst ist es eine Umverteilungsmasche geworden zugunsten weniger und zulasten vieler. Nachhaltigkeitsgeldanlagen finanzieren Atomstrom und Automobilunternehmen. Die Liste der Widersprüche ist endlos. So hat man sich das alles nicht vorgestellt – was ist denn nun wirklich ökologisch, und wann wird die Lösung zum Problem?
Fast 80 Prozent der Top-Manager sind überzeugt, dass Nachhaltigkeit Motor für Innovationen und langfristiges Wachstum ist, so eine Studie, die wir in unserem Sonderheft “WirtschaftsWoche Green Economy” zitieren, und dem passen sie ihre Geschäftsmodelle an. Nachhaltigkeit ist im Herzen der Wirtschaft angekommen – und diese Quantität schlägt in eine neue Qualität um: Wer sich noch über ein einzelnes Windrad gefreut hat, mag verzweifelt sein, wenn die schönsten Wälder und wildesten Küstenstriche verspargelt werden. Wenn ein Kriterium zum Maß aller Dinge wird, schlägt es ins Maßlose um – das ist das Dilemma der großtechnisch ausgerollten erneuerbaren Energien, die so gar nichts mit Dezentralität und Graswurzeln zu tun haben, und das ist beim Biobauer nicht anders: Massenproduktion zertrümmert die Idylle vorindustrieller Spitzweg-Bilder. Bio ist eben nicht automatisch gut. Wenn der Massenkonsum Biokäse fordert, ist es vorbei mit der Dorfkäserei. In Umfragen, die sie nichts kosten, zahlen Konsumenten gerne mehr für ethische Produkte – an der Kasse aber geizen sie trotzdem mit jedem Cent. Die Moral bleibt auf der Strecke, wenn überzogene Erwartungen erst geweckt und dann vermarktet werden.
Wenn “Greenwashing” Riesenprofite verspricht, wird die Moral von Biobauern so biegsam wie die von Investmentbankern. Und dann das Kontrollproblem: Seit man Bioprodukte genauso scharf analysiert wie die herkömmlich erzeugten, stellt man fest: Im Bioei lauert mehr Dioxin als in dem aus der Legebatterie. Längst ist Bio Teil des Welthandels mit Biobohnen aus Äthiopien und Biohonig aus China. Ökologische und ethische Standards sind global kaum kontrollierbar, wie unser Report über asiatische Textilfabriken zeigt: Labels und Siegel halten meist nicht das, was sie versprechen.
Ist nun auf einmal Bio schlecht und Nachhaltigkeit für die Katz? Natürlich nicht – aber es ist nicht automatisch gut oder besser: Ertrag und Folgewirkungen müssen abgewogen und ganzheitlich bewertet werden. Aber Ökologen müssen nur das, was sie von anderen verlangen, auch selbst einlösen, Transparenz, vernetztes Denken, Selbstkritik und Anpassungsbereitschaft beweisen. Es geht um die notwendige Entideologisierung von Verhaltensweisen, die in der Nische anders wirken als flächendeckend. Man kann Fehlentwicklungen wie Biodiesel oder Solarförderung auch umkehren – hier geht es nicht um grünen Strom, sondern um betongrüne Besitzstandswahrung.
Die Ökologie muss ökonomisiert werden. So schwer kann es ja nicht sein, die Welt etwas besser zu machen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 22.09.2012)
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