Einwanderung: Zwischen Selektion und Humanismus

Das Mittelmeer als Wohlstandsgrenze

Die Debatte über Einwanderung läuft wieder heiß. Manche fürchten sich vor den kulturellen Folgen; „Überfremdung“ hat man es noch in den 80er Jahren genannt; „Das Boot ist Voll“ war das Schlagwort in den 90ern; die Angst vor Islamisierung treibt heute die Menschen auf die Straße. Und in die hitzige Debatte werden dann Studien eingebracht, die den Wert von Zuwanderern berechnen. Ehe man sich mit Zahlen im Detail befasst, sollte man allerdings einige grundlegende Dinge auseinanderhalten – Einwanderung ist nicht gleich Einwanderung. Diese Unterschiede sollte man auch in einem Einwanderungsgesetz berücksichtigen, das jetzt endlich diskutiert wird.

Nach wie vor steht in Deutschland für Flüchtlinge das Tor vergleichsweise offen. Es ist die gute Tradition eines Landes, das viele seiner besten Söhne und Töchter im Nationalsozialismus vertrieben hat. Viele Juden und Nazi-Gegner die durch die letzten Schlupflöcher nicht entwischen konnten, die den Weg nach Skandinavien, oder via Portugal in die USA und als allerletzte Möglichkeit  über Albanien in die Türkei nicht gefunden haben, wurden ermordet. Andere haben das seelische Elend der Emigration nicht überlebt; Joseph Roth hat sich in Paris mit Absinth selbst ermordet; Ernst Toller in New York zur Pistole gegriffen, Stefan Zweig sich in Rio de Janeiro mit Veronal vergiftet. Oskar Maria Graf wurde in den USA nie heimisch und durchstreifte so trotzig wie traurig Manhattan in seiner Lederhose im Starnberger Trachtenstil. Dieser Schmerz haben die Literaten dieser Zeit in unsere Erinnerung eingeschrieben und damit in unser kollektives Gedächtnis gebrannt – hoffentlich noch immer. Aber Flüchtling ist nicht Flüchtling. Politisch Verfolgte geniessen Asyl; Wirtschaftsflüchtlinge nicht. Deswegen diese seltsame Kombination aus Offenheit – und kleinlichster bürokratischer, oft schikanöser Kontrolle von Flüchtlingen: Man will Wirtschaftsflüchtlingen den Zugang in den Sozialstaat verwehren, aber wirklich Verfolgten ein neues Leben ermöglichen. Die Abgrenzung ist nicht leicht. Schließlich ist es nicht verwerflich, vor Not und Elend zu fliehen um eine bessere Zukunft zu erwerben. Politische Flüchtlinge haben es unumstritten verdient, dass wir unseren Geldbeutel und unser Herz öffnen wie unser Land. Sie müssen sich für Deutschland nicht „rechnen“, so wie wir nicht nachrechnen, ob der Einsatz des Notarztes rentabel ist im Sinne der Erhaltung einer Arbeitskraft. In vielen Fällen wird die Bilanz trotzdem günstig für Deutschland ausfallen. Motivierte Menschen braucht dieses Land. In vielen Fällen werden die Flüchtlinge immer auf Hilfe angewiesen sein, weil ihnen die Fähigkeit fehlen, die eine hochmoderne Industriegesellschaft verlangt. Aber wie gesagt – die Bilanz sollte gar nicht erst versucht werden.

Auch Deutsche sind Wirtschaftsflüchtlinge

Aber seit 1955 sucht Deutschland auch Arbeitskräfte; also Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen. Auch das ist kein neuer Vorgang. Schon vor dem 1. Weltkrieg war Deutschland das größte Auswanderungsland der Welt; viele Deutsche suchten in den USA, Kanada und Südamerika ein besseres Leben. „Das Land treibt seine Kinder fort“, schrieb damals der große Ökonom Werner Sombart. Gleichzeitig war Deutschland nach den USA das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt – Polen und Galizien, Russland und Serbien, die Tschechei waren die Regionen, die ihre Kinder in den Westen trieben, nach Deutschland in eine bessere Welt. Länder mit Zukunft saugen die Menschen an. Noch vor fünf Jahren hat Deutschland deshalb sogar Menschen verloren: Viele junge Deutsche mit türkischer Herkunft wanderten in das Land ihrer Eltern zurück. Die Schweizer begannen, sich vor der Überfremdung durch deutsche Ärzte und Kellner zu fürchten.

Die Wanderung aus wirtschaftlichen Motiven lässt sich berechnen und darf berechnet werden. Hier dürfen Kosten und Erträge verglichen werden. Es ist das gute Recht, das sich viele Einwanderungsländer herausnehmen, nur die zu holen, von denen man annimmt, dass sie für die neue Gesellschaft einen „Mehrwert“ schaffen. Hier fällt die Bilanz für Deutschland zwiespältig aus. Einerseits – ohne  Gastarbeiter und deren Kinder und Enkel wäre dieses Land  gar nicht mehr betriebsfähig. Machen wir uns nichts vor – ohne Zuwanderung wären der demographische Hedonismus Deutschland und dieser Sozialstaat schon lange in die Knie gegangen oder hätte andere Anforderungen an die Empfänger von Sozialleistungen stellen müssen. Längst stellen Zuwanderer auch viele der hellsten, kreativsten und klügsten Köpfe, deren unternehmerischer Geist Fortschritt produziert.

Folgen der Uneinigkeit

Andererseits hat Deutschland wegen seiner humanen Tradition nie die Zuwanderung insgesamt geregelt. Sie verläuft zufällig, chaotisch, oft willkürlich ab. Lange war die Forderung nach einer systematischen Steuerung der Zuwanderung im Interesse Deutschlands geradezu verpönt. Multikulti galt als Wert an sich; ungeachtet der wirtschaftlichen und sozialen Umstände. Gleichzeitig wurde beispielsweise ausländischen Studenten zwar das Studium finanziert und das Diplom verliehen,  aber danach die Aufenthaltsgenehmigung verwehrt. Die USA sind da schon viel länger viel klüger – sie bemächtigen sich der klügsten Köpfe der Welt, und versuchen Leistungsschwächere abzuwehren, bauen sogar Zäune und Schutzanlagen gegen südamerikanische Zuwanderer. Es ist ein streckenweises brutales Vorgehen; tatsächlich eine Selektion von Menschen in der grausamen Wahrheit des Wortes. Vom globalen „Brain Drain“, dem fast gewaltsamen Absaugen der besten Köpfe der Welt durch die Einwanderungsländer USA, Kanada und auch Frankreich ist Deutschland weit entfernt. Deutschland war die letzten Jahre eher der Magnet für jene, die Deutschland mehr brauchen als Deutschland sie.

Globale Ryan-Air-Migration

Neuerdings hat sich die Migration erneut verändert. Sie ist flüchtiger geworden. Wer früher in Bremen ein Schiff bestieg hat seine alte Heimat nie mehr wiedergesehen. Heute gibt es die Ryan-Air-Migration; die temporäre Migration, die sich an den Verdienstmöglichkeit der globalen Ökonomie ausrichtet. Sie kommt und sie geht mit den Jobmöglichkeiten; Arbeitskräfte fliegen ein und wieder aus. Sie machen die Arbeit, aber mit ihnen ist kein Staat zu machen, wie es richtigerweise CDU-Generalsekrtär Peter Taubert beschreibt: „Eine Nation braucht, wenn sie auch schwierige Zeiten überstehen will, Bürger, die sie dann tragen und ein positives Staatsverständnis haben.“

Allerdings kann man sich auch solche Neu-Bürger nicht schnitzen, man kann sie nicht dadurch gewinnen, dass man Pässe verschenkt wie billige Ramschware. Zu lang wurde die notwendige Integration als böse „Assimilierung“ denunziert, wurden Sprachkenntnisse und ein Bekenntnis zur neuen Heimat von Grünen und vielen Sozialdemokraten bekämpft. „Nation-Building“ ist eine schwere Aufgabe auch für ein Land wie Deutschland, das aus eigener demographischer Kraft nicht mehr lebensfähig ist.

Deutschland bräuchte eine breite Debatte über Ursachen und Folgen der verschiedenen Motive und ihrer Konsequenzen. Wir waren schon einmal so weit. Die  Süßmuth-Kommission legte 2001 ein Punkte-System vor, um Tüchtige ins Land zu lassen und Hilfskräfte fern zuhalten. Dieser kühle Gedanke war damals nicht mehrheitsfähig. Rotgrün hielt an der Multi-Kulti-Illusion fest und wollte Menschen nicht bepunkten. Den Konservativen ging es zu weit, weil Deutschland kein Einwanderungsland sein sollte, obwohl es das immer war und ist.

Dabei sollten wir diese Überlegungen wieder aufgreifen.

Wir sollten bedenken: Wer spitz rechnet macht die Mittel frei, um an anderer Stelle großzügig sein zu können. Insoweit sind Asylrecht und Wirtschaftswanderungsrecht kein Widerspruch.

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