Auf Knien vor Beijing

Königin Elizabeth wirft sich dem großen Drachen zu Füßen – oder wie es ist, wenn die Globalisierung zurückschlägt.

Königin Elizabeth hatte Kopfschmerzen. Sie kniete seit 20 Minuten auf dem Pier, das Gesicht auf die hölzernen Planken gedrückt. Doch offensichtlich gab es ein Problem auf der Themse, da das Flaggschiff der chinesischen Kriegsflotte zu groß war, um in den East India Docks vor Anker zu gehen. Und dann stand Qiyings Gesandter vor ihr, so dicht, dass Elizabeth die Stickereien auf seinen Pantoffeln sehen konnte, kleine Drachen, die Rauch und Feuer spuckten. Der Gesandte las mit monotoner Stimme die offizielle Bekanntmachung aus Beijing vor. Elizabeth habe um die Gunst gebeten, Tribut und Steuern zu bezahlen, äußersten Gehorsam zu leisten, und der Kaiser habe sich bereit erklärt, ihr Land als eines seiner untergeordneten Herrschaftsgebiete zu behandeln und den Briten die Erlaubnis zu erteilen, sich der chinesischen Lebensweise zu befleißigen.

Ein grausames Jubiläum für eine greise Königin. Sie haben es gemerkt, hier liegt eine doppelte Verfremdung vor. Der Historiker Ian Morris beschreibt in seinem monumentalen Werk “Wer regiert die Welt?” fiktional den 3. April 1848; damals brachten britische Teehändler eine chinesische Dschunke nach London, und Königin Victoria und Prinz Albert gehörten zu den Gaffern. Es waren die Jahre, in denen das britische Empire das chinesische Kaiserreich zerschlug und im Opiumkrieg erzwang, dass China den bedingungslosen Tausch des Rauschmittels für chinesischen Tee und Seide erlauben musste. Morris wollte zeigen, welchen Verlauf die Weltgeschichte hätte nehmen können, wenn aus der Bataille im Perlflussdelta im Juni 1840 China als Sieger hervorgegangen wäre. Der Text liest sich so aktuell, dass er auch für ein 70-jähriges Thronjubiläum 2022 passen könnte: Noch einmal zehn Jahre Wachstum in China und ein weiterer Abstieg Europas, und das nächste Thronjubiläum von Elizabeth II. wird sicherlich weniger freundlich aussehen als die Schiffstour auf der Themse vergangene Woche.

Die Welt dreht sich weiter. In der ersten Runde eroberte Europa die Welt, und London wurde zur Hauptstadt des weltumspannenden britischen Empire. In der zweiten Runde nach dem Ende des Kalten Krieges traten zwei Milliarden Menschen aus dem Sozialismus in die Freiheit und möglichst in die Dienste europäischer und amerikanischer Unternehmen, die diese Menschen als Billigarbeiter und die Länder als billige Werkbänke benutzten. Das ermöglichte der Kundschaft zu Hause eine Phase des Billigkonsums: Zwar fielen Arbeitsplätze in der Industrie weg, aber billige Kredite finanzierten einen noch nie da gewesenen Massenwohlstand an Konsumgütern jeder erdenklichen Art.

Werkbänke zu Weltmächten

Jetzt beginnt eine dritte Phase, die wir in einer Serie beschreiben: Die einstigen Billiglieferanten schwingen sich zu Weltmarktführern auf. 40 bis 50 aufstrebende Staaten etablieren sich als Zukunftsmärkte und Machtfaktoren. Europa erlebt diese Globalisierung politisch als Schock: Die aktuellen Konflikte im Iran und in Syrien, also direkt vor der Haustür, werden nicht mehr europäisch gelöst, sondern maßgeblich von China und Russland beeinflusst. Machtpolitik verändert die Welt stärker als Warenströme. Das nordatlantische Modell freier Märkte mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist nicht mehr unumstrittenes Vorbild – sondern ein Auslaufmodell. Und Europa, konstatiert der frühere französische Außenminister Hubert Védrine im “Cicero”, erlebt einen “zweiten historischen Schock”: Das Wohlfahrtssystem ist nicht mehr konkurrenzfähig, der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar und auch konservative Regierungen sind längst abhängig vom Heroin der globalen Finanzmärkte. Ermutigend, dass Deutschlands Unternehmen bislang auf der Gewinnerseite stehen. VW beruft einen China-Vorstand, Post-Chef Frank Appel übt schon mal, wie es sich anfühlt, seinen gelben Riesen aus Shanghai zu dirigieren. Nur unsere Politik streitet um Strommasten und Betreuungsgeld.

(Erschienen auf Wiwo.de am 09.06.2012)

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