Wenn schon Wirtschaft, dann bitte nur reguliert, gezähmt, sozial und ökologisch; gerne auch feministisch. Wie weich geht Wirtschaft?
Deutschland erlebt ein Sommermärchen – und das geht so: Weltmeister im Fußball, im Export, Europameister in Beschäftigung und Wachstum. Aus dem perfekten Teamspiel der ebenso freundlichen wie effizienten Fußballmannschaft schließen weltweit Kommentatoren auf „Made in Germany“ und das deutsche Modell: Endlich sind wir Vorbild. Innenpolitisch fehlen Zank und Zwist: Wenn die Kanzlerin im Public Viewing auf den Riesenfernsehwänden erscheint, klatschen die Menschen Applaus. SPD und CDU bilden eine Wohlfühl-Union, die in den ersten Monaten mehr Sozialleistungen verfügt hat als seit den Siebzigerjahren; selbst das bisschen Opposition ist manierlich und fordert allenfalls mehr von demselben.
Wer mag da schon meckern, im Miesmachen sind wir ja sowieso Weltspitze. Aber mulmig werden könnte einem ja schon, wenn man sich vorstellt, diese untreue Göttin Fortuna hätte nicht Mario Götzes Schuh beflügelt, sondern Messi zu einem Treffer verholfen; zitternahe dran war er ja. Den Katzenjammer könnte man vermutlich im Bruttosozialprodukt nachvollziehen. Eine kleine Bankenkrise in Portugal lässt kurz mal den Dax einknicken; der Riesenkonzern VW verordnet seinen Werken eine Sparkur, die eine rote Schleifspur durch das Land ziehen wird. Dabei liegen die Risiken weniger in den Konzernen und bei den Mittelständlern, die in ihren Fabriken die Perfektion noch etwas perfekter hingetüftelt haben und mit ihrem globalen Verständnis Krisenherden ausweichen und neue Chancen immer wieder finden. Das eigentliche Risiko ist, dass das Verständnis für Wirtschaft verloren geht. Die Koalition enttäuscht, weil sie sich standhaft weigert, die wirklich großen Probleme anzupacken, wofür sie eigentlich groß genannt werden könnte. Sie überstrapaziert vielmehr das Erfahrungswissen, wonach Politik immer auch von der Publikumstäuschung lebt. Deshalb gaukelt sie uns vor, dass eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit das richtige Mittel ist, um die Überalterung aufzufangen.
Die Deutschen glauben es gerne, weil sie immer schon eine Vorliebe für scheinbar kuschelige Gemeinschaften hatten. Die explosiven Kräfte, die die Moderne entfesseln und vorwärts treiben, die Revolutionen der Technologien und die Brutalität, mit der andere, hungrige Nationen antreten – all das verunsichert. Das nennt man dann Kapitalismus und setzt dem den Traum vom biedermeierlichen Landleben in einer beschützenden Zunftordnung, verwaltet von fürsorglichen Beamten und ausgepolstert von lieben Gewerkschaften, entgegen. Wenn schon Wirtschaft, dann hätte man sie nicht nur so sozial ausstaffiert wie unter Ludwig Erhard, sondern befrachtet mit allem, wonach ein dem Gutmenschenprinzip nachhechelndes Bundeskabinett so trachtet: allüberall gezähmt, ohne eine Konkurrenz, die ungefragt alles Hergebrachte hinwegfegt, selbstverständlich ökologisch, fair und feministisch, weswegen Frauenquote, die Zerschlagung von Google, Mietpreisbremsen und die Abschaffung der Zeitarbeit die Projekte des politischen Herbstes werden. Ein Unternehmensstrafrecht stellt jeden Manager erst mal unter den Generalverdacht der Kriminalität. Getrieben von der SPD, schreitet die Union auf dem Weg fort, den Einzelnen von aller Verantwortlichkeit seines Handelns oder Unterlassens zu befreien. So entsteht eine neue Moral, in der das Individuum nicht mehr für sein Schicksal verantwortlich ist, sondern irgendwelche Institutionen. Geht so Wirtschaft? Kann so das Wohlstandsversprechen eingelöst werden?
Die Tradition der WiWo
1926 wurde der liberale „deutsche Volkswirt“ gegründet, Vorgänger der WirtschaftsWoche. Seither ist die Redaktion bei Staat und Interessensverbänden gerne unbeliebt. Männer wie Gustav Stolper, Joseph Schumpeter, Theodor Heuss und Helmuth James Graf v. Moltke schrieben für diese Zeitschrift, später Karl Otto Pöhl und Wolfram Engels. Nach sieben Jahren in dieser Tradition verabschiede ich mich heute von Ihnen. Machen Sie es gut. Ich werde Sie vermissen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 19.07.2014)
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