Der Euro wird mit jedem Tag mehr zum Verhängnis für Europa, wirtschaftlich wie politisch. Wann endlich werden Alternativen überlegt?
Man muss und sollte Thilo Sarrazin nicht in jedem Punkt seiner Euro-Argumentation zustimmen. Aber auch seine entschiedensten Gegner müssen anerkennen: Endlich wird grundsätzlich über den Euro diskutiert. Solche Diskussionen dienen der Wahrheitsfindung und der gesellschaftlichen Konsensbildung. Demokratie funktioniert über Debatte, Auseinandersetzung, Demonstrationen – so bildet sich Meinung, so bildet sich aber auch Konsens. Jahrelang hat Deutschland in den Siebzigerjahren über die Ostverträge erbittert gestritten, demonstriert; in feinen Zirkeln ebenso wie am Stammtisch; es wurden sogar Abgeordnete bestochen. Am Ende bereiteten die erbittertsten Streitereien den Weg zum gesellschaftlichen Frieden. Oder die Nachrüstungsdebatte: Hunderttausende Menschen blockierten den Deutschen Bundestag in Bonn im Streit über die Stationierung von Pershing-Raketen mit Atomsprengköpfen. Am Ende haben wir darüber unseren Frieden gefunden. Auch dem Ausstieg aus der Kernenergie gingen jahrzehntelange Debatten voraus; er ist beschlossen, die Umsetzung schwierig, aber niemand stellt das Ergebnis infrage. Beim Euro wird zwar in Talkshows gestritten – aber nicht auf der politischen Bühne. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, von einer kleinen, mutigen Schar von Außenseitern abgesehen, behandeln diese lebenswichtige Frage nicht angemessen; sie diskutieren über die Größe von Hühnerkäfigen länger als über den Euro mit seiner ja epochalen Wirkung.
Es wird so getan, als ob der Euro eine Frage von Krieg oder Frieden sei, bei der es nur eine Antwort geben könne; das böse Wort von der Alternativlosigkeit der bisherigen, krachend gescheiterten Rettungspolitik wirkt wie ein Maulkorb, der jedem Frager umgehängt wird. Und jetzt also wieder Sarrazin: Statt seine Thesen zu besprechen, wird versucht, ihn wie andere Kritiker in die Ecke der Europafeinde zu drängen oder gar nationalsozialistischer Umtriebe zu verdächtigen.
Halten wir uns an die Fakten: Der Euro hat die Hoffnungen, die in ihn gesetzt wurden, nicht erfüllt. Die friedvolle Einigung Europas hat vor und ohne den Euro besser funktioniert. Der Euro spart Kosten und Risiken des Währungsumtausches, er hat aber nicht zu einer Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse geführt. Im Gegenteil, die Starken werden nur noch stärker, die Schwachen nur noch schwächer, weil die gemeinsame Währung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gnadenlos offenlegt und ohne den gnädigen Schutz des Wechselkursmechanismus der Wettbewerb erbarmungslos ausgetragen wird. So werden wirtschaftliche Strukturen, Unternehmen und Existenzen erbarmungslos vernichtet.
Dass der Protest der geschundenen Menschen sich dann nicht nur gegen den Euro, sondern auch gegen Europa richtet, ist der wohl verhängnisvollste Schaden, den der Euro anrichtet: Er bedroht tatsächlich das gemeinsame, das so erstrebens- und schützenswerte Europa, das jeder liebt, der klaren Verstandes und offenen Herzens ist. Es ist eines der großen Dramen der jüngeren Geschichte, dass überzeugte Europäer wie Helmut Kohl mit der Gründung, Wolfgang Schäuble und Angela Merkel mit ihrer Politik der bedingungslosen Verteidigung des Euro der Idee des gemeinsamen Europas schweren Schaden zufügen und dies nicht erkennen wollen.
Sie wollen nicht erkennen, dass eine politische Idee, die der ökonomischen Vernunft so sehr widerspricht wie eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik ungeheure Kosten und Leid verursacht. Wenn jetzt die Bundesregierung ein weiteres Mal umfallen sollte und Euro-Bonds einführt, riskiert sie, dass auch Deutschland wirtschaftlich abstürzt und sich politisch radikalisiert. Es ist jetzt die letzte Chance, über einen geordneten Ausweg nachzudenken. Alternative Wege aus der Krise haben wir hier nüchtern und faktenreich vorgestellt; ohne peinliches Euro-Pathos: Fakten zählen, nicht Gerede.
(Erschienen auf Wiwo.de am 25.05.2012)
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