5. Flüchtling ist kein Beruf. Oder doch?
Deutschland wird in diesem Jahr voraussichtlich 400.000 Flüchtlinge aufnehmen – so viele Einwohner, wie in Münster oder Bochum leben, oder in Saarbrücken und Potsdam zusammen. Viele wollen, dass wir noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Das klingt gut. Aber wer rettet, muss auch sagen, wie es weitergeht. Genau da werden die Empörten schnell leise. Wie viele Flüchtlinge kann Deutschland wirklich aufnehmen? Antwort: Fehlanzeige. Wie werden sie in Lohn und Wohnung gebracht? Fehlanzeige. Heute dürfen Flüchtlinge meist nicht arbeiten. Das schützt Deutsche vor schwarzer Konkurrenz um Arbeitsplätze. Aber bei so vielen Flüchtlingen kann es so nicht bleiben. Keine Arbeit – das demotiviert, verhindert echte Integration. Anwohner ärgern sich über herumlungernde Asylbewerber – aber wer sie auch nur zum Schneeschaufeln beschäftigt, macht sich strafbar! Deshalb musste die Bahn ihren Pilot-Versuch stoppen: Kofferträger für 1 €. Von Beruf Flüchtling – das kann nicht sein, sagt der Arbeitsmarktforscher Klaus Zimmermann.
Aber wie bringt man Menschen in Arbeit, die nicht deutsch sprechen, keine Berufsausbildung haben oder die nicht nachweisen können, dass sie eigentlich Ärzte oder Ingenieure sind?
Völlig neue Konzepte sind gefragt: Sie könnten bei „Handwerkern und Betrieben eine Lehre machen“, fordert der frühere Oberbürgermeister von Stuttgart, Wolfgang Schuster, der sich intensiv mit Integration befasst: „Aber weil wir alles können außer Hochdeutsch, sollen diese Lehrlinge intensiv mit Sprachlehrern im Betrieb und in der Berufsschule deutsch lernen“. Das klingt nach einem guten Vorschlag. Aber er scheitert am starren System der Besitzstandswahrung. Deutschland fehlen einfach die einfachen Arbeitsplätze für Unqualifizierte; dazu sind die tariflich und per Mindestlohn durchgesetzten Löhne einfach zu hoch.
Wollen wir wieder eine Billig-Lohn-Industrie? Flüchtlinge könnten etwa in der Landwirtschaft arbeiten; auf den Spargelfeldern Arbeitskräfte aus der Ukraine und Polen ersetzen. Ist das eine gesellschaftlich akzeptable Lösung? Weil sie nicht sehr produktiv sind, müssten allerdings die Mindestlöhne entfallen, damit unqualifizierte Arbeit ihr Geld wirklich wert ist. Das treibt die Gewerkschaften schnell auf die Palme. Flüchtlinge sollen massenhaft kommen – aber wovon sollen sie leben? Sollen sie immer als „Beruf Flüchtling“ angeben und von öffentlicher Unterstützung leben? Mit niedrigen Anfangslöhnen könnten Flüchtlinge ihren Unterhalt wenigstens teilweise verdienen, statt als Berufsflüchtlinge nur auf Hilfe angewiesen zu sein. Wer sich qualifiziert – steigt auf. Menschen mit Berufsausbildung gehen oft wieder zurück in ihr Herkunftsland; beobachtet Klaus Zimmermann, um sich dort eine Existenz aufzubauen. „Das würde Deutschland entlasten“. Aber dafür müßte das Lohnsystem aufgebrochen werden – und das hätte auch Folgen für den „White Trash“, um einen amerikanischen Ausdruck schonungslos zu verwenden – die wenig einsatzbereiten und einsatzfähigen Deutschen würden schnell endgültig verdrängt und schneller in den neuen Prekariatsvierteln landen, als wir uns das so vorstellen.
Und was vernünftig klingt, ist umstritten. Arbeitsverbote sollen Wirtschaftsflüchtlinge abschrecken. Wirtschaftsflüchtlinge haben kein Asylrecht und werden nur „geduldet“. Dabei sind gerade sie hoch motiviert und könnten den Fachkräftemangel beheben, den Bevölkerungsinfarkt lindern, weil die Deutschen zu wenig Kinder haben. So kommen die, die Deutschland nicht braucht und so wird ausgesperrt, wen Deutschland brauchen könnte. Deutsch lernen, Schulabschluss und Integrationskurse für Flüchtlinge allerdings sind teuer. Deshalb fordert der Professor Hermann Heußens (lehrt in Osnabrück „Recht der sozialen Arbeit“) eine „Demografie-Abgabe zu Gunsten der Flüchtlinge“: Die sollen Menschen bezahlen, die keine Kinder haben. „Wer keine Kinder hat, spart pro Kind im Jahr durchschnittlich 4.500 €.“
Mindestlöhne aussetzen, Demografie-Abgabe, Integrationskurse? Das klingt für viele radikal, riecht nach Ausbeutung von Flüchtlingselend. Aber wer Flüchtlinge rettet, muß auch sagen, wovon sie leben sollen – und wer für ihre Integration zahlt.
6. Ist Europa besonders grausam?
Es gibt Grenzzäune in den USA gegen Mexiko; Australien, das berühmte Einwanderungsland, schottet sich massiv ab. Die arabischen und muslimischen Flüchtlinge werden in den reichen Öl-Scheichtümern am Golf und Saudi-Arabien nicht akzeptiert, obwohl dort Millionen von Wanderarbeitern aus Asien die eigentliche Arbeit machen. Aufnahme der Flüchtlinge in diesen Ländern wäre sicherlich in jeder Hinsicht besser. Es ist schon seltsam, dass das immer noch christlich geprägte Europa, und dort das so rassistische Deutschland, plötzlich das Ziel der Migration ist – und die muslimischen und arabischen Staaten sich die Hände in Unschuld waschen.
7. Muß Europa eingreifen?
Wenn Europa nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann, müssen die Fluchtursachen bekämpft werden.
Aus dem Schwarzpeterspiel aller Beteiligten wird erst dann Politik, wenn es Europa gelingt, an drei zentralen Parametern des Flüchtlingselends anzusetzen: bei der Lage in den Herkunftsstaaten, den Transitrouten und der Politik der Aufnahmeländer; auch der arabischen. Die Europäer machen gerade die Erfahrung, dass man von einer Krise nicht verschont bleibt, nur, weil man diese wie in den vergangenen Jahren einfach ignoriert. In Syrien, wo derzeit die meisten Flüchtlinge herkommen, wurde durch Nichtstun die Chance verspielt, im Bürgerkrieg früh zu intervenieren. Heute herrscht dort ein grösserer humanitärer Notstand als in den neunziger Jahren auf dem Balkan. In Libyen, der wichtigsten Drehscheibe des Menschenhandels, folgte auf die Luftangriffe gegen Ghadhafi kein Engagement am Boden. Tatenlos schauten Nato und EU dem Zerfall des Landes zu. In diesem rechtsfreien Raum finden die Flüchtlingsströme ihren Anfang.
Allerdings wird der Aufbau funktionierender Staaten nicht einfach sein. Bekanntlich kriegt Europa ja nicht einmal Griechenland zu einem halbwegs funktionierendem Staat gewendet, weil die alten Klaukratien sich nur an den EU-Milliarden bedienen, statt zu reformieren. Viel Spaß mit Libyen! Willkommen in Syrien! Europas Beamte und Politiker – reformiert den Sudan? Wie wäre es gleich mit Somalia, einem der Länder mit dem massivsten Flüchtlingsexport? Wer hier eingreift, scheitert – oder ist zu einer Härte gezwungen, die in Europa niemand mehr vertreten kann. Sehr schnell werden die Kritiker von Neo-Kolonialismus sprechen. Denn darum geht es, wenn Sonderzonen für Flüchtlinge errichtet werden. Trotzdem muss Europa eingreifen. Aber schnelle Lösungen sind nicht in Sicht. So lange wird das Drama weitergehen – und sich verschärfen.
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