Fast zwei Wochen nach der Bluttat in Würzburg, bei der der 24-jährige Somalier Jibril A. mit einem 33 cm langen Messer drei Frauen aus dem Leben riss, wird noch immer über das Motiv der Tat gestritten. Wurden die 49-jährige Christiane H., die 82-jährige Seniorin Johanna H. und die 24-jährige Studentin Stefanie W. Opfer eines islamistischen Terrorplans oder Opfer eines psychisch kranken Mannes? Für die Angehörigen der drei ermordeten Frauen und die sieben, teils schwer verletzten, Überlebenden ist das eine entscheidende Frage – denn davon hängt ab, ob sie sogenannte „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ bekommen oder nicht. So dürfte es aber nicht sein. Denn egal ob der Täter psychisch krank, ein islamistischer Terrorist und Frauenhasser oder beides war: Die Tat hätte verhindert werden können und müssen und ist demnach so oder so politisch verschuldet.
Welche Aussagen und Informationen stimmen, ist unklar. Jibril A. wurde aber auf jeden Fall immer wieder psychisch auffällig. 2015 stritt er sich in einer Asylunterkunft mit einem anderen Mann wegen der Benutzung eines Kühlschrankes, bei dem beide Männer Schnittverletzungen erlitten. Im Januar 2021 bedrohte er in einer Obdachlosenunterkunft mehrere Personen mit einem Messer und wurde deshalb mit Hilfe der Polizei in die Psychiatrie eingewiesen. Im Juni 2021 setzte er sich dann unvermittelt in den PKW eines 59-jährigen Mannes und blieb dort wortlos und lethargisch sitzen, während der Mann versuchte, ihn anzusprechen und aus dem Auto zu verweisen. Erst das Ordnungsamt und die Polizei konnten Jibril A. aus dem Auto holen und erneut in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen. Die Klinik verließ er auf eigenen Wunsch aber am nächsten Tag wieder – dass das möglich war und er so kurze Zeit später in der Würzburger Innenstadt drei Menschen töten konnte, ist dem fatalen Umgang mit Psychotikern und der Antipsychiatrie-Politik zu verdanken. Bis überhaupt jemand in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird, muss in der Regel schon etwas wirklich Schlimmes passiert sein oder mindestens eine ganz akute Bedrohung vorliegen. Ich habe schon etliche Fälle miterlebt, in denen Psychotiker andere Leute anpöbelten, bespuckten, beleidigten und bedrohten, ohne dass Polizei oder Amtsgericht Anlass für eine Unterbringung sahen.
Wenn dann doch jemand, wie Jibril A., wegen akuter Eigen- und Fremdgefährdung in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird, dann weil er wirklich schwerst krank, akut psychotisch ist und bereits jemanden gefährdet hat. Das bestätigte in diesem Fall auch der Direktor der Psychiatrischen Klinik Lohr am Main und des Zentrums für Seelische Gesundheit in Würzburg gegenüber dem Bayrischen Rundfunk insoweit, als er sagte, dass der 24-Jährige jedes Mal „in einem deutlich psychotischen Zustand“ in der Klinik vorgestellt wurde. Und wenn jemand wirklich psychotisch ist, dann ist er nicht einfach nur ein bisschen komisch. Dann kann er Realität und Wahn nicht mehr auseinanderhalten. Dann sind Aliens, Agenten und völlig irrationale Bedrohungen durch wahllos ausgewählte harmlose Passanten für den Kranken echt. Dann hört er in vielen Fällen Stimmen, die ihm grausame Dinge befehlen und gegen die er sich nicht wehren kann. Warum wurde der Mann dann aber nur einen Tag nach seiner Einweisung wieder entlassen? Weil er angeblich brav seine Medikamente nahm? Ich habe noch nie erlebt, dass ein psychotischer Schub so schnell wieder vorbei war. Dafür habe ich zuhauf miterlebt, wie akutes Bedrohungspotential bewusst ignoriert wird.
Der Umgang mit psychotischen Menschen und die entsprechende Gesetzteslage sind fatal. Polizei und Gesundheitsbehörden dürfen in der Regel erst eingreifen, wenn es schon zu spät ist – so wie im Fall von Hanau und wohl auch im Fall von Würzburg. Auch bei Hanau war ein psychotischer Hintergrund der Tat evident. Doch anstatt sich mit diesem, eigentlichen Problem zu befassen, versteifte sich die Politik auf die vordergründige Ideologie des Täters, die so abwegig war, dass niemand im Ernst behaupten konnte, das wäre die Tat eines gezielt operierenden Terroristen gewesen. Obwohl der Täter am Ende seine eigene Mutter tötete, beschwor man einen politischen Hintergrund, als wäre der Täter der verlängerte Arm des politischen Konservatismus. Man suchte nur einen Anlass, um den politischen Gegner zu attackieren.
Merkwürdiger Weise reagiert die Politik im Fall Würzburg genau andersherum: Auf einmal rückt der psychische Störung in den Vordergrund – aber auch daraus werden keine Schlüsse gezogen, es soll einfach die Tat eines allgemeinen „Irren“ gewesen sein und damit völlig beliebig. Immer wie es gerade passt eben. Natürlich ist auch der Dreifachmord von Würzburg die Tat eines Psychotikers – nur ändert das nicht das Problem eines kaputt gesparten und durch unendliche Vorschriften eingefrorenen Staatsapparats und es ändert auch nichts an der Tatsache, dass der Täter 2015 unkontrolliert nach Deutschland kam und niemand sich dafür interessierte, wen man hier ins Land ließ und was er anrichten könnte. Ob der Täter nun „Islamist“ war oder vorgab, einer zu sein, ist eine Scheindebatte – so oder so ist es Folge einer blauäugigen Zuwanderungspolitik.
Schon bei seiner ersten Unterbringung hätte man ein ausführliches psychiatrisches Gutachten von Jibril A. erstellen müssen. Man hätte einen gesetzlichen Betreuer bestellen und ihn so lange wie nötig unterbringen, medikamentös behandeln und im Zweifelsfall beobachten müssen. Das alles ist aber nicht passiert, weil die Unterbringung und Zwangsbehandlung psychotischer Menschen politisch nicht gewollt ist. Dass Jibril A. am 25. Juni drei Menschen töten konnte, sieben weitere verletzte und zahlreiche traumatisierte, ist das Ergebnis jahrelangen und wiederholten Staatsversagens. Dass es überhaupt eine Diskussion darum gibt, ob die Opfer und Angehörigen staatlich entschädigt werden, ist einfach nur grotesk.