Wir alle sind Peanut: Ein Eichhörnchen wird zur Identifikationsfigur

Das Schöne an der digitalen Welt ist die Schnelligkeit, mit der sich menschliche Kreativität hier aufbaut und entlädt. Das gilt auch für den US-Wahlkampf. Kurios: Im Fokus standen mehr als einmal Tiere. Ein Eichhörnchen hat es gar zur Ikone gebracht. Ruhe in Frieden, Peanut.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mark Longo

Wer auch immer die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnen wird, eines ist jetzt schon klar: Für Haustiere war es der gefährlichste Wahlkampf aller Zeiten. Zuerst standen Katzen und Hunde im Fokus, die laut Trump und Vance angeblich auf dem Speiseplan illegaler Migranten standen – die beiden hatten unbestätigte Gerüchte aufgegriffen und auf Wahlkampfveranstaltungen verbreitet: ein Hoax, der zu massiven Anfeindungen gegenüber haitianischen Immigranten führte, zwischenzeitlich absurd-gefährliche Züge einer Massenhysterie annahm, und angesichts der Dämonisierung einer Bevölkerungsgruppe das US-amerikanische Selbstverständnis der Einwanderungsgesellschaft, die trotz ihrer Vielfalt ihre Einheit bewahrt, auf die Probe stellte.

Einerseits eine eindrückliche Warnung: Aufgrund der viralen Verbreitung durch soziale Medien können Viel- und Großredner wie Trump heutzutage auch mit einem leicht dahingesagten Spruch großen Schaden anrichten.

Dem postmodernen Menschen rät der Vorfall zu Bescheidenheit: Wie oft brüstet der sich seiner Aufgeklärtheit und spottet über das ach so düstere und dunkle Mittelalter, wo abergläubische Bauern Hexen verbrennen und Juden verfolgen, weil Gerüchte über vergiftete Brunnen oder geraubte Kinder den Hass anstacheln.

Der Mensch der digitalen Massenkommunikation ist trotz all seiner Ressourcen nicht weniger anfällig für derartiges Verhalten. Immerhin aber verdanken wir dieser Wahlkampfepisode ein Werk, das das Zeug zum Klassiker hat: „People of Springfield, please don’t eat my dog; there are so many other things to eat“, textete der südafrikanische Satire-Musiker David Scott alias „The Kiffness“ zu sommerlich entspannten Beats, und inkorporierte Trumps typischen Singsang in das Lied „Eating the cats“. Und er war nicht der einzige, der das musikalische Potenzial des Präsidentschaftskandidaten erkannte: Von Klassik bis Rap wurde das Netz mit diversen Versionen der Trump-Sentenz geflutet.

Doch während die Haustiere der Gemeinde Springfield, Ohio, nie wirklich in Gefahr schwebten, hat der Wahlkampf mittlerweile gleich zwei ikonische tierische Märtyrer aufzubieten: Fred, den Waschbären, und das Eichhörnchen Peanut. Peanut, das erste Influencer-Eichhörnchen mit über 600.000 Followern auf Instagram war von seinem Herrchen Mark Longo verletzt und verwaist aufgefunden und domestiziert worden. Sein Alltag, und der liebevolle Umgang mit dem possierlichen Tier wurde in den sozialen Medien dokumentiert und ermöglichte den Aufbau eines Tierschutzprojektes.

Doch aufgrund einer Anzeige – die Verantwortliche ist mittlerweile identifiziert und musste ihre Social-Media-Kanäle schließen, um sich zu schützen – stürmten am 30. Oktober Ordnungskräfte das Domizil des Eichhörnchens, durchsuchten und verwüsteten es laut Aussagen Mark Longos, und nahmen die beiden Tiere mit. Nachdem Peanut sich gewehrt und zugebissen hatte, wurde das Tier kurzerhand eingeschläfert. Mit dem medialen Aufschrei, der daraufhin über den Äther schallte, hatte wohl niemand gerechnet: Angesichts all der Kriegs- und anderer Gräuel, die die Welt derzeit überziehen, mutet es tragikomisch und realsatirisch an, dass das Schicksal eines Eichhörnchens eine derartige Resonanz erzeugen kann. Aber so ist es: Wie vielen Menschen, die verzweifelt oder vereinsamt den Abend mit „doom-scrolling“ im Internet verbracht hatten, hatte dieses Tier ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert, ihnen ein bisschen Zuversicht und Wärme vermittelt? Ein unschuldiges Tier als Symbol des Guten und Liebenswerten, das trotz allem in der Welt ist – und nun eben auch ein politisches Symbol.

Denn natürlich trendeten Memes und Sentenzen zum Schicksal des Eichhörnchens umgehend: Peanut als Symbol für alles, was falsch ist am „Deep State“, den Donald Trump und die Republikaner laut eigenen Aussagen bekämpfen. Obwohl Besitzer Mark Longo sich gegen politische Vereinnahmung verwahrte, wurde Peanut unversehens zu Trumps Maskottchen:

Peanut als Beleg dafür, warum das Recht des freien Amerikaners, Waffen zu tragen, um sein Heim nicht zuletzt gegen den übergriffigen Staat verteidigen zu können, kein atavistisches und überholtes Konzept, sondern bittere Notwendigkeit ist, die es zu verteidigen gilt.

Peanut als Hinweis auf die Ungerechtigkeit, dass in den USA mitunter Drogenabhängige und Kriminelle walten können, wie sie mögen, dass die Obrigkeit hilflos ist gegen illegale Migration, dafür aber mit ganzer Staatsgewalt ein kleines Fellknäuel verfolgt, gefangen nimmt und ermordet: Peanut, der tragische Held, der einsteht für die jedem US-Amerikaner verfassungsgemäß zustehenden Rechte, auf denen der demokratische Staatsapparat herumtrampelt: In den sozialen Medien kennen Pathos und Emotion, aber auch Kreativität seit Tagen keine Grenzen.

Ob der „Justizmord“ an einem Eichhörnchen wahlentscheidend ist? Wahrscheinlich (und hoffentlich) nicht. Aber die mediale Empörung zeigt, dass der Vorfall einen Nerv getroffen hat, der nicht nur bei vielen US-Amerikanern bereits zum Zerreißen gespannt ist: Bürger, die der Willkür einer als Obrigkeit empfundenen Staatsmacht ausgeliefert sind, die Hilflosigkeit, Frustration und blanke Wut des Individuums, all das verlangt nach einer Identifikationsfigur, die über den US-Wahlkampf hinausreicht: Wir alle sind Peanut.

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Kommentare ( 32 )

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Kaktus 61
1 Monat her

Ja, wir alle sind Peanut(s). Hier wurden nicht nur sinnlos zwei Leben zerstört, sondern auch das soziale Engagement eines Menschen. Der traurige Fall steht exemplarisch für einen übergriffigen Staat, der mittels seiner Beamten zu totalitären Maßnahmen greift. Begonnen hat alles mit einer Denunziation, möglich und sogar gefördert auch hierzulande. Durch Social-Media-Kanäle gings sofort viral, das Netz vergisst nicht, daher soll DSA den Informationsfluss regeln. Wo bleibt eigentlich der Aufschrei der Tierschützer, nein, nicht der Gnadenhofbetreiber und Igelfütterer, sondern der NGO`s wie PETA, Greenpeace oder DUH? Allen Mitwirkenden sei echte Tollwut gewünscht, lebenslänglich.
RIP, Peanut und Fred!

Last edited 1 Monat her by Kaktus 61
cernunnos
1 Monat her

Ich kann mich dunkel erinnern, dass während der „Coronazeit“ auch mal ganz kurz angedacht war, dass Haustiere wie Hunde und Katzen eigentlich weg gehören, irgendwas mit Übertragung war der Grund. Ich erinnere mich deshalb daran, weil ich Leute mit Haustieren kenne und deren Reaktion darauf, mir verständlich, sehr extrem war.

Wer meint, dass unsere werten Anführer, denen Menschenleben absolut scheißegal sind, das Leben von Tieren nicht noch viel egaler ist, Guten Morgen. Und ich wage mal zu behaupten, die Freude daran, einem Menschen sein geliebtes Haustier wegzunehmen, spielt dabei auch eine enorme Rolle. Bösartig bis ins Mark eben.

Will Hunting
1 Monat her
Antworten an  cernunnos

Sie meinen vermutlich das Corona- Virus bei Katzen, genannt Fip. Seltsamerweise war Fip bis vor ca. vier-fünf Jahren absolut tödlich. Das heilende Gegenmittel kommt erstaunlicherweise aus China.

Last edited 1 Monat her by Will Hunting
W aus der Diaspora
1 Monat her

Ich will mal so sagen, das was dort pasiert ist, ist wohl etwas schief gelaufen!
Wenn eine Behörde das unbedingt bei einem so bekannten Influenzer machen muss, dann sollten die Angestellten vorher so instruiert werden, dass es keine schlechten Bilder gibt.
Ansonsten – Tiere hatten schon immer eine riesige Anziehungskraft und konnten schon immer dazu benutzt werden Dinge deutlich zu machen. Nicht umsonst gibt es reichlich Fabeln. Die Geschichte vom Hasen und dem Igel könnte man auch mit Klaus und Klara erzählen, aber mit Hase und Igel klappt das nun mal besser.

mediainfo
1 Monat her

Was stimmt aus meiner Sicht, und was sich jederzeit auf hiesige Verhältnisse übertragen lässt: Dort wo man aus politisch-ideologischen Gründen nicht handeln will, macht man wenig bis nichts, dort, wo es einfach ist, packt man den kompletten Instrumentenkasten aus. Der Cartoon mit Bart Simpson bringt es auf den Punkt.

mediainfo
1 Monat her

Das Klagelied über das unangemessene Vorgehen des übergriffigen Staats teile ich nicht. Und dass die Geschichte derartige Aufmerksamkeit generiert, ist für mich ein Kennzeichen der infantilisierten Gesellschaft dieser Zeit. In der ein Eichhörnchen, auf das man sämtliche eigenen rührseligen Affekte projizieren kann, plötzlich mitmischt beim Ausgang der US-Wahlen. Der Mann hat das Eichhörnchen benutzt, um Einnahmen zu generieren. Ja, ich weiß, es waren „gute“ Einnahmen, wie er behauptet, die nur seinem Schutzprojekt zugute kamen. Das würde ich auch sagen an seiner Stelle. Er ist nicht der einzige Eichhörnchen-Influencer da draußen, der sich die Niedlichkeit dieser Tiere finanziell zunutze macht. Ist… Mehr

Last edited 1 Monat her by mediainfo
ketzerlehrling
1 Monat her

Davon können die Amerikaner ein immer lauteres Lied singen, so wie die Europäer. Ihre einst freie Welt mit Bürgerrechten, Grundrechten wird systematisch zerstört, selbst vor unschuldigen Tieren macht man nicht halt. Wie verrückt die Amerikaner wirklich sind und deshalb Trump wählen, weiss man nicht. Aber die Identifizierung mit einem unschuldigen Wesen, mit dem Recht und dem Bedürfnis auf Freiheit, daran ist nichts auszusetzen und das könnte in der Tat dazu führen, dass man den linken Terror abwählt. So gesehen ist Peanut ein Held, nicht nur für Amerikaner, für alle Geknechteten dieser Welt.

maps
1 Monat her

RIP Peanut & Fred! Das Schicksal dieser Tiere zeigt wieder einmal exemplarisch wie skrupelos und grausam die selbsternannten „Guten“ in Wirklichkeit sind. Es sagt mehr als tausend Worte. Wer es jetzt immer noch nicht verstanden hat, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

fatherted
1 Monat her

Viele US-Amerikaner sind „Tier-verrückt“….noch schlimmer als in Deutschland. Ich denke mal nicht, dass ein überzeugter Demokrat nun Trump wählen wird, weil eine „woke New Yorker Behörde“ nach einem SEK Einsatz ein Eichhörnchen „zu Tode gebracht“ hat….aber vielleicht gehen viele frustriert einfach gar nicht wählen….was wiederum Trump helfen würde. Als so klein im Einfluss auf die Wahl, würde ich die Tötung von Peanut nicht bewerten….das geht gerade viral….und das kurz vor der Wahl.

Jens Frisch
1 Monat her

Es geht bei „Peanut“ eher darum, dass ein Staat sich Zutritt zum Haus eines Bürgers verschaffen kann wegen eines Eichhörnchens – wenn der Staat wegen eines harmlosen Nagetiers in mein Haus kommen kann, dann braucht er gar keine Begründung mehr, um bei uns Bürgern einzubrechen.

AlNamrood
1 Monat her

Im Venn-Diagramm der Dystopien in denen wir leben fehlt noch Kafka’s Der Prozess. Wir existieren in einer Gesellschaft aus 1984er Überwachung und Kontrolle, Brave New World-artiger Reizüberflutung, Fahrenheit’schem Anti-Intellektualismus UND kafkaesker unmenschlicher gesichtsloser Bürokratie.