Ein einziger Autor verfasst auf Wikipedia praktisch im Alleingang die Einträge zu «Klimaleugner», «Energiewende» und «Reto Knutti» . Widerspruch duldet der Vollzeit-Wikipedianer nicht. Hinter dem anonymen Vielschreiber versteckt sich der Aktivist Andreas Lieb. Wer bezahlt ihn?
Wer auf Wikipedia nach einer Definition von «Klimaleugner» sucht, muss sich auf eine lange Lektüre gefasst machen: Sage und schreibe 47 Seiten bringt der Beitrag unter dem Titel «Leugnung der menschengemachten globalen Erwärmung» auf den Drucker. Um den Klimawandel zu erklären, braucht Wikipedia nicht einmal halb so viel Platz (18 Seiten). Nur ist das auch nicht nötig. Denn glaubt man der täglich millionenfach konsultierten Enzyklopädie, ist nur noch eines gefährlicher als die angekündigte Klimakatastrophe: das Bezweifeln der angekündigten Klimakatastrophe.
Wikipedia holt denn auch weit aus. Leugner ist nicht gleich Leugner. Denn Klimaleugnen ist eine Art Geisteskrankheit, allerdings eine ansteckende, mit verschiedenen Kategorien und Unterkategorien. Da gibt es etwa den naiven Skeptiker, der vom genuinen Leugner infiziert und manipuliert wurde. Dann gibt es den organisierten Leugner, den querulatorischen Leugner und, besonders hinterhältig, den «universal einsetzbaren käuflichen Leugner». Hinter letzterem stehen finanzkräftige internationale Multis, Tycoons und konservative Think-Tanks, die aus dem Schutz der Dunkelheit heraus im Geheimen die Fäden ziehen und über gekaufte Agenten ihre Verschwörungstheorien verbreiten und damit den «wissenschaftlichen Konsens zum menschengemachten Klimawandel» torpedieren.
Glaubt man Wikipedia, kann jeder Zweifel an der Klimadoktrin des Weltklimarates nur bösartig motiviert sein. Die Ursachen sind finanzieller oder psychopathologischer Natur. Denn es steht geschrieben im Buch der Bücher: «Mitte der 1990er Jahre gab es damit keinen vernünftigen Grund mehr für eine echte wissenschaftliche Debatte über die Aussage, dass der Mensch das Klima verändert hatte.» Was schon damals Tausende von Wissenschaftlern festhielten, sei «abgesichert». Es verbietet sich folglich auch jede Diskussion um den Klimaleugner an sich, denn jede Kritik und jede Widerrede wäre ein Akt des Leugnens. Der perfekte Zirkelschluss.
Andol zitiert sich am liebsten selber
Die Diskussion erübrigt sich auch deshalb, weil der Wikipedia-Artikel über die Leugner-Lehre praktisch von einem einzigen Autor verfasst wurde. Eine Auswertung der Webseite zeigt: Zu 88,1 Prozent* war hier ein gewisser Andol am Werk, es folgen weit abgeschlagen Skra31 (3,3 %) und FranzR (1,1 %). Alle anderen «Mitautoren» wirkten im Promillebereich, sie korrigierten vielleicht einen Rechtschreibfehler oder ein Komma. Mit anderen Worten: Ein einziger Anonymus definiert auf der Enzyklopädie, die im Online-Bereich faktisch eine Monopolstellung hat, im Alleingang, was ein Klimaleugner sein soll.
Nun gibt sich Andol zwar wissenschaftlich, er verweist auf Publikationen und Autoren. Denn «Leugnismus» oder «Denialismus», so erfahren wir im Wikipedia-Beitrag zu «Science Denial», ist eine Wissenschaft. Nur: Andol hat auch 95,7 Prozent der Bearbeitungen von «Science Denial» zu verantworten. Und genauso verhält es sich auch mit den zumeist angelsächsischen Autoren und Publikationen, auf die er sonst noch verweist: Seine Quellen hat Andol zu einem guten Teil selber auf Wikipedia eingebracht.
Wenn Andol etwa über das angebliche «Rosinenpicken» der Klimaleugner schreibt, verweist er auf einen dreiseitigen Beitrag zum Thema «Rosinenpicken», den er selber zu drei Vierteln verfasst hat und der das Phänomen Rosinenpicken am Beispiel des Klimaleugners erklärt. Der perfekte Selbstläufer: Andol zitiert Andol. Nur merkt der ahnungslose Leser kaum etwas davon. Denn um das herauszufinden, muss man schon in den Innereien von Wikipedia recherchieren.
Andol hat natürlich auch stets ein scharfes Auge auf das Europäische Institut für Klima und Energie (Eike). Es handelt sich dabei um einen Verbund von Wissenschaftlern, der die Weissagungen des Weltklimarates und die Energiewende in Frage stellt. Mit 27,8 Prozent der Einträge führt Andol die Liste der Autoren beim Eike-Eintrag von Wikipedia an. Eike bezichtigte Andol schon öffentlich der Diffamierung. Wikipedia-Attacken von Andol muss auch Professor Fritz Vahrenholt, ebenfalls ein bekannter Kritiker der grünen Klima- und Energiepolitik, immer wieder erdulden. Vahrenholt ist es leid, dauernd Einträge von Andol über seine Person zu berichtigen; er spricht von Vandalismus.
Der bekannte Zürcher Klimawarner und -forscher Professor Reto Knutti kann sich dagegen über den bedingungslosen Support von Andol freuen. Nicht weniger als 92,1 Prozent des dreiseitigen Eintrags zu Professor Knutti, einem «bedeutenden Mitglied des IPCC», stammen von Andol. Detailliert berichtet er via Wikipedia über angebliche Beschimpfungen von Seiten der Klimaleugner, denen Forscher Knutti permanent ausgesetzt sei. Auch Professor Vahrenholt erlebt solche Attacken immer wieder. Doch davon ist auf Wikipedia keine Rede.
Deutungshoheit über die Energiewende
Andol kümmert sich nicht nur um Klimaleugner. Er hat auch 90,8 Prozent der Wikipedia-Einträge zum Stichwort «Energiewende» und 73 Prozent der Texte zu «Einspeisevergütung» verfasst. Ein kritisches Wort zu den Nachteilen der alternativen Energieträger sucht man vergeblich. Und hier wird es nun definitiv gespenstisch.
Wie ist es möglich, dass eine anonyme Einzelmaske bei einem derart folgenschweren Unterfangen das vielleicht wichtigste Medium im deutschen Sprachraum praktisch solo kontrolliert? Zur Erinnerung: Wikipedia generiert bis zu einer Million Klicks pro Stunde und figuriert auf Rang fünf der meistbesuchten Websites in der Schweiz (Deutschland Rang sieben).
Wer ist dieser Anonymus? Das herauszufinden ist etwas schwieriger, aber nicht unmöglich. Andol hat beim Hochladen von Grafiken Spuren hinterlassen, und diese führen zu einem gewissen Andreas Lieb aus Grossostheim im schönen Freistaat Bayern. Lieb kandidierte in Grossostheim erfolglos auf der Liste der jungen Grünen für den Gemeinderat und trat im letzten Dezember als Redner bei einer lokalen Klimademo auf. Er zeichnete gelegentlich Online-Kommentare auf Zeitungsportalen mit seinem Alter Ego Andol.
Die Angaben zum Werdegang von Andol gemäss seiner Autorenseite auf Wikipedia – er hat Geschichte studiert und Artikel über die Eisenbahn geschrieben – und dessen Leidenschaft für Klimaleugner, Greta, Energiewende und Professor Knutti passen wiederum perfekt zum Twitter-Account des grünen Lokalpolitikers Andreas Lieb aus Unterfranken.
Wer zahlt seinen Lebensunterhalt?
Das wirklich heisse Rätsel konnten wir bis zur Stunde leider nicht lösen: Wovon lebt Andreas Lieb? Wie generiert er sein Einkommen? Eines scheint klar: Sein Dauerengagement bei Wikipedia kommt einem Vollzeitjob gleich.
Seit Andol 2011 auf Wikipedia aktiv wurde, hat er mehr als 180 eigene Artikel verfasst und über 20 000 Bearbeitungen an bestehenden Einträgen vorgenommen. Die statistische Erfassung seiner Interventionen zeigt, dass er die ganze Woche gleichermassen aktiv ist. Nach 13 Uhr loggt er sich ein, Tag für Tag. Mit der sturen Regelmässigkeit einer Schwarzwälder Kuckucksuhr legt er um 17 Uhr eine Pause ein, dann wird weiter gerackert bis Mitternacht und manchmal auch darüber hinaus.
Es ist das Muster einer Vollzeitstelle, acht Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche. Arbeitet Andol etwa um Gottes Lohn? Wir hätten es gerne von ihm persönlich erfahren. Doch alle Versuche, Andreas Lieb mit unseren Recherchen zu konfrontieren – via Telefon, via Mail, über lokale Politikerkollegen –, sind gescheitert. Lieb alias Andol stellt sich taubstumm.
Der Klimauntergang naht
Ist er ein Besessener, der die Welt vor ihrem Untergang bewahren will? Liest man seine Rede zur Klimademo vom letzten Dezember im heimischen Grossostheim, drängt sich dieser Eindruck auf. Das CO2 sei «für die komplette Erwärmung» des Klimas verantwortlich, predigt Lieb dort, «ohne den Menschen hätte es sogar eine leichte Abkühlung gegeben». Dies wisse man in den USA bereits seit 1965. Die Energiewende sei alternativlos, der Solarstrom so günstig wie noch nie zuvor, beschwor er die deissig Demonstranten auf dem Dorfplatz: «Diese ganzen Studien abermals zu ignorieren, die bittere Realität zu leugnen, wäre schlicht Wahnsinn!»
Auf Twitter hat Andreas Lieb etwas mehr Follower: 76 sind es (den Schreibenden miteingerechnet). Das ist, nett gesagt, nicht gerade der Haufen. Als einer von 20 000 «Sichtern» bei der deutschsprachigen Wikipedia – gemeint sind damit jene fleissigen Autoren, die sich das Privileg erworben haben, die Beiträge von Gelegenheitsautoren zu kontrollieren, zu korrigieren und allenfalls zu blockieren – hat Andol dagegen einen erheblichen Einfluss auf ein potenzielles Millionenpublikum. Als namenlose Maske hat er es geschafft, die Deutungshoheit über die Energiewende und die Klimapolitik an sich zu reissen.
Das Problem ist bekannt, seit es Wikipedia gibt. Für objektiv überprüfbares Wissen – Sportresultate, historische Ereignisse oder Persönlichkeiten, chemische Formeln oder Gemeindechroniken – ist die von Freiwilligen geschaffene Enzyklopädie eine grossartige Errungenschaft. Fehler oder Fake News werden von der Masse recht zuverlässig korrigiert. Doch sobald es politisch-ideologisch-religiös wird oder gar Verschwörungstheorien ins Spiel kommen, ist auf Wikipedia kein Verlass mehr. Dann ist die Neutralität schnell im Eimer. Es gelten die Regeln des Dschungels.
Andol hat den längeren Atem
Das Erfolgsrezept von Andol: Er hat schlicht und einfach den längeren Atem. Das wird gut ersichtlich, wenn man die Diskussionsforen zu den Wikipedia-Artikeln anschaut. Dort werden die geblockten oder gelöschten Veränderungen diskutiert. Wer Liebs Wahrheiten zu Klima, Solarpanels oder Einspeisevergütungen nicht teilt, muss sich auf endlose Auseinandersetzungen und Belehrungen über Gott und die Welt einlassen. Dann kann der sonst ganz friedfertige Energiewender und Klimaretter «auch mal wütend werden», wie er selber einräumt. Nicht jeder hat die Zeit und die Nerven für epische und fruchtlose Wortgefechte mit dem Bekehrten – und kapituliert irgendwann mal. So dass Andol am Ende allein bestimmt, was richtig und wahr ist. Streng wissenschaftlich wahr natürlich.
* Die im Text erwähnten Statistiken aus Wikipedia wurden am 11. Juli 2019 erhoben.
Der Beitrag von Alex Baur erschien zuerst auf Weltwoche.
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Sie sollten Ihre behauptung, es handle sich bei z. b. Andol um einen wikipedia-Vermarkter irgendwie stützen. Induktive Schlüsse taugen hier nichts. Andol kann z. B. ein Erbe sein, oder einfach ein Hartz-IV Bezüger, der sich die Zeit vertreibt und, und, und. Maniaks gibt es in allen Gesellschaftsschichten.
Klasse Artikel, vielen Dank an Tichys Autoren, dass ihr immer wieder solche Sachen recherchiert und aufdeckt. Hatte mich neulich auch etwas gewundert, dass ein so enorm langer Eintrag zum Begriff Klimawandelleugner existiert…
In diesem Fall leiten wir Ihren Dank an Alex Baur weiter, dessen Beitrag wir hier aus der Schweizer Weltwoche gespiegelt haben. Gruß vom Team TE!
Die offenbare Voreingenommenheit der wikipedia bei diesem Thema dürfte einer Konkurrenzunternehmung zu Erfolg verhelfen. Klimapedia ist angesagt! – In kleinem Maßstab macht das die Webseite cool down Schweiz von Markus Schär und Mitstreitern – sehr empfehlenswert!
Auch das Weltwoche sonderheft zur Klimadebatte ist sehr empfehlenswert. – Das könnte Tichys für Deutschland vielleicht auch machen? – Fände ich toll!
Wikipedia sollte darauf achten, dass in Sachdiskussionen unbedingt ein ziviler Ton angeschlagen wird. Hohes Durchsetzungsvermögen gepaart mit verbaler Aggressivität ist natürlich höchst effizient. Aber diese Kombination sollte Wikipedia keineswegs dulden.
Ich kann mich nur immer wieder über die Naivität gegenüber Wikipedia wundern.
Wer Wikipedia in quasireligösen Fragen wie Klimawandel für eine Objektivität garantierende Autorität hält, der hält auch die Bibel für eine objektive Quelle bei der Frage der Entstehung der Arten und „Mein Kampf“ für eine Autorität in Fragen Humanität und Menschenrechte.
Wir leben in einer Marktwirtschaft mit Wettbewerb.Der Autor deutet es ja an:Es ist keine links-grüner Verschörung bei Wiki am Werk, sondern die Vertreter alternativer Position sind zu faul. Sicher sind die Regularien bei Wiki verbesserungsfähig, aber es ist wie überall. Wenn sich nur die linken politisch engagieren, haben sie natürlich schnell die Oberhand, siehe NGO’s, oder das alte Problem der Asten an den Unis, wo ein handvoll Durchgeknallter das „Studentenparlament“ bilden, bei einer Wahlbeteiligung von so 10-20 Prozent. Sehr wahrscheinlich wird der Typ bezahlt, aber es gibt auch genug, die von Hartz IV leben und sich so engagieren. Warum bezahlen… Mehr
Sie beschreiben die Verhältnisse unrealistisch. Wir leben keineswegs in einer funktionierenden Marktwirtschaft mit fairem Wettbewerb, sondern in einer massiv manipulierten Wirtschaft mit staatlichen oder lobbyistischen Eingriffen, die den Wettbewerb vielerorts aushebeln. Dass Sie das „Verschwörerische“ der Wiki-Manipulationen leugnen, obwohl dort ein perfider Mummenschanz unter Pseudonymen aufgeführt wird, ist schon merkwürdig. Was Sie allerdings korrekt beschreiben, ist die Tatsache, dass das politische Sendungsbewusstsein der Linken, ihr missionarischer Eifer, stehts größer sind als auf der realistisch-vernünftig-konservativen Seite. Dass Sie aber jenen Menschenschlag, der sich für sich selber verantwortlich fühlt (also fleißig arbeitet, statt nach dem Staat zu rufen) als „faul“ diffamieren, sollte… Mehr
Wer ein Thema oder einen Sachverhalt für endgülig erforscht und jetzt abgeschlossen erklärt, hat nicht eine leise Ahnung davon, wie Wissenschaft funktioniert. Jemand, der bezweifelt, leugnet oder skeptisch ist, ist dort unabdingbar, damit eine These, ein wissenschaftliches Projekt sich weiter entwickelt und der wissenschaftlichen Wahrheit ein Stück näher kommt. Nehmen wir mein Fach, die Medizin. Ein Forscher entwickelt zu einer bestimmten Erkrankung eine Therapiemethode. Er legt dazu Daten vor, die die Wirksamkeit belegen. Kommen nach einer gewissen Zeit bessere Daten aus einer anderen Therapie, wird diese angewandt und so schreitet der medizinische Fortschritt voran. Aber natürlich gibt es im Streit… Mehr
Warum bekommt der keine Anstellung bei den Medien. Die machen doch das Gleiche.
Ich stelle mir immer wieder vor, Joseph Goebbels hätte einst die Möglichkeiten gehabt und derartig viele willfährige Helfer. Nicht auszudenken.
Schade ist nur eines: das viele Geld, das wir in Bildung gesteckt hatten. Gerade die jungen Menschen sind heute leichter zu manipulieren, bejubeln einzelne Personen, die zu Ikonen stilisiert wurden, glauben blindlings, was ihnen Z ON, SPON, focus, taz, SZ vorgekaut präsentieren.
Ach, ich find`den Jebsen garnicht so schlecht. Früher dachte ich auch, er ist eine Art Verschwörungstheoretiker. Jetzt habe ich schon einige seiner yt- Beiträge gesehen. Er lädt meist interessante Gäste ein, die im ÖR überhaupt keine Platform hätten. Und bringt auch mal andere Themen abseits des Mainstream.