Wie sich Linke und Rechte von Putin instrumentalisieren lassen

Im Ukraine-Krieg stehen sich Anhänger der Ukraine und Russlands in Deutschland immer unversöhnlicher gegenüber – AfD und linke Parteien wie Bündnis Sahra Wagenknecht sind sich dabei überraschenderweise einig. Josef Kraus über Rückblenden und unterschiedliche Sichtweisen.

IMAGO / ZUMA Wire
Wladimir Putin, Moskau, 18. Juli 2023

Der Treppenwitz ist, dass sich dafür zwei eigentlich diametral entgegengesetzte politische deutsche Kräfte hergeben: die „Linke“ samt neu gegründetem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) einerseits, die „Alternative für Deutschland“ (AfD) andererseits. Für solche Links-Rechts-Annäherungen hat sich der anschauliche Begriff „Hufeisen“ eingebürgert. Das heißt: Die Enden des gebogenen „Eisens“ nähern sich programmatisch an.

Das darf nicht in Vergessenheit geraten

1. Am 24. August 1991 erklärte die Ukraine, bis dato hinsichtlich Bevölkerung zweitgrößte, hinsichtlich Fläche drittgrößte der 15 Sowjetrepubliken, ihre Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit wurde von Russland am Tag darauf anerkannt.

2. Am 5. Dezember 1994 wurde das „Budapester Memorandum“ im Rahmen der KSZE verabschiedet. Vertragspartner waren die USA, Großbritannien und Russland. In drei getrennten Verträgen bekräftigte man als Gegenleistung für deren Nuklearwaffenverzicht die Souveränität der Ukraine, Weißrusslands und Kasachstan in den bestehenden Grenzen. Die Ukraine, die bis dahin die drittstärkste militärische Atommacht der Welt war, gab an Russland ab: 176 Interkontinentalraketen, 1.272 Atomsprengköpfe, 2.500 taktische Atomwaffen und mehrere strategische Bomber. Der damalige US-Präsident Clinton sagt heute: Das war ein Fehler. Wäre die Ukraine 2022 noch Atommacht gewesen, wäre es nicht zum Überfall Putins auf die Ukraine gekommen.

3. Am 31. Mai 1997 wurde der russisch-ukrainische Freundschaftsvertrag geschlossen. Er endete am 31. März 2019 – fünf Jahre, nachdem Putin 2014 die Krim nach Russland einverleibt hatte.

4. Am 29. Januar 2003 kam es in Kiew zum russisch-ukrainischen Grenzvertrag zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Kutschma; der Vertrag trat am 23. April 2004 in Kraft.

Was verdrängt wurde

1. In den Jahren 1931/32 hatte Stalin einen Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine inszeniert. Stichworte: Entkulakisierung, Liquidierung von Tausenden von Intellektuellen und Geistlichen, Verschleppungen, vor allem erzwungen durch Zwangsrequirierungen von Ernten für den Export und potenziert durch Missernten ein Hungertod von Millionen Ukrainern. Die historische Forschung ist sich hinsichtlich der Zahl der Opfer nicht ganz einig. Zwischen 2,4 und 7,5 Millionen hat es gegeben. Dieser „Holodomor“ ist Teil der historischen DNA der Ukraine. Als im Bundestag auf Antrag von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP am 30. November 2022 darüber abgestimmt wurde, dass es sich hier um einen Genozid/Völkermord handelte, enthielten sich „Linke“ und AfD der Stimme.

2. Den Überfall Putins auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 verurteilten Linke und Recht pflichtschuldig. Aber immer wieder blitzt das linke und rechte Narrativ durch: Russland habe die Ukraine überfallen, weil es sich durch die Nato eingekreist gesehen habe. Gemeint ist der 1999 bzw. 2004 erfolgte Nato-Beitritt vormaliger Sowjetrepubliken (Estland, Lettland, Litauen) sowie ehemaliger Mitglieder des Warschauer Pakts (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Rumänien). Putin befeuerte diese Betrachtung, indem er von einem Verrat des Westens spricht und so tut, als habe der Westen 1990 im Umfeld des Zwei-plus-Vier-Vertrages die Zusage gemacht, die Nato nicht nach Osten zu erweitern, und indem Putin den Zerfall der Sowjetunion als größte Katastrophe der Geschichte bezeichnet und die „russische Erde“ wieder einsammeln will. All die auch von Linken und Rechten in Deutschland gepflegten und übernommenen Narrative sind historisch nicht korrekt. Es stimmt zwar: Im Rahmen des Zwei-plus-Vier-Vertrages vom 19. September 1990, unterzeichnet in Moskau, in Kraft getreten am 15. März 1991, zwischen den vier „Siegermächten“ sowie der Bundesrepublik und der DDR wurde darüber gesprochen. Mehr nicht. Es gab „Sondierungen und Überlegungen“, aber keine „Garantien“, schon gar keine kodifizierten. Im Übrigen gibt es ein Selbstbestimmungsrecht der Völker und Staaten. Und dass die neuen Nato-Mitglieder einen Grund hatten, der Nato beizutreten, kann man gut nachvollziehen nach den Erfahrungen der Ungarn von 1956, der Tschechen von 1968, der Polen von 1981 und der Litauer vom 13. Januar 1991 („Blutsonntag von Vilnius“).

Davon ungerührt spielen „Linke“, BSW und AfD Putins Spiel mit und machen stramm auf Anti-Amerikanismus. Dass Ex-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder seinen Freund Putin einen „lupenreinen Demokraten“ nannte, dass er Putins Definition von Russland als „gelenkter Demokratie“ verbreitete: geschenkt. Geschenkt auch an dieser Stelle die Umtriebe der SPD-„Moskau-Connection“ in Hannover.

Aktuelle Beispiele selbstgewählter Instrumentalisierung

Viel skandalöser ist, wie sich deutsche „Linke“, BSW und AfD in peinlicher Weise Putin anbiedern.

1. Putin lässt zwar keine OSZE-Beobachter zu den „Wahlen“, aber AfD-Abgeordnete fuhren 2018 und fahren jetzt 2024 zu Putins „Wahl“ nach Moskau. Um – wie schon 2018 – zu verkünden, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei?

2. Die WELT berichtete im Oktober 2020 von mehr als hundert AfDler-Reisen nach Russland – auch auf die seit 2014 besetzte Krim und bei Separatisten in Dozek und Luhansk. Solche Reisen setzten sich nach dem 24. Februar 2022 fort.

3. Thüringens AfD-Mann Björn Höcke weiß am 3. Oktober 2022, also am Tag der Deutschen Einheit, in Gera zu sagen: „Der natürliche Partner, der natürliche Partner für uns als Nation, der Tüftler und Denker, der natürliche Partner unserer Arbeits- und Lebensweise wäre Russland; ein Land mit schier unerschöpflichen Ressourcen. Aber wenn ich mich jetzt für das deutsche Volk entscheiden müsste zwischen dem Regenbogenimperium, zwischen dem neuen Westen, zwischen dem globalistischen Westen und dem traditionellen Osten, ich wählte in dieser Lage den Osten.”

4. Zur Feier der 78. Wiederkehr des russischen Sieges im „vaterländischen Krieg“ erscheinen am 9. Mai 2023 ein AfD-Co-Vorsitzender Tino Chrupalla und ein Linken-MdB Klaus Ernst Seit an Seit mit Ex-Kanzler Schröder in der russischen Botschaft in Berlin.

5. Die AfD-Abgeordneten Steffen Korté und Eugen Schmidt traten in einer russischen Propagandasendung auf und beklagten, dass durch deutsche Panzer wieder Russen getötet wurden. Immerhin ist dem verteidigungspolitischen Sprecher der AfD, Oberst a. D. Rüdiger Lucassen, der Kragen geplatzt. Bei ZDF-Lanz nannte er solche Auftritte „Volksverrat.“

6. Und die Partei „Die Linke“ bzw. das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)? Zu den neun Abgeordneten, die Wagenknecht aus der Links-Fraktion in das BSW mitnehmen konnte, zählt Andrey Hunko. Der stattete den von Moskau gelenkten Separatisten in der Ostukraine im Februar 2015 einen Besuch ab. Mit dabei war ein Fraktionskollege, das einstige DKP-Mitglied Wolfgang Gehrcke, der diese Sicht der Dinge in der Debatte „Streit-Bar“ mit Roland Tichy und Diether Dehm darstellt. Beider Grundsatz scheint zu sein: Die Feinde der USA sind meine Freunde. Dazu die Wagenknecht-Vertraute Sevim Dagdelen. Kurz vor dem Angriff auf die Ukraine bezichtigte sie die USA und die Nato der „Kriegstreiberei und Kriegshetze“. Währenddessen ließ Wagenknechts heutiger Ehemann Oskar Lafontaine die Schweizer „Weltwoche“ aktuell wissen: „Deutschlands natürlicher Partner heißt Russland, nicht Amerika.“

Alles in allem: Linke wie Rechte geben sich „eurasischen“ Phantasien hin, hoffen auf eine Partnerschaft mit Russland. Das Putin- und das Post-Putin-Russland wird aber Deutschland nicht auf Augenhöhe begegnen, sondern aus einer Position der absoluten Überlegenheit, die auf Großmachtdenken basiert. Das war schon bei Dostojewskij so, und es ist bei Putin nicht anders.

Einen deutschen Sonderweg als Wandler zwischen Ost und West wird es nicht geben, auch nicht als eurasischer Player – allenfalls als Vasall, wie es die DDR erlebt hat.

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Kommentare ( 76 )

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76 Comments
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Der Ingenieur
7 Monate her

„Das darf nicht in Vergessenheit geraten“

Ich vermisse in seiner Aufzählung noch einiges. So z.B.:

Die Minsk I und II Verträge, die 2014/15 unter Vermittlung der Merkel- und Macron-Regierungen zu stande kamen. Dabei verpflichteten sich Russland und die Ukraine zum Waffenstillstand sowie die Ukraine zu Gewährung von Minderheitenrechten und freien Wahlen in den Ostgebieten. Das wurde jedoch nicht eingehalten.

Außerdem erwähnt er nicht, dass Selenskij die turnusmäßigen Parlamentswahlen in der Ukraine im Herbst letzten Jahres sowie die jetzt im März anstehenden Präsidentschaftswahlen verhindert hat.

Last edited 7 Monate her by Der Ingenieur
AHMED
7 Monate her

Der Artikel von Josef Kraus hätte eine interessante Diskussion anstoßen können, wenn – ja wenn! – er mit seiner einseitig anti-russischen Schlagseite nicht übers Ziel hinausgeschossen wäre. Nur ein Beispiel. Kraus tut kurzerhand das entscheidende Argument ab, Russland habe sich einer illegitimen Einkreisung durch die NATO gegenüber gesehen (NATO-Osterweiterung und angestrebte Aufnahme der Ukraine in die NATO). In keinem „kodifizierten“ Dokument, schon gar keinem förmlichen Vertrag, so Kraus, habe die NATO Russland zugesagt, dass sie auf eine entsprechende Erweiterung verzichte. In der Tat gibt es keinen solchen Vertrag. Tatsache ist aber, dass die Westmächte bei den 2 + 4- und… Mehr

November Man
7 Monate her

„Es gab „Sondierungen und Überlegungen“, aber keine „Garantien“, schon gar keine kodifizierten.“ Jeder kann überprüfen und nachlesen, dass Genscher und Baker den Russen versprochen haben es gibt keine Osterweiterung der Nato über die Elbe. Die Elbe sei die Grenze der Nato. Dieses Versprechen wurde von der Nato vorsätzlich gebrochen. Schriftliche Verträge braucht man mit der Nato und den USA keine zu machen, die werden, wie auch dieses Versprechen, eh nicht eingehalten, gekündigt oder gebrochen. Siehe einseitige und endgültige Kündigung des historischen Atom-Abrüstungsabkommen INF durch die USA. Und genau in der Aufnahme in die Nato von Ländern östlich der Elbe wie… Mehr

Reinhard Peda
7 Monate her

Ja die Nato???
Den Habeck in seinem Lauf hält die Wirklichkeit auf – 11 Prozent Grüne bei EU-Wahl ist ein Signal (tichyseinblick.de)
Im Link – Ulrike Guérot erinnert an die ZDF-Perspektive zu Ost und West 2014. – und das Video abspielen.

Haba Orwell
7 Monate her

Die richtige Formulierung wäre: Wie sich Liberal-Konservative von der Globalen Wokeness instrumentalisieren lassen. Und im Hintergrund blühen: Degrowth und Entvölkerung.

Audix
7 Monate her

Es fehlt etwas in der Auflistung der Ukraine – Historie: der US – finanzierte Maidan – Putsch, der Bruch des Minsk – Abkommens durch die Ukraine, die Russophobie der Ukraine – Rechten, die Rechtsradikalen wie z.B. Asow. Russische quellen lesen bitte, nicht nur westliche.

Alrik
7 Monate her
Antworten an  Audix

Nicht zu vergessen der Bruch des Minsker Abkommens durch Deutschland das sich vertraglich verpflichtet hat keine Waffen an die Ukraine zu liefern.

Spyderco
7 Monate her

Da bringen Sie etwas durcheinander.Zuerst wurden,im April 1962 ,amerikanische Atomraketen in der Türkei stationiert.Kuba war die Antwort der Sowjetunion im Juli 1962.

Wolfgang Schuckmann
7 Monate her
Antworten an  Spyderco

Danke, das war unbedingt nötig, damit nicht so im Detail Bewanderte die Reihenfolge nicht verwechseln.

babylon
7 Monate her

In diesem Land, das J.Kraus in einem Vorgängerartikel als amorphes Gebilde ganz richtig bezeichet hat, läßt sich jeder für jeweils andere Interessen instrumentalisieren, „rechts und links“ angeblich von Putin und Herr Kraus mit seinen Parteigängern von Strack-Zimmermann bis Kiesewetter und Hofreiter von bestimmten trasatlantischen Kräften, die immer noch in Teilen den Traum von Zbiniew Brzesinski träumen, während sich mit China längst eine andere geopolitische Macht, die Dominanz herzustellen versucht, auf den Weg gemacht hat. Deutschland ist seit dem Ende von WKII kein wirklich außenpolitisch handendes autonomes Subjekt mehr sondern Objekt von Interessen, die zu weiten Teilen gegenläufig sind, wenn man… Mehr

Klarus
7 Monate her

Mich stört schon die Überschrift, denn es ist eine infame Unterstellung, zu behaupten, die Kritiker ließen sich von Putin instrumentalisieren. Auf diesem Niveau könnte man ebenfalls behaupten, Herr Kraus ließe sich von Baerbock und Strack-Zimmermann instrumentalisieren. Und gleichzeitig ist diese Analyse nach dem altstalinistischen Muster gestrickt ‘wer nicht für uns ist, ist gegen uns’. Wer das westliche Engagement oder die Politik des Herrn Selensky kritisiert, ist für Putin, also gegen “uns”, die von der Wahrheit Erleuchteten. Das ist unterste Schublade! Wissen Sie, nehmen Sie doch einfach mal zur Kenntnis, daß viele Deutsche mit diesem Krieg einfach nichts, garnichts zu tun… Mehr

Ceterum censeo Berolinem esse delendam
7 Monate her

Bravo, Herr Kraus. Dass ich das noch erleben durfte, solch einen Artikel hier bei Tichys Einblick zu lesen! Mein besonderer Dank an Sie für die Aufzählung der historischen Fakten. So etwas war längst überfällig. Ich kann Ihnen allerdings versprechen, dass große Teile Ihrer Leserschaft Gift und Galle spucken werden. Das gibt Haue. Es war für mich schon lange vollkommen unverständlich, dass hier in den Leserkommentaren teilweise völlig ungehemmt übelste Putin-Propaganda verbreitet werden kann, zum Teil einfach nur zynisch und an der Grenze des noch Erträglichen. Leider gibt es auch unter Ihren Autorenkollegen einige, die unverhohlen Putin-affin sind und damit über… Mehr

Hannibal ante portas
7 Monate her

Okay, Ihrer Meinung kann man durchaus sein. Nur wie geht es jetzt weiter? Wieviel Gamechanger brauchen wir noch, um dieses „Spiel“ wirklich nochmals zu drehen? Ich könnte Ihnen dutzende, ach hunderte Fakten auflisten warum Ostpreußen eigentlich Teil Deutschlands sein müsste, aber es ist es einfach nicht mehr! Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung welche Strategie Putin letztendlich fährt: Großrussland, Sowjetunion wiederherstellen, Ostblock wiederherstellen, Weltherrschaft… Und trotzdem muss man jetzt versuchen einen Verhandlungsfrieden zu etablieren, denn Alternativen gibt es nur wenige: totaler Untergang der Ukraine oder direkte offene Kriegshandlungen zwischen NATO und Russland, gemeinhin als Dritter Weltkrieg einzuordnen. Wie lange könnte… Mehr