Da die EU ausfällt, Amerika und Russland Partei sind, könnte China zum Friedensstifter im nahen und mittleren Orient werden.
Sa’udische Konfliktlinien
Aus dieser geschichtlichen Entwicklung resultieren zahlreiche Konflikt- und Problemsituationen, die die Politik der Sa’ud bis heute bestimmen.
- Aufgrund sowohl des wahabitischen Anspruchs, die Scharia als islamisches Gottesgesetz vor jegliches weltliche Gesetz zu stellen, wie auch angesichts der Tatsache, dass die Sa’ud in ihrem Herrschaftsbereich alles andere als eine Bevölkerungsmehrheit stellen, ist jegliche Vorstellung der Einführung eines demokratischen Regierungssystems nach westlichem Muster grundsätzlich auszuschließen. Eine sa’udi-arabische Demokratie wäre gleichbedeutend mit dem Ende der Herrschaft der Sa’ud und könnte darüber hinaus die fragile Konstruktion des Landes innerhalb kürzester Frist zur Implosion bringen. Liberale Bestrebungen wie jene des zum langsamen Foltertod verurteilten Raif Badawi werden insofern vom Königshaus als unmittelbarer Angriff auf seine Herrschaft gewertet.
- Die strikte Ablehnung der Schia durch den Wahabismus organisiert eine ständige Diskriminierung der Anhänger dieser Glaubensrichtung. Da die Schia sowohl in der ölreichen Ostprovinz nebst dem vorgelagerten Vasallenstaat Bahrain wie auch im urprünglich jemenitischen Südwesten vertreten ist, sieht sich die sa’udische Herrschaft gezwungen, alle schiitischen Bestrebungen im Keim zu ersticken. Das Todesurteil gegen einen schiitischen Jugendlichen, der an einer Demonstration gegen das Königshaus teilgenommen hatte, ist somit aus sa’udischer Sicht unvermeidbares Vorgehen zur Absicherung der eigenen Macht ebenso wie zur Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen. Die militärische Intervention im Jemen mit dem Ziel, die schiitischen Huth von der Machtübernahme abzuhalten, resultiert ebenfalls aus dieser Notwendigkeit, ein Erstarken der Schia auf der arabischen Halbinsel um jeden Preis verhindern zu müssen.
- Infolge der Vertreibung der Haschemiten befindet sich das sa’udische Herrschaftshaus in einer ambivalenten Situation seinem nördlichen Nachbarn Jordanien gegenüber. Dieses infolge britischer Kolonialherrschaft künstlich gezeugte Land wird mit Abdullah 2 bin alHussain vom direkten Erben des Sharif von Mekka regiert. Abdullah gilt daher in islamischer Tradition als Nachkomme des Propheten. Tatsächlich könnte der liberale Sunnit Abdullah damit jederzeit einen sowohl religiösen wie weltlichen Anspruch auf die Herrschaft über das Hedschas mit seinen heiligen Stätten erheben. Umgekehrt macht dieses deutlich, dass die Sa’ud im Falle einer die Stabilität gefährdenden Situation in Jordanien nicht zögern werden, auch dieses Kunstprodukt mit Waffengewalt zu annektieren. Sie verzichteten darauf bislang vorrangig deshalb, weil die Haschemiten seit 1916 von Großbritannien und den USA gestützt werden.
- Die zu keinem Zeitpunkt ausgeräumte Fehde zwischen den Sa’ud und den Schamar erklärt einerseits die nur halbherzige Unterstützung der Sunniten im Irak ebenso wie die strikte Weigerung, Flüchtlinge aus dem sich selbst zerstörenden Syrien aufzunehmen. Die mehrheitlich den Schamar zuzurechnenden Syrer würden als Neusiedler im Reich der Sa’ud das dortige Bevölkerungsgleichgewicht erheblich stören können und die seit 1921 im arabischen Reich von den Sa’ud unterworfenen Schamar in ihrer Position stärken. Hinzu kommt, dass die syrischen Sunniten eher einer toleranteren Islamauslegung angehören als die Sa’ud. Sie könnten insofern aus Sicht der zentralarabischen Herrscher den „ewigen Bund“ mit dem Wahabismus gefährden.
- Die arabischen Golfstaaten ebenso wie das unter seinem absolutistischen Sultan Qabus ibn Said seit den siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sich behutsam der Außenwelt öffnende Oman sind angesichts ihrer eigenen Machtmöglichkeiten und geopolitischen Lage darauf angewiesen, die Hegemonie der hochgerüsteten Sa’ud zu akzeptieren. Gleichzeitig sichert ihnen eine enge Anlehnung an die USA derzeit die Eigenständigkeit vor möglichen Expansionsgelüsten des Nachbarn. Sollte es allerdings vergleichbar dem Jemen zu Unruhen in diesen südostarabischen Ländern kommen, wird Sa’udi-Arabien nicht zögern, auch hier militärisch aktiv zu werden.
- Der bis in die Antike zurückgreifende Konflikt zwischen den zivilisierten Persern/Iranern und den aus deren Sicht barbarischen Arabern hat durch die Konfrontation zwischen Schia und sunnitischem Fundamentalismus seit dem Erstarken der Sa’ud eine neue Dynamik gewonnen. Neben der Türkei, die unter Erdogan die Vorstellung entwickelt hat, an das osmanische Kalifat anknüpfen zu müssen, stehen sich der gegenwärtig als schiitischer Gottesstaat organisierte Iran und das radikal-sunnitisch geprägte Sa’udi-Arabien im Streit um die Hegemonie in der Region unversöhnlich gegenüber. Das zwischen den europäischen Führungsmächten und dem Iran ausgehandelte Atomabkommen steht insofern in eklatantem Widerspruch zu den sa’udischen Interessen, als es dem Feind ermöglicht, seine Ölreserven nun wieder offiziell auf dem Weltmarkt verkaufen zu können. Der gegenwärtig niedrige Ölpreis ist auch eine Folge des sa’udischen Versuchs, durch Überproduktion die Gewinne des Iran aus dem Ölgeschäft möglichst niedrig zu halten. Dass dieses nicht nur die US-Schieferölproduktion deutlich unattraktiver macht, sondern insbesondere auch Russland in seinem Hauptexportgut empfindlich trifft, dürfte dabei eher ein Nebeneffekt sein, der jedoch maßgeblich dazu beigetragen haben kann, die neue syrische Achse Russland-Iran zu befördern.
- Trotz seiner inneren Probleme und der defizilen außenpolitischen Situation fühlt sich das sa’udische Königshaus nach wie vor an seinen Bund mit den Wahabiten gebunden. Dieses erklärt unter anderem die heimliche Unterstützung von radikal-sunnitischen Bewegungen wie alQaida und alNusra ebenso wie Bestrebungen, insbesondere in Europa und den bereits früher islamisch beherrschten Regionen der heutigen EU den salafistischen Islam massiv zu fördern. Der angekündigte Bau von Moscheen bei gleichzeitiger Einflussnahme auf die dortigen Imame böte insofern die Möglichkeit, unmittelbar in diese derzeit noch jüdisch-christlich geprägten Länder zu wirken.
Sa’udische Perspektiven, Russland und der Iran
Der Syrienkonflikt berührt die Interessen der Sa’ud in vielerlei Hinsicht. Vorrangig sahen sie – wie die Türkei im Norden – darin die Möglichkeit, den schiitischen Einfluss, der mit iranischer Unterstützung sowohl im Libanon wie auch in Syrien erheblich zugenommen hatte, zurück zu drängen. Gleichzeitig hält sich der Wunsch, diese arabische Region einzugemeinden, nicht nur mangels gemeinsamer Grenze, sondern auch auf Grund der oben dargelegten ethnischen Problematik in Grenzen. Ein Zustand anhaltender Instabilität bei kontinuierlicher Schwächung des schiitischen Einflusses läge hingegen durchaus im sa’udischen Interesse.
Die Intervention Russlands auf Seiten der schiitischen Alawiten wird daher in Riad als unmittelbarer Angriff auf die eigenen Interessen gewertet. Auch wenn trotz der Hochrüstung der wahabitischen Monarchie nicht von einem direkten Waffengang zwischen Russland und Sa’udi-Arabien auszugehen ist, wird das Königreich seine gegen Russland gerichteten Bestrebungen nunmehr forcieren. Das kann einen Niederschlag darin finden, den Ölpreis weiter auf möglichst niedrigem Niveau zu halten. Es wird aber mehr noch dazu führen, dass die Sa’ud entweder direkt oder wie in der Vergangenheit über Vertraute des Königshauses jene radikalislamischen Kräfte stärken, die bis in das russische Kernland hinein durch Anschläge den nunmehr aktiv auf den Plan getretenen Gegner schwächen sollen. Gleichzeitig wird dieses die im Sinne der Menschenrechte unheilige Allianz der Sa’ud mit den USA stärken.
Zu einem weiteren unmittelbaren Waffengang mit sa’udischer Beteiligung kann es in der Region kommen, falls tatsächlich eine schiitisch kontrollierte Brücke von der libanesischen Mittelmeerküste bis in den Iran hinein entstehen sollte. Eine solche durch Nordarabien führende, schiitische Barriere kann aus ihrem eigenen Machtanspruch heraus weder die türkische noch die sa’udische Regierung akzeptieren. In diesem Falle wäre es sogar vorstellbar, dass das sa’udische Königshaus eine Möglichkeit sieht, die traditionelle Fehde mit den Schamar zu überwinden, indem es sich dann zu dessen Schutzmacht erklärt und damit aktiv Position auch gegen die irakischen Schiiten bezieht.
Ein unmittelbarer Konflikt mit dem Iran wäre dann ebenso vorprogrammiert wie für den Fall, dass der schiitische Gottesstaat auf Seiten der von den Sa’ud im Jemen oder möglicherweise auch in den arabischen Ölprovinzen bedrängten Schiiten aktiv eingreifen sollte. Bei der gegenwärtigen Lage mit den nunmehr engen Verbindungen der Protagonisten zu den Großmächten USA auf der sunnitischen und Russland auf der schiitischen Seite könnte ein solcher Konflikt schnell ein Pulverfass entzünden, das sich nicht mehr auf den Nahen Osten eingrenzen ließe.
Konflikt und Konflikteindämmung
Die russische Intervention ist in ihren Konsequenzen insofern für Russland völlig unberechenbar, da sie auf eine geballte Front sunnitischer Gegner trifft, deren Fanatismus und Opferbereitschaft russische, aber auch amerikanische Analysten bis heute niemals in ihrer Tragweite realistisch einzuschätzen wussten. Die Glaubenskämpfer, die eben nach wie vor auch in Sa’udi-Arabien die hochgerüstete Macht in den Händen halten, werden mit unterschiedlichsten Instrumentarien gegen den Interventionisten vorgehen. Gleichzeitig können die Russen zumindest zeitweilig bislang völlig unerwartete Koalitionen befördern, wenn beispielsweise Israel, die Türkei und die sunnitischen Araber zu der Überzeugung gelangen, dass das russisch-schiitische Bündnis für jeden von ihnen gleichermaßen eine existentielle Gefahr darstellt.
Unabhängig davon verschärft Russlands Militäreinsatz nicht nur durch die unmittelbare Einsatznähe von Militärgerät der Großmächte beziehungsweise deren Verbündeten die Gefahr direkter Konfrontation. Es stellt sich die Frage, ob diejenigen, die an den roten Knöpfen sitzen, im Ernstfall die Kontrolle haben oder überhaupt haben wollen, eine dann möglicherweise weltweite Eskalation zu verhindern.
Offen ist auch nach wie vor, wie sich im Falle einer weiteren Zuspitzung China positionieren wird. Dem derzeit wirtschaftlich angeschlagenen Reich der Mitte ist zwar auf der einen Seite an einer Schwächung beider global agierender Konkurrenten gelegen – andererseits kann es in der für einen globalen Schlagabtausch zu klein gewordenen Welt nicht das geringste Interesse an einem selbstvernichtenden Konflikt zweier Atomgroßmächte haben.
Insofern könnte ihm bei einer weiteren Zuspitzung der Situation anders als beispielsweise dem militärischen, mit der eigenen Zuwanderung beschäftigten Zwerg Deutschland, in dem immer noch nicht wenige von einer neutralen Position zwischen den Großmächten träumen, tatsächlich die Rolle eines Friedensstifters zufallen, der aus seiner eigenen militärischen Stärke heraus das Gewicht hätte, die eine wie die andere Seite massiv in Bedrängnis zu bringen. Dass China sich eine solche Rolle durch eigenen Machtzuwachs bezahlen lassen wird, steht außer Frage.
Ob Russland wie die USA im Ernstfall eine chinesische Konfliktlösung mit den entsprechenden Zugeständnissen angesichts einer drohenden Selbstvernichtung bezahlen würden, wird letztlich von der Größe des Kuchens abhängen, den man zu Dritt untereinander aufteilen könnte. Sollte es dazu kommen, könnten nach dem Muster der Berliner Konferenz von 1884 dann allerdings neben den zerfallenden Syrien und Irak auch Sa‘udi-Arabien, die Türkei und der Iran zu den großen Verlierern gehören.
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