Das ist die Tragik der EKD: Dass sie mit dem Evangelium und mit der Reformation auf einem Goldschatz sitzt, sich aber mit klerikalen Herrschafts-Modeschmuck von Karl Barth zufrieden gibt.
Das Sprachgenie Martin Luther hat mit wenigen Wörtern das Zeitalter der Aufklärung eingeläutet: „Es genügt völlig, dass in der Politik die Vernunft herrscht“ (Martin Luther 1528, WA 27, 418,4).
Was für eine revolutionäre Aussage!
Die Lufthoheit über die Politik hat alleine die Vernunft.
Nicht die Kirche.
Nicht der Glaube.
Nicht die Bibel.
Nicht der Klerus von einer hohen Kanzel.
Wenn ein Staat zum Beispiel eine Politik für sozial schwache Menschen machen möchte, dann helfen Bibelverse letztlich nicht weiter. Vielmehr muss vernünftig gefragt werden, wieviel soziales Ungleichgewicht in einem Lande optimal ist, damit auf der einen Seite die Leistungsträger nicht durch zuviele Steuern und Sozialabgaben demotiviert werden und damit auf der anderen Seite die soziale Schere nicht so groß ist, dass Menschen auf der Schattenseite unwürdig verelenden.
In diesen diffizilen Abwägungsprozessen braucht es vernünftige Diskussionen durch Menschen und Parteien, die ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen, Interpretationen, Argumente und Interessen einbringen.
Bibelworte können in diesem vernünftigen Diskussionsprozess durchaus heilsame Anregungen bringen, weil die Bibel nicht dem gegenwärtigen Zeitgeist entspringt und darum immer wieder den Horizont fruchtbar erweitern kann.
Aber Bibelworte, die autoritär und korangleich als Stimme Gottes eingebracht werden, richten in diesen demokratischen Diskurs mehr Schaden als Nutzen an.
Und selbst für das Grundanliegen, sich für sozial Schwache einzusetzen, braucht der Staat keine klerikalen Hinweise; zuviel soziales Ungleichgewicht bedroht mit sozialen Unruhen auch das satte Leben der Reichen, so dass schon rein aus Vernunftgründen eine soziale Politik naheliegt.
Kurz: „Es genügt völlig, dass in der Politik die Vernunft herrscht.“
Luthers Kernthese von der Zentralstellung der Vernunft in der Politik führt also geradeweg in eine neue klerikale Bescheidenheit hinein. Mittelalterliche oder auch muslimische Träume einer religiösen Regentschaft in den Staat hinein sind mit Luthers Kernthese nicht mehr möglich. Wenn Religion politisch sein will, dann lediglich auf gleicher Augenhöhe mit allen anderen gesellschaftlichen Menschen und Gruppierungen, die jeweils ihren Sachverstand einbringen.
Wenn nun etwa ein Journalist einen evangelischen Bischof fragt: „Wie steht die evangelische Kirche zur Flüchtlingsfrage?“ – dann kann m.E. ein Bischof im Sinne Martin Luthers nur Folgendes antworten:
„In unserer Kirche ist jeder Christ in seinem Gewissen vor Gott gefragt und deshalb kann es keine einheitliche vorgeschriebene politische Meinung der evangelischen Kirche geben. Aber ich freue mich über jeden Christen, der sich auf dem Boden des Grundgestzes und auf dem Boden der evangelischen Bekenntnisschriften politisch engagiert – innerhalb oder außer einer Partei, die ihm entspricht. Darum ermutige ich alle Christen, sich mit ihrem Sachverstand einzubringen in die diffizilen Abwägungsprozesse zwischen den Eigeninteressen unseres Landes und unseren menschlich-begrenzten Hilfsmöglichkeiten und den Nöten durch Migration und Flucht.“
Solch eine kirchliche Antwort im Geiste Luthers ermöglicht Vielfalt, Freiheit und echten Protestantismus, wo die Kirchen-Institution eine untergeordnete Rolle spielt und wo der einzelne Christ in seiner individuellen Beziehung zu Gott im Mittelpunkt steht.
Und doch hat sich die evangelische Kirche in ihrer Geschichte schwer damit getan, sich in diese bescheidene neue Rolle einzufügen. Zu groß war die Versuchung, sich mit göttlichen Würden herrschaftlich in die Politik einzumischen. Selbst Luther war oft genug dieser Versuchung erlegen.
Und so hat man sich mehr und mehr vom revolutionären Ansatz Martin Luthers entfernt. Ein Kronzeuge für diese Kehrtwende ist Karl Barth. Mit folgendem Satz hat dieser große und geniale Theologe des 20. Jahrhunderts das neue protestantische Paradigma auf den Punkt gebracht:
„Ich bin überzeugt, dass die Kirche gegenüber Staat und Gesellschaft der übergeordnete, der überlegene Bereich ist, dass die eigentlichen Entscheidungen auch über Staat und Gesellschaft nicht in Staat und Gesellschaft, sondern in der Kirche fallen“ (Karl Barth 1933: Die Kirche Jesu Christi, Seite 8).
Hier behauptet Karl Barth doch tatsächlich, dass „die Kirche“ die Lufthoheit über Staat und Gesellschaft hat.
Was für eine autoritäre Anmaßung.
Was für eine klerikale Überheblichkeit.
Was für eine undemokratische Sonderstellung.
Was für ein Rückfall zurück hinter die Aufklärung.
Gerne hat sich die EKD bei ihrer ersten Gründungsversammlung in Treysa 1945 von Karl Barth beeinflussen lassen und ihren Hoheitsanspruch über Staat und Kultur noch ungeschminkter ausgedrückt: „Allgemeines Ziel muss sein, die Wahrung christlicher Lebensordnung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durchzusetzen“ („Kundgebungen, Worte und Erklärungen der EKD 1945-1959, Seite 3).
Dabei ist mir ein Rätsel, wen Karl Barth mit „die Kirche“ meint, wenn er sagt: „Ich bin überzeugt, dass die Kirche gegenüber Staat und Gesellschaft der übergeordnete, der überlegene Bereich ist.“
Bei der katholischen Kirche mag man von „der Kirche“ reden; zentralistisch organisiert mit dem Papst an der Spitze, der dann die eine katholische Kirche repräsentiert.
Aber in der evangelischen Kirche, die kein verbindliches Lehramt kennt – wer ist da „die Kirche“? Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm oder die „Christen in der AfD“ oder die betende bettlägerige Seniorin in dem benachbarten Altenheim oder die „Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche“?
Die evangelische Kirche ist strukturell individuell und vielfältig. Weil sie den in den Genen hat, der individuell gegen die Mehrheitsmeinung bekannt hat: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“
Auch wenn die kirchliche Publizistik und der Kirchentag mit aller Entschiedenheit versuchen, die evangelischen Schäfchen durch diverse Ausschlüsse und Benachteiligungen auf die eine Linie zu trimmen – in einer Kirche mit Luther-Code wird es die EKD schwer haben, eine einheitliche kirchliche Linie durchzusetzen, mit der dann die Deutungshoheit über Staat und Gesellschaft proklamiert werden kann.
Zum anderen kommt mir im neuen EKD-Paradigma die Vernunft zu kurz, die doch gerade für Luther im politischen Bereich zentral ist.
„Wir lassen keinen Menschen ertrinken. Punkt.“ Solche EKD-Sätze im Barthschen Duktus angesicht der Migrationskrise zeigen: Hier soll nicht mehr diskutiert werden. Hier soll nicht mehr mit Vernunft abgewogen werden, hinterfragt werden, gezweifelt, nach Alternativen gesucht werden. Hier wird nur noch gehandelt. Ein Rettungsschiff muss betrieben werden.
Doch wo die EKD vorschnell einen Punkt setzt, da gehen die Fragen erst richtig los: Sicherlich dürfen wir keine Menschen ertrinken lassen. Aber eben nicht Punkt. Sondern weiterdenken. Heißt das, das wir jeden, den wir aus dem Mittelmehr fischen auch eine Staatsbürgerschaft im europäischen Sozialsystem geben können oder müssen?
Aus Luthers Hochachtung der Vernunft als die zentrale Tugend der Politik wird eine kopflose EKD, die mit einer rigorosen Moral jeden vernünftigen Diskurs abwürgt, bevor er richtig begonnen hat.
Das ist die Tragik der EKD: Dass sie mit dem Evangelium und mit der Reformation auf einem Goldschatz sitzt, sich aber mit klerikalen Herrschafts-Modeschmuck von Karl Barth zufrieden gibt.
Doch während sich Bedford-Strohm am Steuer seines Rettungsschiffes „scheinheilig“ als moralische und spirituelle Avantgarde der Gesellschaft inszeniert, funken die Kirchengemeinden in gefährlichen Kirchenaustritts-Wellen das SOS von Wolfgang Borchert: „Ich möchte Leuchtturm sein in Nacht und Wind, für Dorsch und Stint, für jedes Boot und bin doch selbst ein Schiff in Not!“
Gegen alle EKD-Macht-Phantasien möchte ich zum Abschluss noch einmal – weil es so schön ist! – den politische Goldschatz meiner Kirche hochhalten. Hier leuchtet das Gold der Freiheit und das Gold der Anschlussfähigkeit an die Moderne:
Martin Luther: „Die Führung des Staates muss nicht heilig sein, auch seine Regierung braucht keine christliche sein. Es genügt völlig, dass im Staat die Vernunft herrscht“ (1528, WA 27, 418,3-4).
Damit kann sich die Kirche voll und ganz auf ihre eigene Stärke konzentrieren:
Auf die Verkündigung des Evangeliums, das nicht politische Macht ist, sondern Erlösung, Trost und Stärkung.
Auf die Verkündigung des Evangeliums, in dem die betende bettlägerige Seniorin mindestens genauso Kirche ist wie das EKD-Zentrum in Hannover.
Auf die Verkündigung des Evangeliums, das die Menschen in der Nachfolge Jesu ermutigt, sich menschlich-allzumenschlich mit Bibel und Vernunft für das gesellschaftliche Wohl einzusetzen – um dabei auch immer wieder neu zu lernen von der politischen Klugheit und Weisheit anderer Akteure und Parteien.
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Was treibt die EKD-Teil 1? Ich erlaube mir hier zwei ältere Kommentare von Thorben Friedrich-Dohms noch einmal zu posten, weil sie nach wie vor aktuell sind. Der erste Kommentar bezieht sich auf die Haltung der deutschen Kirchen zum Machtanspruch des Islam in Deutschland und der Möglichkeit einer „abrahamitischen Ökumene“, die durchaus im Sinne der Kirchens sein könnte, weil die Abwehr der politischen Ansprüche islamischer Vereinigungen nahezu zwangsläufig zu einer Diskussion über eine wirkliche Trennung von Staat, Religion und Kirche führen müsste. Kommentar von Thorben Friedrich-Dohms: „Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass es das „christliche Abendland“ gegen eine drohende Islamisierung zu… Mehr
Danke für Ihre beiden anregenden Kommentare. Das Thema enthält viel Brisanz – womit ich mich von Ihnen gut verstanden fühle.
Was treibt die EKD-Teil 2? Ich erlaube mir hier zwei ältere Kommentare von Thorben Friedrich-Dohms noch einmal zu posten, weil sie nach wie vor aktuell sind. Der zweite Kommentar bezieht sich auf die bereits 1972 beschriebenen Kritikverbote, wenn es um die „höheren Ziele“ geht. Kommentar von Thorben Friedrich-Dohms: Der Philosoph Hermann Lübbe stellte 1972 in seiner Kritik an der Frankfurter Schule fest: „Das wichtigste Element unserer ideologiepolitischen Situation ist die Entfaltung einer Kultur der Gegenaufklärung. Universitäten und Redaktionsstuben wurden zu Zentren politischer Heilsgewissheit, wirklichkeitsüberlegener Besserwisserei, penetrantem Moralismus und eifernder Intoleranz.“ Er warnte schon damals vor den Gefahren der drohenden Gegenaufklärung:… Mehr
Das Problem ist, dass die Kirchen aktiv politisch tätig geworden sind, und die Politik aktiv religiös…
Ist es vernünftig mit diesen Rettungsschiffen Migranten aufs Meer zu locken? Gäbe es diese Schiffe nicht, würden diese gefährlichen Bootsaktionen bald nicht mehr geben. Welcher vernünftige Mensch hockt sich auf ein seeuntüchtiges Schlauchboot?
Sie haben zwar recht, aber das ganze Schlepperwesen funktioniert doch anders. Den „Flüchtlingen“ wird von den Schleppern erzählt, dass sie nur ganz kurze Zeit auf dem maroden Kahn oder Schlauchboot verbringen müssen, schon ist ein Rettungsschiff der EU da, das sie aufnimmt und ins gelobte Land bringt. Deshalb setzen sich diese Leute auf solche Boote. Das geht eben auch mal schief. Mit Vernunft hat das nur am Rande zu tun. Es ist eine risikobehaftete Wette, die viele gewinnen und auch ein paar verlieren. Solange das Wettbüro (das Schleusergeschäft) nicht geschlossen (Seenotrettung einstellen und das überall propagieren) sondern weiter betrieben wird,… Mehr
Danke für den Link zur Reportage der Daily Mail! Unter anderem sprachen die Journalisten der Mail mit einem hochrangigen libyschen Offizier der Küstenwache der Beweise dafür hat, dass die „Seenotretter“ nicht nur Absprachen mit den kriminellen Menschenhändlern treffen, sondern Ihnen die Migranten auch „abkaufen“- in dokumentierten Telefonaten ist von 450 brit. Pfund die Rede. „Speaking exclusively to the MoS he said: ‘The non-governmental organisations (NGOs) are adding to the crisis by actively encouraging increasing numbers of migrants. Now we have the evidence they are in cahoots with the smugglers. We have evidence the smugglers call the NGOs directly and there… Mehr
Das, was Bedford-Strohm und seine linken Jüngerinnen „Seenotrettung“ nennen, ist nichts anderes als ein Kettenglied im organisierten Menschenhandel der Schlepperbanden in Libyen. Die Menschenhändler schicken ihre „Fracht“ mit Schlauchbooten und Benzin für wenige Meilen in die 12 Seemeilen Zone vor der libyschen Küste, wenn sie die „Rettungsschiffe“ auf z.B. https://www.vesselfinder.com/ erkennen. Und die EKD tut den Schleppern den Gefallen das mörderische Geschäft am Laufen zu halten, indem die zahlenden Migranten nicht zurück in den nächstliegenden Hafen oder in einen anderen nahen Hafen Nordafrikas zu bringen (Seenotrettung!) sondern mehrere Hundert Meilen ins ferne Europa. Merken Sie eigentlich noch etwas Bischof B.-S.? Durch… Mehr
Der Artikel hat meinem Unwohlsein in der EKD und meiner Hilflosigkeit ihren offiziellen Positionen gegenüber Artikulation und Klärung gegeben.
Dieser apodiktische „Punkt“ von Herrn Bedform-Strohm wollte mich verstummen machen.
Danke Matthias Aschermann
Meine Hauptkritik an der Kirche ist, dass sie sich vom christlichen Glauben und der Bibel genauso entfernt hat, wie von ihren Gläubigen und Glaubensbrüdern.
Stattdessen wird ein „Tanz um das Goldene Kalb“ des Mainstream ausgeführt …
Ich würde es Verblendung nennen. Denn die Gutmenschen sind sicher davon überzeugt, auf dem Boden des Evangeliums zu stehen.
Ich bin glaeubig, aber aus der EKD schon Ende der 80er ausgetreten, naemlich als sie eine politische Aussenstelle der SPD wurde.
„Es genügt völlig, dass in der Politik die Vernunft herrscht.“
Bin ich der Einzige hier, der genau da und jetzt ein Vakuum und eine Menge Handlungsbedarf sieht…?!
Auf jeden Fall 2 schoene Sprueche fuer den 29.8..
Der o.g., sowie „Hier stehe ich und kann nicht anders.“
Es gibt schlechtere Gesellschaft fuer eine Sache als die von Luther, Hegel, Kant&co.
Nein! Sie sind nicht der einzige, der genau da und jetzt ein Vakuum und eine Menge Handlungsbedarf sieht. Sonst hätte ich als Pfarrer nicht diesen Artikel geschrieben. Und Tichyseinblick scheint dem auch etwas abzugewinnen können, sonst hätten sie diesen Artikel nicht veröffentlicht… Eine mit Kirchensteuern finanzierte Außenstelle der SPD (oder irgendeiner anderen Partei) braucht Deutschland nicht, das sehe ich genauso wie Sie.
Die EKD ist zu einem der Epizentren des sozialistischen dekadenten Zeitgeistes geworden. Man hat schlicht aus dem Versagen im dritten Reich nichts gelernt und legt wieder die Axt an die Gesellschaft. Eine eigene stringente Haltung zum Glauben ist nicht existent, sondern es existiert der Hang zum wohlgefühlten Bessermenschentum.
Mit Glauben hat das nichts mehr zu tun, sondern bewegt sich in den Bereich der Sektierer. Das dann die Menschen, die noch am Glauben hängen, die „Kirche“ verlassen, ist kein Wunder. Auch die Ökosozialisten werden die Kirche verlassen, denn man wählt dann lieber das Original, wohl überwiegend Grün.