Wie die Bundesregierung die Verteidigungsausgaben schönrechnet

2024 hat Deutschland überraschend 90,6 Milliarden als Verteidigungsausgaben deklariert. Damit würde man das 2-Prozent-Ziel der Nato sogar übererfüllen. Doch in Wirklichkeit trickst die Bundesregierung - etwa, wenn Kindergeldzahlungen an Bundeswehrangehörige in die Statistik einfließen.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Seit Russlands Überfall auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 ist viel die Rede davon, dass die Nato-Mitgliedsländer endlich 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben sollen. „Sollen“ heißt: Der Nato-Gipfel von 2002 in Prag hat sich nach Jahren der ausgeschöpften „Friedensdividende“ auf dieses Maß verständigt, und zwar als Empfehlung für die Jahre bis 2012. Im Jahr 2014 – nach der Annexion der Krim durch Russland – wurde dieses Ziel bei Nato-Gipfel in Wales in Erinnerung gerufen.

Erst recht geschah dies ab Februar 2022. Kanzler Scholz versprach am 27. Februar in seiner „Zeitenwende“-Rede, dass Deutschland sehr rasch die 2-BIP-Prozent anstrebe. Zu diesem Zeitpunkt waren es 1,4 Prozent. In Zeiten des Kalten Krieges, also bis hinein in die 1980er Jahre, waren es 3,5 Prozent. Nun wird die Nato mit Blick auf den 75-Jahre-Jubiläums-Gipfel vom 9. bis 11. Juli in Washington die 2 Prozent erneut festklopfen. Die Nato war ja bekanntermaßen am 4. April 1949 von 12 Staaten gegründet worden. Zu den Gründern gehört folgende 12 Staaten: Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA. Die Bundesrepublik trat der Nato am 9. Mai 1955 bei.

Im Vorfeld des Nato-Jubiläumsgipfel wollen die Nato-Mitglieder jedenfalls nicht schlecht dastehen. Deshalb melden für 2024 mittlerweile und urplötzlich 23 der 32 Nato-Mitglieder, dass sie die 2-Prozent-Marke erreicht hätten.

Viele tricksen, die „Ampel“ besonders schamlos

Deutschland hat der Nato für 2024 Verteidigungsausgaben von sage und schreibe 90,6 Milliarden Euro gemeldet. Und das bei einem Regeletat von 52 Milliarden für 2024. Das ergibt rechnerisch einen Anteil am BIP von 2,12 Prozent. Spitzenreiter allerdings bleiben Polen, Griechenland, die USA und die baltischen Staaten. Hinten rangieren Spanien, Slowenien, Luxemburg, Belgien, Kanada, Italien und Portugal. Insgesamt werden die derzeit 32 Nato-Staaten nach jüngsten Schätzungen im Jahr 2024 rund 1,5 Billionen US-Dollar (etwa 1,4 Billionen Euro) für Verteidigung ausgeben. Davon tragen die USA mehr als die Hälfte bei: 883,7 Milliarden. US-Dollar (823 Milliarden Euro). In BIP-Prozent ausgedrückt: Die Nato insgesamt gibt 2,54 BIP-Prozent für Verteidigung aus, die Nato ohne die USA 1,8 Prozent.

So richtig vergleichbar freilich sind die Prozentangaben nicht. Hier wird viel getrickst. Die „Ampel“ mag sich rühmen, dass sie das 2-Prozent-Ziel der Nato 2024 erreicht. Aber: Dem ARD-Hauptstadtstudio liegen vertrauliche Papier vor, wie die 2,12 Prozent Deutschlands zustande kamen.
www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundeswehr-nato-zwei-prozent-100.html

Der Verteidigungsminister rechnet für 2024 nämlich einen Großteil aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen dazu. Da das Sondervermögen aber seit Ende 2023 so gut wie vollständig verplant ist, heißt das: Die 2 Prozent werden sich ab 2025 nicht wiederholen lassen. Dann müsste der Regeletat nämlich 86 statt der derzeit 52 Milliarden ausmachen.

So trickreich hat die „Ampel“ nach Brüssel ins Nato-Hauptquartier also gemeldet bzw. in die 2 BIP-Prozent eingerechnet:

  • Zinszahlungen für vergangene Ausgaben für die Bundeswehr, also für Panzer, Flugzeuge und Schiffe, die vor Dezember 2021 von der Vorgängerregierung angeschafft wurden.
  • Zinsen für Rentenzahlungen oder Entwicklungshilfeausgaben, die nicht direkt als verteidigungsrelevant gelten können.
  • Kindergeldzahlungen an Bundeswehrangehörige aus dem Bundesfamilienministerium.
  • Versorgungsleistungen für die ehemaligen Angehörigen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR.
  • Eine Milliarde aus dem Entwicklungshilferessort für den Wiederaufbau in Krisen- und Kriegsgebieten hinzu.
  • Krisenpräventionsausgaben aus dem Auswärtigen Amt und die Mitgliedsbeiträge der Bundesrepublik an die UNO.

Deutschland ist aber nicht der alleinige Trickser. Zweifelhafte Rechenmethoden praktizieren auch andere Länder: Spanien rechnete einmal die Kosten der Feuerwehr von Madrid ein. Griechenland führte vor Jahren Pensionskosten von Militärangehörigen aus der Zeit der Diktatur auf.

Alles in allem: Wenn alle tricksen, sind sich alle ja wieder einig. Ob sich das real in Verteidigungsfähigkeit umsetzt, ist eine andere Frage. Vor allem aber bleibt offen, ob die europäischen Nato-Partner auf Dauer ohne den großen atlantischen Bruder verteidigungsfähig sind.

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Kommentare ( 44 )

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44 Comments
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Frank1
6 Monate her

Pensionsleistungen an ehemalige Militärangehörige zählen ganz „offiziell“ (nach Übereinkunft der beteiligten Länder) zu den 2 Prozent. Ebenso Budgetzuschüsse an Universitäten und andere Forschungseinrichtungen („Waffenforschung“) sowie Wohnungen für Armee-Angehörige. Ich empfehle, sich einmal genau anzuschauen, was bei den US-Zahlen subsumiert ist.

Last edited 6 Monate her by Frank1
Reinhard Lange
6 Monate her

Der „große atlantische Bruder“ kassiert vor allem kräftig ab. Dazu Jens Stoltenberg am 17.06.2024 in Washington: „In den letzten zwei Jahren wurden mehr als zwei Drittel der europäischen Rüstungskäufe mit US-Firmen getätigt. Das sind Verträge mit US-Rüstungsunternehmen im Wert von mehr als 140 Milliarden US-Dollar. Die NATO ist also gut für die US-Sicherheit, gut für die US-Industrie und gut für US-Arbeitsplätze.“

Nibelung
6 Monate her

Sprachlich kann man den Russen mit dem Begriff Überfall sofort was unterjubeln, was ja auch beabsichtigt war, ohne dabei die vorausgegangenen eigenen Interventionen über Jahre mit einzubeziehen. Das die Russen aber ihre Hoheit aus Sicherheitsgründen vor der Haustür bewahren wollten, mit dem haben sie nicht gerechnet, obwohl die Amis es vor Kuba gleich gemacht haben und nur über die Vernunft der Russen ein weiterer Weltkrieg verhindert wurde. Heute nimmt man die gesamte wirtschaftliche Lage des Niedergangs zum Anlaß um einen Krieg anzuheizen und versucht sich irriger Weise mit dem größten Atomwaffenbesitzer der Welt anzulegen, der sich mittlerweile auch mit anderen… Mehr

alter weisser Mann
6 Monate her

Bei aller gerechtfertigten Ampelschelte mal die Frage: Hat die diesen Lug & Trug erfunden, oder ist das „nur“ das, was die Vorgängerin auch schon gemacht hat?

Schwabenwilli
6 Monate her
Antworten an  alter weisser Mann

Tja, wer hat’s erfunden?
Die Merkel hat erfunden

Wobei ihre Vorgänger natürlich auch nicht ohne waren aber die Dame hat es perfektioniert.

Michael W.
6 Monate her

Den fetten Posten für die Besatzungstruppen nicht vergessen!
Außerdem ist es gut, das so getrickst wird.
Noch besser wäre es, wenn man 0 Euro tatsächliche Ausgaben auf 90 Mrd. aufblasen könnte, ohne dass es einer merkt.
Putin wird uns nicht überfallen (lassen), er weiß, dass Russland uns braucht (und wir auch Russland). Man sieht ja, wie dreckig es unserer Wirtschaft geht, ohne Russland. Nicht mehr lange, und Russland wird uns nicht mehr brauchen.

Ornhorst
6 Monate her
Antworten an  Michael W.

Ja, und niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen. Wenn Putin die Balten angreift, dann haben auch wir Krieg. So einfach ist das. Und warum sollte der die Balten nicht angreifen, wenn er einen so großen Sieg im Süden davontragen kann? Die Deutschen werden von den Russen, d.h. den Medien und vom Kleinen Mann längst offen als „Feinde“ bezeichnet – und das sind wir auch! Feinde eines Staates, der seinen Nachbarn hinterhältig angreift, obwohl er ihm vorher gesagt hat, macht was ihr wollt. Eines Staates, der sich nicht an die Genfer Konventionen hält und sich so nationalistisch gibt wie… Mehr

Last edited 6 Monate her by Ornhorst
Haba Orwell
6 Monate her
Antworten an  Michael W.

Der real existierende Putin (nicht der aus Tagesschau) redet zuletzt viel über ein eurasisches Sicherheitssystem und dass Westeuropa sich mit Russland arrangieren muss, wenn es überhaupt noch zum eigenständigen Pol der multipolaren Welt werden will. Derzeit sieht die nichtwestliche Welt Westeuropa als eine US-Kolonie.

Persönlich brauche ich keine Weltherrschaft/Dominanz und noch weniger, wenn es nicht mal die eigene ist, sondern eines Landes hinter dem Ozean. Dafür den letzten Cent ausgeben und sterben wollen, ist das Idiotischste, was man sich vorstellen kann.

Mausi
6 Monate her

Kommt wohl immer drauf an, wofür das Geld ausgegeben wird: Kindergeld, Schwangerenuniformen, Funkgeräte, Batterien, nicht mehr benötigte Bundeswehrfachschulen, Kopfhörer zu 2.000 bis 2.600 EUR mit unnützen Funktionen. Man muss nur die Berichte des Bundesrechnungshofes lesen.
Das Geld muss in andere Hände ist einer der roten Fäden, dem die Politik der Ampel rigoros folgt. Diese Art der Politik begann unter AM mit ihren endlos offenen Grenzen und mit der Umsetzung des grünen Endes für die Atomkraft unter AM.

Last edited 6 Monate her by Mausi
Alf
6 Monate her

Es geht viel einfacher.
Seit 40 Jahren steht die Lösung geschrieben:

Lösung
Ma breichat bloß deene.
A Waffn ind Hand geem,
De song: da Kriag i unvameidle.
Na glangat a Wiesn
Für d Schlacht.
Und s Voik kannt zuaschaung,
wia si de Ooschlecha daschiaßn.

aus Gotthelf Gollner
A oide Lindn is a Geschicht

Raul Gutmann
6 Monate her

Das Starren auf die fiskalische 2-Prozent-Marke läßt die letztlich entscheidenden substantiellen militärischen Fähigkeiten in den Hintergrund treten oder gar gänzlich verschwinden.
So ließe sich jenes Finanzziel zwar mittels Anschaffung von bspw. zusätzlicher amerikanischer Lockheed F-35 erfüllen, doch der Nutzen für das Kampfpotential der Bundeswehr wäre sehr begrenzt.
Wie der Autor mehrfach anführte, steht die Bundeswehr nahezu bei jedem Großgerät (Schützenpanzer, Kampf- und Transporthubschrauber, Marine“groß“kampfschiffe etc.p.p.) fast „blank“ da.
Von der nicht vorhandenen mentalen Kampfbereitschaft ganz zu schweigen.

Last edited 6 Monate her by Raul Gutmann
Ralf Poehling
6 Monate her

Es wird zu viel aufs Geld geschaut, nicht auf die viel wichtigere Strategie und die Struktur der Verteidigung. Geld raushauen kann ich für den absoluten Unsinn, ohne dass das für die effektive Verteidigung irgendeinen Mehrwert hätte. Die Verteidigung Deutschlands bzw. Europas lässt sich eigentlich sehr kostengünstig steigern. Durch eine halb-privatisierte Milizarmee nebst liberalem Waffenrecht + Drohnenverteidigung. Was die Ukraine da strategisch macht, ist eigentlich nicht verkehrt. Denen fehlt einzig die atomare Abschreckung, die sie damals in geistiger Umnachtung abgebaut haben und nicht etwa Taurus. Für das „Große“ brauch es unbedingt eine eigene atomare Abschreckung für den ganzen europäischen Kontinent. Letzteres… Mehr

Kuno.2
6 Monate her
Antworten an  Ralf Poehling

Im Trennungsvertrag Kiews mit Moskau wurde nicht nur die Übergabe dieser Nuklearwaffen festgehalten (darauf hatten auch die USA bestanden) sondern auch die Verpachtung des großen Flottenstützpunktes auf der Krim. Zusätzlich hatte die damaligen Unterhändler aus Kiew unterschrieben, dass die Ukraine nicht der Nato beitreten darf. Nach dem Putsch 2014 gegen die rechtmäßige Regierung Janukowitsch wurde dieser Vertrag gebrochen. Im Internet trägt der deutsche General Kujat vor, dass er im Jahr 2017 von der Nato beauftragt wurde das Militär der Ukraine kompatibel mit den Standards der Nato zu machen.

Ralf Poehling
6 Monate her
Antworten an  Kuno.2

Richtig. Aber mir geht es bei meinem obigen Kommentar gar nicht um die Ukraine. Mir geht es um eine funktionierende militärische Strategie für unsere Landesverteidigung. Ich beobachte die Konflikte dieser Welt sehr genau und ziehe da für uns die wichtigen Lehren raus. Wenn man andere beim Spiel beobachtet, sieht man deren Stärken und Schwächen und kann deshalb die eigene Strategie erst richtig anlegen. Sun Tzu: „Erkenne den Feind…“ Gilt jetzt nicht explizit in Richtung der genannten Akteure, sondern in jede Richtung. Mir geht es bei meinem obigen Kommentar rein um strategische Dinge, weniger um politische. Wir selbst sind gerade in… Mehr

Kuno.2
6 Monate her
Antworten an  Ralf Poehling

ok. Aber wer ist der Feind genau? Ohne den auch von Merkel unterstützten Putsch in Kiew wäre dies Russland heute nicht. Und ich kann nur davor warnen hochzurüsten um sich mit China und Russland anzulegen.

Ralf Poehling
6 Monate her
Antworten an  Kuno.2

Wem hat die CDU mit wessen Hilfe da 2015 die Tür aufgemacht und wer ist in Millionenstärke zu uns eingewandert und fordert nun den Umsturz in Richtung Kalifat?
Irgendwie scheint das kaum mehr jemand auf dem Schirm zu haben, was hier das eigentliche Problem ist…

Memphrite
6 Monate her
Antworten an  Ralf Poehling

Vor allem die Boomers und diversen „Wehr-Opas“ leben immer noch im kalten Krieg und wollen es den Russen mal wieder zeigen.
Dabei sehen sie nicht wie das Land bereits zerfällt.

Memphrite
6 Monate her
Antworten an  Ralf Poehling

Sieht man sich die Zusammensetzung der Deutschen bevölkern an, wird ein Angriff von außen nicht unser Problem sein.
Deutschland wird in den nächsten 20-30 Jahren sowieso unregierbar werden und dann zerfallen. So wie fast alle großen westlichen EU-Staaten.

AmitO
6 Monate her

Gut, wenn Rüstung sein muss, warum dann nicht von den Russen lernen?
Also, enteignen wir alle Rüstungsunternehmen, sodass sie nicht mehr auf Profit sondern auf Anforderungen arbeiten. Ebenfalls Bevorzugung von „regionaler Küche“, schließlich müssen wir den Klimawandel bekämpfen!
Wollen wir doch mal sehen, wie die Kriegstreiber dann das Thema (nach erwartbarem Geschrei) plötzlich fallen lassen.

Last edited 6 Monate her by AmitO