Die Legende, die Menschenmenge und Budapest und der angebliche Versuch Orbans, sie festzuhalten, hätten in Berlin am Abend des 4. September 2015 zu einer Spontanentscheidung geführt, ist nachweislich falsch.
In dem Doku-Drama „Stunden der Entscheidung“, das am 4. September im ZDF lief, setzt Regisseur Christian Twente von vorn herein einen Rahmen: Er erzählt den 4. September 2015 nach – hauptsächlich als Drama zwischen Kanzlerin Angela Merkel, dem österreichischen Kanzler Werner Faymann und dem ungarischen Premier Viktor Orban. Die Sympathie ist ziemlich klar verteilt. Das, wie es heute heißt, Narrativ lautet kurz zusammengefasst so: Merkel entschied an diesem Tag binnen Stunden unter Druck, improvisiert und aus humanitären Gründen, das Dublin-Verfahren aufzugeben. Asylbewerber sollten nicht mehr in dem EU-Land registriert und festgehalten werden, das sie als erstes betraten, sondern direkt nach Deutschland durchlaufen können. Was dann, 2015 und 2016, bekanntlich fast zwei Millionen Migranten taten.
In dem Film trifft die Nachricht, dass am Budapester Bahnhof tausende Migranten auf die Weiterfahrt nach Deutschland warten, auf eine praktisch unvorbereitete Merkel. In der nachgespielten Morgenlage referiert eine Merkel-Assistentin: „Wir fliegen nach München, von dort mit der Limousine zu einer MINT-Schule nach Buch am Erlbach, dann zur TU-Garching, Besuch eines Start-up-Unternehmens, danach fliegen wir nach NRW, erst Oberbürgermeisterwahlkampf in Essen, danach mit dem Helikopter nach Köln, dort halten Sie ihre Rede auf der 70-Jahre-Feier der Landes-CDU, das geht bis circa acht, dann zurück nach Berlin – und es ist Feierabend.“
An diesem Routinetag setzt Österreichs Kanzler Faymann in dem ZDF-Drama mit einem Anruf die offenbar ahnungslose Merkel darüber ins Bild, was im Wortsinn auf Deutschland zukommt. Und erst dann, am Abend, brechen die eigentlichen „Stunden der Entscheidung“ an.
Die Grenzöffnung für eigentlich nicht Einreiseberechtigte – beziehungsweise die „Nichtgrenzschließung“, wie Merkel-Verteidiger sagen – fand allerdings gar nicht am 4. September abends in einigen hektischen Stunden statt. Sondern in mehreren Stufen und in einer erstaunlich engen Kooperation zwischen Bürokratie, NGOs und Medien schon seit dem 20. August 2015.
An diesem Tag verschickte das Präsidentenbüro des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) folgende hausinterne Mitteilung von BAMF-Chef Manfred Schmidt:
„Herr Präsident hat entschieden, dass ab sofort keine Übernahmeersuche für syrische Antragsteller mehr gestellt werden. Dublin wird faktisch für Syrer ausgesetzt. Die faktische Aussetzung von Dublin für Antragsteller aus Syrien wird nicht öffentlich kommuniziert.“
Dem folgte unmittelbar ein Erlass heraus, der nichts weniger bedeutete als die einseitige Beendigung des Dublin-Verfahrens durch Deutschland – zunächst nur für Personen, die angaben, Syrer zu sein.
Der Erlass listete detailliert auf, wie die bisherigen Regeln auszusetzen und zu umgehen waren. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten – siehe oben – Asylbewerber, die an der Grenze erschienen, in das EU-Land zurückgeschickt werden, das sie als erstes betreten hatten; das BAMF musste in jedem dieser Fälle ein „Übernahmeersuchen“ (ÜE) an den Mitgliedsstaat stellen. Nach dem Dublin-Schlüssel waren die Asylbewerber dann auf die einzelnen Länder zu verteilen. Ab 21. August 2015 galt das nicht mehr:
„/Syrien/2015 Verfahrensregelung zur Aussetzung des Dublinverfahrens für syrische Staatsangehörige“, hieß es in dem Behördenschreiben: Bei „persönlicher Asylantragsstellung in der Außenstelle oder wirksame schriftliche Antragstellung beim Bundesamt, evtl. Dublinverfahren“ sollte nun so verfahren werden: „Keine Einleitung des Dublinverfahrens, Fragebogen Teil 1 und 2 müssen nicht abgefragt bzw. versandt werden. Es ist das nationale Asylverfahren durchzuführen.“
Falls „Dublinverfahren nach Antragstellung bereits eingeleitet, noch kein ÜE gestellt“, dann sollte ab sofort gelten: „Kein ÜE stellen, Frist zum Stellen eines ÜE ( 2 oder 3 Monate) auslaufen lassen. Es ist danach das nationale Asylverfahren durchzuführen.“
Und weiter:
„Dublinverfahren, ÜE gestellt, noch keine Antwort aus dem MS (Mitgliedstaat) Antwort MS abwarten. Bei (fiktiver) Zustimmung des MS: Abbruch Dublinverfahren; Syrien-Fragebogen versenden trotz laufender Überstellungsfrist. Ablauf der Überstellungsfrist (sechs Monate) abwarten. Danach Entscheidung im nationalen Verfahren. Bei Ablehnung durch MS wird das Dublinverfahren abgebrochen, keine Remonstration, Entscheidung im nationalen Verfahren.“
Dort, wo der Bescheid zur Rücküberstellung schon vorlag, verfügte der Erlass: „Keine Bescheidzustellung, Abbruch Dublinverfahren, Entscheidungssachstände stornieren, Überstellungsfrist auslaufen lassen; danach im nationalen Verfahren entscheiden.“ Und: „Dublinbescheid ist bereits zugestellt, noch kein Gerichtsverfahren anhängig bzw. Abschiebungsanordnung ist vollziehbar“ – in diesen Fällen „Abbruch des Dublinverfahrens“.
Vor allem die Anordnung „keine Remonstration“ war bemerkenswert. Zur Erklärung: Wenn Beamte in Deutschland eine Entscheidung für rechtswidrig halten, haben sie die Pflicht, ihre Vorgesetzten darauf hinzuweisen – Fachausdruck: remonstrieren. Wird ihre Remonstration zweimal von Vorgesetzten zurückgewiesen, ist der Beamte frei von eventuellen Vorwürfen, an einem Rechtsbruch mitgewirkt zu haben. Dass eine beamtenrechtliche Verpflichtung praktisch aufgehoben wurde, machte den BAMF-Erlass zusätzlich zu einem juristisch fragwürdigen Dokument. Vor allem aber lag seine Brisanz darin, dass eine nachgeordnete Bundesbehörde ein internationales Abkommen für hinfällig erklärte – ohne politische Debatte in Deutschland, und ohne Konsultation mit den Nachbarn.
BAMF-Präsident Schmidt bat die Empfänger in seinem Amt darum, die Verfügung vertraulich zu behandeln. Geheim blieb sie allerdings nur wenige Tage. Am 24. August gab die Flüchtlingshilfe-NGO ECRE (European Council of Refugees and Exiles) in einer englischsprachigen Pressemitteilung bekannt, dass sich die deutsche Migrationspolitik grundlegend geändert hatte. Im Anhang sendete sie ein Original des BAMF-Erlasses, den sie offenbar aus der Behörde bekommen hatte.
Praktisch zeitgleich – am 24. August 2015 um 13.30 – gab das BAMF per Twitter offiziell bekannt, was Tage vorher schon beschlossen wurde:
Am gleichen Tag berichteten mehrere Medien, unter anderem der „Tagesspiegel“, sehr detailliert über die „Wende in der Asylpolitik“.
Screenprint: Tagesspiegel
Am 28. August antwortete das BAMF per Twitter auf die Anfrage, wie denn syrische Kriegsflüchtlinge überhaupt von anderen Migranten unterschieden werden sollten:
— BAMF (@BAMF_Dialog) August 28, 2015
Natürlich war die Antwort der Behörde realitätsfern. Die meisten Migranten kamen ohne Papiere, und angesichts der schnell steigenden Zahlen konnten auch keine Gutachten für alle durchgeführt werden – diese Kapazitäten besaß das BAMF gar nicht. Praktisch galt die Aussetzung von Dublin also schon für jeden, der von sich sagte, Syrer zu sein.
(Syrer spielten in der Migration generell nicht die Hauptrolle, die ihnen bis heute viele Medien zuschreiben, auch der ZDF-Film: Selbst diejenigen, die angaben, aus Syrien zu stammen, machten 2015 gerade 34 Prozent der Asylantragssteller aus. Der Rest stammte überwiegend aus anderen arabischen Ländern – vor allem aus dem Maghreb – und vom Westbalkan.)
Fazit: Am Abend des 4. September, als Merkel angeblich Hals über Kopf und angesichts dramatischer Bilder aus Budapest eine Schicksalsentscheidung treffen musste, war die 180-Grad-Wende in der deutschen Asylpolitik schon vollzogen, die Nachricht darüber war um die Welt gegangen.
Es ist schwer vorstellbar, dass der Präsident des BAMF eine derart weitgehende Entscheidung ohne politische Rückendeckung getroffen haben sollte. Am 17. September 2015 trat BAMF-Chef Schmidt zurück, weil ihm klar war, dass die Ankunft von tausenden Migranten pro Tag in Deutschland das eigentlich vorgeschriebene Prüf-Prozedere seiner Behörde unmöglich machte. Nicht der zuständige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, sondern Kanzleramtschef Peter Altmaier setzte darauf den Chef der Bundesarbeitsagentur Jürgen Weise als Verantwortlichen für das BAMF ein. Weise verfügte ein Anerkennungsverfahren nach Aktenlage, und setzte ein Eilverfahren in Gang, das Mitarbeitern nur noch Zeit ließ, Asylanträge pauschal und oberflächlich zu bearbeiten.
Die Legende, die Menschenmenge und Budapest und der angebliche Versuch Orbans, sie festzuhalten, hätten in Berlin am Abend des 4. September zu einer Spontanentscheidung geführt, ist nachweislich falsch.
Das ZDF tischt sie in ihrem Doku-Drama erneut auf.
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„… Dublin wird faktisch für Syrer ausgesetzt. Die faktische Aussetzung von Dublin für Antragsteller aus Syrien wird nicht öffentlich kommuniziert.“
Da frag ich mich, sind Syrer wichtigere Flüchtlinge als andere Flüchtlinge?
Geheimniskrämerei zeigt schon von der Illegalität dieser Aktion!
Es ist wohl als Deutschlands Beitrag zur Destabilisierung Syriens zu sehen.
Verglichen mit dem heutigen Staatsfernsehen, war der kleine Doktor geradezu vorbildlich glaubhaft.
Inzwischen ist der Bericht von Michael Hanfeld über die Bezahl-Schranke wieder zu lesen.
In der FAZ erschien heute ein Artikel von Michael Hanfeld aktualisiert um 11.12h,
der sich sachlich und fair mit der Kritik am ZDF Dokudrama und dem offenen
Brief des ungarischen Botschafters befasste. Es gingen sehr viele Leserkommentare
dazu ein, fast sämtliche contra ZDF. Ich habe meine Kommentar von 12h abfotografiert.
Der Artikel ist verschwunden.
Tja, die veröffentlichte Meinung ist – mindestens – genau so gefährlich, wie politisch unkorrekte Beiträge bzw. Artikel selbst. Ich erlebe diese Zensur regelmäßig in der lokalen Online-Ausgabe. Dort wird gewartet bis kurz vor Toreschluß. D h., es wird bevor die Kommentarfunktion geschlossen wird, noch ebnen zensiert, also gelöscht und dann geschlossen! So einfach geht Gesinnungsterror! Auffällig ist auch, dass die Kommentarfunktion bei manchen Themen bzw. Geschehen erst gar nicht zur Verfügung gestellt wird. Oder die like- bzw. dislike Funktion wird entfernt, wie z. b. seit einiger Zeit bei focus-online. Leserbriefe in Printmedien sind natürlich redaktionell selektiert und machen keinerlei Probleme.… Mehr
Wird bei den grössten österr. Zeitungen wie Kurier und Krone ähnlich gehandhabt!
Der Brief von Ungarns Botschafter an das sog. ZDF sickert wohl auch so langsam bei den MSM´s durch, -> Focus…
Und die clevere Frau Merkel findet den Film auch nicht gut. So schlägt sie, wie immer zwei Fliegen mit einer Klappe…… und Nooiiin, sie hatte damit auch gar gar nix zu tun 😉
Aber nur um klar zu stellen, dass sie sich selbst den Kaffe einschenkt und auch ab und zuTee trinkt.lol
Dass dieses ZDF-Dokudrama eher eine Heldenerzählung ist als eine seriöse Untersuchung ist schon klar. Und auch in meinen Erinnerungen wurden die entscheidenden Weichen Ende August gestellt und nicht im September. Die Migrationskrise war da schon seit Jahren virulent. Der Name „Lampedusa“ jedem Bürger ein Begriff. Ich glaube aber nicht, dass die Bundesregierung da irgendwas forciert hat. Warum nicht? Weil die viel zu feige sind. In der Ära Merkel wurden nie weitsichtige Entscheidung gefällt. Es wurde immer „gemerkelt“, also erstmal ignoriert, ausgesessen, abgewartet und zuletzt sich irgendwelchen Stimmungen angeschlossen, und dann so getan, als ob das der große Plan wäre. Das… Mehr
Dass unser Medienbetrieb dysfunktional ist, zeigt sich nicht darin, dass Legenden wie in dem Dokudrama verbreitet werden. Dies zeigt sich vielmehr darin, dass solche Legenden von allen Medien einhellig befördert werden. Dissens gibt es in unseren Medien nicht mehr. Pluralität gibt es in unseren Medien nicht mehr. Im Jahre 2015 gab es zur Migration nur eine mediale Einheitsmeinung und jetzt bei der anstehenden Aufarbeitung der Ereignisse ist wiederum nur ein alternativloses Narrativ zulässig. Wenn dieses Narrativ in Zweifel gezogen wird, wie beispielsweise durch den Brief des ungarischen Botschafters, reagieren die Medien in bewährter Weise: totschweigen. Interessant in dem Zusammenhang ist… Mehr
“Die Furcht Merkels vor einem medialen Aufstand gegen sie wird in keiner Szene auch nur angedeutet.”
Dann müsste aber auch angedeutet werden von wem die Medien gelenkt werden. Und das wäre nun wirklich zuviel für den Michel. Der muss früh raus aus den Federn um die Steuern anzuschaffen. Deshalb nur leicht bekömmliche Kost, sonst wälzt Michel sich nur grübelnd im Bett hin und her und kann am nächsten Tag seine optimale Leistung nicht abrufen.
Gut ist nur, das Internet vergisst nichts!
Das Internet „vergißt“ sehr wohl. Bestes Beispiel; alle Blogs und sehr viele Infos die sich mit Merkels Vergangenheit beschäftigen sind einfach verschwunden. Das einzige was hilft ist: selber archivieren soslange es noch sichtbar ist. Eine bessere Lösung wäre allerdings ein besseres politisches System wie unter Merkel. Aber allein die Mainstreammedien-Medien zu einer objektiven Berichterstattung zu bringen ist derzeit utopisch. Stattdessen sind sie zu einer regierungsfreundlichen Meinungssetzungsmaschine degeneriert. Wir soll man das ändern?
Der GCM hat doch einen Vorgaengerpakt
Oder die Entgegennahme eines gewissen Preises einer Organisation die auch bei Facebook und Co zensiert.