Es fällt nicht leicht, gegen die Spaltung der Gesellschaft zu protestieren, für Einheit und Mäßigung einzustehen. Weil kaum abzusehen ist, wie die Wunden, die die Corona-Krise dem zwischenmenschlichen Umgang geschlagen hat, je wieder heilen können.
„Die Grenze zwischen Gut und Böse läuft geradewegs durch das Herz jedes Menschen. Und wer mag von seinem Herzen ein Stück vernichten?“ Alexander Solschenizyn wusste, wovon er schrieb. Der russische Schriftsteller mahnte damit an, dass das Böse nicht nur von außen kommt. Wir machen es uns einfach, wenn wir das Böse nur auf einen Staat, nur auf eine Ideologie, nur auf eine abstrakte und anonyme Ebene heben. Der Mensch entscheidet sich. Die Verführung durch den Teufel, die Personifizierung des Bösen, ist ein beherrschendes Sujet des Abendlandes, aber das bedeutet nicht, dass der Mensch schuldlos an seiner Verführung ist. Im „Archipel Gulag“ beschreibt Solschenizyn, wie die Menschen aufgewiegelt werden, etwa, wenn zwei Häftlingen verschiedene Rationen zugeteilt werden. Sie gehen deswegen aufeinander los, zerstreiten sich, verwunden sich – töten sich.
Das griechische Wort für Teufel diábolos kommt vom Verb diabállein. Er ist der „Zusammenwerfer“, heißt: Auseinandertreiber, Zwistanstiftender, Verwirrer, Verleumder. Diabolisch sein heißt: eine Sache versprechen, das Gegenteil tun; die Lüge als Wahrheit verkaufen; von der Einheit sprechen und in ihrem Namen spalten. Die Etymologie macht auf einen Kerngedanken aufmerksam: Frieden, Wahrheit und Eintracht sind keine Ausnahmeerscheinungen, sondern der eigentliche Zustand der Schöpfung, so sehr diese verdorben erscheint.
Unheimlich wirkt deswegen die Selbstverständlichkeit, mit der die Spaltung der Gesellschaft empfangen, geradezu umarmt wird. Deutschland ist keine Ausnahme. Doch in Deutschland kommen weitere spezifische Ereignisse hinzu, die diesen Graben bereits vorher vertieft haben. Der damalige Bundespräsident Gauck sprach im Zuge der Migrationskrise 2015 selbst von einem „Dunkeldeutschland“. Ob das gut war, bleibt dahingestellt. Es bedeutete mehr als die bloße Spaltung, die bloße Bestandaufnahme, dass sich nun zwei Teile des Landes unversöhnlich entgegenstanden. Es bedeutete auch, dass das Amt, das eine versöhnende, brückenbauende, Wogen glättende Funktion übernehmen und damit als politisches Korrektiv zum politischen Normalfall des Streits dienen sollte, sich endgültig abgeschafft hatte.
Was unter Joachim Gauck begann, beherrscht seit dem Antritt Frank-Walter Steinmeiers die Normalität: nicht der Zusammenhalt des Landes – wer wagt noch von Nation, gar Volk zu sprechen? –, sondern die richtige Unterweisung in dem, was richtig und falsch, was nachahmenswert und was verfehlt ist, prägt nunmehr den Duktus des Staatsoberhauptes. Das galt zwar auch schon bei Vorgängern. Aber eben nicht nur.
Die politische Linke beschwört den Minderheitenschutz. Er gilt für religiöse, für ethnische, für sexuelle Minderheiten. Nur die politische Minderheit soll offenbar ihr Recht auf Schutz verwirkt haben. Die düstere Prophezeiung des Alexis de Tocqueville von der „Tyrannei der Mehrheit“ steht nur wenige Schritte von der Türschwelle zur Realität entfernt. Wie diese Mehrheiten entstehen, wie sie beeinflusst worden sind, wer ihre Wortführer sind, welche Rolle Medien und Politik spielen, ist dabei in letzter Instanz von untergeordneter Bedeutung. Es gilt nicht nur anzuerkennen, was Tatsache ist, sondern auch, dass die christliche wie liberale Ansicht, dem Recht des Stärkeren Einhalt zu gebieten, derzeit der nahezu sozialdarwinistischen Maxime „Wir sind mehr“ gewichen ist. Die Mehrheit ist demnach im Recht, die Minderheit im Unrecht – und Letztere hat sich deshalb zu fügen.
Unheimlich ist diese Selbstverständlichkeit deswegen, weil sie mit Liebe argumentiert – etwa für die Kranken –, aber in letzter Instanz doch jedes Mittel recht ist, um ihre Ziele zu erreichen. Nicht die christliche Caritas, sondern ein dem 19. Jahrhundert entsprungener Machbarkeitswahn steckt hinter Lockdown- und Impfpolitik. Wenn kein Opfer zu groß für eine Sache ist, dann stellt man sie absolut. Kommentatoren wie Entscheider der Vorgänge sind in den letzten zwei Jahren immer tiefer in diese Machbarkeitsfalle gekrochen, weil jedes Problem händelbar erscheint. Die Tragödie, die Zweischneidigkeit, die Kollateralschäden werden ausgeblendet zugunsten des großen Ziels. Erst dadurch gerät die Bekämpfung von Corona zu einem Status der Heiligkeit in einem unheiligen Zeitalter. Der Eifer für das vermeintlich Gute macht blind. Noch einmal Solschenizyn: „Um Böses zu tun, muss ein Mensch zuallererst glauben, dass das, was er tut, gut ist.“
Das entchristlichte Europa hat die Devise der Nächstenliebe karikiert. Das ist keine bloße „Fernstenliebe“ mehr, wie sie Friedrich Nietzsche benannt hat, sondern eine Form der ausschließenden Liebe, die sich jedem möglichen Thema, jedem Gegenstand und jeder Person widmet, so lange sie uns nur nicht allzu nahesteht, und möglichst wenig mit uns zu tun hat. Nicht die Ordnung des eigenen Umfelds, sondern die der ganzen Welt ist zum Antrieb geworden. Dazu gehört auch, dass viel über die theoretischen Möglichkeiten zur Bekämpfung eines Virus gesprochen wird, aber kaum darüber, Intensivstationen auszubauen, Pflegekräfte anzuwerben und die Umstände vor Ort so zu verbessern, dass auch mal bei anderen Krankheiten als Corona genügend Vorsorge getroffen wäre.
Die Überhöhung des eigenen Motivs spielt überall eine Rolle. Auf beiden Seiten gibt es wüste Beschimpfungen. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied neben der Größe der Lager – nämlich, dass das Mehrheitslager mit der Unterstützung einer Mehrzahl der Medien, der Bundesregierung sowie mittlerweile auch Parteien und Konzerne rechnen kann. Und selbst wenn auf einer Seite nur Querköpfe, nur Verstrahlte, nur Irre stehen – wäre es nicht eher Aufgabe der Gesellschaft, sich ihrer anzunehmen, statt sie aussortieren zu wollen? Ist es in der vermeintlich pluralistischen Gesellschaft so schwer geworden, ein Viertel bis Drittel der Bevölkerung auszuhalten?
Die europäische Gesellschaft – oder das, was von ihr übrig geblieben ist – befindet sich in einem Zustand von Angst und Hybris. Das hat der katholische Theologe Romano Guardini schon vor Jahrzehnten diagnostiziert. Die Gegenwart bestätigt ihn. Die Impfkampagne, die nun von allen Teilen des Landes unterstützt wird, kulminiert im abgeänderten Wahlspruch der FDP: „Impfen first. Bedenken second.“ Ist es das, wohin wir wollen? Bedenken zuletzt, das Ziel zuerst? Ist das der vielbeschworene Glaube an die Wissenschaft, an Fakten?
Haben wir verlernt, welche Zeitepochen und Systeme solche Überzeugungen ausgezeichnet hat? Ist die Demokratie nur noch zur Chiffre geworden für ein System, in dem die Mehrheit entscheidet, was am besten für alle ist? Wahrheit ist problematisch, weil Wahrheit keine Mehrheitsentscheidung ist. Und Mehrheit allein – das hat der Papa emeritus Benedikt XVI. einst gesagt – kann kein Recht begründen. Erinnert sich noch jemand an das berühmte Wort des deutschen Papstes im Bundestag, als dieser Augustinus zitierte – dass der Staat ohne Recht nichts als eine Räuberhöhle sei? Wer schützt die Grundrechte, wenn jede Freiheit mit der Begründung aufgehoben werden kann, es diene den Bedürfnissen der Sicherheit?
Nein, es fällt nicht leicht, gegen die Spaltung der Gesellschaft zu protestieren, für Einheit, für Besinnung, für Zurückhaltung, für Mäßigung einzustehen. Nicht nur, weil der Widerhall gewaltig, der letzte Schluss – offenbar – gefällt worden ist. Es fällt schwer, weil kaum abzusehen ist, wie die Wunden, die diese Corona-Krise im zwischenmenschlichen Bereich wie im öffentlichen Umgang geschlagen hat, je wieder heilen können. Vielleicht hat der Massenstrom der Meinung deshalb diesen Flusslauf genommen: weil er weiß, dass sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen lässt, und er alles überspült, was ihm nun im Wege steht.
Dennoch, trotz allem: Wir sollten uns nicht spalten lassen. Irgendjemand muss vorangehen. Jeder kann sich entscheiden, wie er sich den Umständen öffnet oder sich ihnen schließt. Hören wir auf die gute Seite unseres Herzens! Die Spaltung ist immer eine Tragödie, und ein Übel bleibt ein Übel. Ordnung ins Chaos kann nur derjenige bringen, der weiß, was der Urzustand der Schöpfung ist. Auch in Zeiten größter Verwirrung.
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der Artikel bewegt mich sehr! Anlass zu Reflexionen und einer Mail an einen guten Freund, dem schonmal die Galle überläuft: Herr Gallina spricht sehr wahre Worte gelassen aus: Wider die Spaltung Wider die SpaltungEs fällt nicht leicht, gegen die Spaltung der Gesellschaft zu protestieren, für Einheit und Mäßigung einzustehen… Ich verstehe Dich sehr gut, wenn Dir die Galle überläuft! Und doch! Um mich herum gibt es meist Geimpfte, die dennoch Partei für mich, für Ungeimpfte ergreifen. Gegen eine Impfpflicht sind und die faschistoide Wortwahl und entsprechendes Handeln seitens der Politik verurteilen. Euch beutelt es besonders, Wohnung ist einfach existenziell. Dass… Mehr
Ich habe es im engeren, nur noch von Ängten beherrschten Familienkreis inzwischen aufgegeben, persönlichen Kontakt zu halten. Weil im Gegensatz zu bisher der Antigen-Test inzwischen als Negativ-Bestätigung auch nicht mehr akzeptiert wird, sondern nur noch der PCR-Test, der in meinen Augen noch untauglicher ist, finden keine Besuche mehr statt. Alles geht über’s Telefon.oder Dinge werden im Freien übergeben – kein gemeinsamer Aufenthalt in der Wohnung mehr. Ich diskutiere auch nicht mehr – dann ist das halt so. Werde ich auch weniger in Anspruch genommen. Jeder soll auf seine Art glücklich werden – ich muss Niemanden zu seinem Glück zwingen. Da… Mehr
Dieses Virus ist mittlerweile zu einer Art Gottheit mutiert.
Was mich dabei wundert ist, dass sich insbesondere die Deutschen doch angeblich zunehmend von jeglichem (Aber-)Glaube abwenden sollen.
Scheinbar sind aber etliche Mitbürger lediglich konvertiert.
Nämlich vom (christlichen) Glauben hin zum Klima-,Corona- und alles-gleich-machen-Glauben.
Da ist mir die konventionelle Kirche doch viel lieber, denn dort darf ich mich auch als Konfessionsloser ohne Beschimpfungen aufhalten, wenn mir danach ist und man hält mir sogar explizit die Tür offen.
Der neue Aberglaube aber schlägt vielen Menschen die Tür vor der Nase zu, wenn man nicht dessen Hirngespinsten huldigt.
wie so oft liegt die Lösung, die Nicht- Spaltung doch bei jedem einzelnen von uns. Mein bester Freund ist geimpft und ergreift Partei für mich wie ich für ihn. Meine Arbeitskollegen lachen, wenn ich mit Maske zur Tür hereintrete, um sie dann, Sekunden später, absetzen zu ‚dürfen‘. Alle, egal mit wievielen ‚Gs‘ gesegnet, lehnen eine Impfpflicht ab. Vielleicht habe ich einfach ‚richtige‘ Freunde und in der Pflege Kolleginnen, die Maß und Moral nicht verloren haben? Selbst meinen Chefs ist es lieber, einen Kollegen zu wissen, der gegen die Impfung argumentiert als blind der Masse zu folgen. Ihrer Meinung nach hat… Mehr
Meines Erachtens gibt es keine Möglichkeiten die „Wunden zu heilen“, den „Riss zu kitten“, ich glaube aber, die Spaltung ist überwindbar, denn Überläufer sind willkommen und werden in Scharen eintreffen. Es geht doch nicht um „Gut“ gegen „Böse“, sondern um Wahrheit und Aufklärung gegen Lüge und Manipulation. Wir (Querdenker) stehen auf der Seite der Wahrheit. Leider werden wir keine Gefangenen machen. Und auch wenn es den konservativ-liberalen Redaktionen in aller Welt schwer fällt zu akzeptieren: jeder der sich der genetischen Behandlung unterworfen hat, kann die Seiten wechseln und sich den dritten Schuss nicht abholen. Denn dies wird erst enden, wenn… Mehr
Sehe ich auch so. Die Minderheit kann die Spaltung nicht überwinden. Das kann nur die Mehrheit, die den Fehdehandschuh geworfen hat. Und wie Kretschmann zu glauben, die Spaltung könnte man überwinden, indem man eine Impfpflicht einführt, wird voll in die Hose gehen! Allein die Erfolgsquote einer ordentlichen Medikamentenzulassung bestätigt die Skepsis der Vorsichtigen!
Ich teile ihre Hoffnung nicht. Gut die Hälfte, wenn nicht mehr der Geimpften (darunter ich) glaubt weder daran, mit der Impfung aus der Gefahrenzone, so es sie gibt, zu kommen, noch daß Corona damit vorbeigeht, sondern weil meine beiden Impfzertifikate in der App für mich wie jener „Persilschein“ sind, den man heute braucht, um ein wenigstens halbwegs normales Leben zu führen. Es ist eine ganz schlichte Güterabwägung, obwohl ich weiß, daß die Impfung heute AUCH ein Geißlerhutziehen, eine Gehorsams- und Unterwerfungsgeste gegenüber den linksliberalen Machthabern ist. Genau darum werden Impfgegner so verbissen bekämpft – weil sie sich weigern, den Geißlerhut… Mehr
Alles gut gemeint. Aber wie heißt es so schön? Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Mit Love and Peace kommen wir da nicht mehr weiter.
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/12/PD21_563_12.html „Ab Februar 2021 lagen die Sterbefallzahlen aufgrund der nahezu ausgebliebenen Grippewelle im Winter 2020/2021 zunächst unter dem mittleren Wert der vier Vorjahre. Sie stiegen dann im Zuge der dritten Corona-Welle und schon größtenteils außerhalb der typischen Grippezeit wieder über den Vergleichswert. Eine deutliche Übersterblichkeit ist aktuell seit Anfang September 2021 zu beobachten. Dieser Anstieg hat vermutlich mehrere Gründe und lässt sich nur zum Teil – im Oktober 2021 nur zu ungefähr einem Drittel – mit den beim Robert Koch-Institut (RKI) gemeldeten COVID-19-Todesfällen erklären. In der zweiten Novemberwoche lagen die Sterbefallzahlen um 17 % oder etwa 3 100 Fälle über dem mittleren… Mehr
Im Seniorenwohnheim meines Onkel fährt inzwischen der Leichenwagen schon mehr als einmal pro Woche vor. Normal wären zweimal im Monat. Und dieses Wohnheim ist nachweislich frei von Corona.
„Es fällt nicht leicht, gegen die Spaltung der Gesellschaft zu protestieren, für Einheit und Mäßigung einzustehen.“
Das geht mir auch so. Es fällt mir nicht leicht, weil ich diesen Willen zur Einheit zuletzt 1989 verspürte. Es war der Wunsch nach Einheit in Freiheit. Und genau da liegt der Knackpunkt –
https://www.focus.de/gesundheit/news/nur-zum-teil-durch-corona-erklaerbar-uebersterblichkeit-in-deutschland-viel-hoeher-als-sie-aktuell-sein-sollte_id_24502908.html
Es geht übrigens weiter, RKI schiebt natürlich die 2/3 die nicht auf Corona zurückzuführen sind auf „Dunkelzifffer“ und Spätfolgen von Corona.
Es darf halt nicht sein, was nicht sein darf.
Es gibt Wunden, es gibt Brüche, die niemals wirklich heilen. An der Oberfläche vielleicht, aber niemals tief drinnen. Das Feindbild Deutsch ist so alt wie die Deutschen selbst.
Ich habe nichts gegen eine „gespaltene“ Gesellschaft. Sie abzulehnen bedeutet in der Konsequenz nur, das Individuum zu negieren. Genau da verläuft nämlich die Wasserscheide zwischen einer bürgerlichen und einer autoritären Gesellschaft. Wir waren schon immer gespalten, in Arme und Reiche, Schlaue und Dumme, Schöne und Unattraktive, usw. usf. Das gehört zu jeder menschlichen Gemeinschaft. Sie ist weder gerecht noch liebevoll -so ist der Mensch nicht. Neu ist nur, daß dem liberalen Lager die Hemdsärmeligkeit abhanden gekommen ist, die notwendig ist, die eigenen Interessen zu verteidigen, die eben NICHT die der „Mehrheit“ sind. Die Mittelschicht ist längst kein erratischer Block mehr,… Mehr