Wie Sie Weihnachten so feiern, dass es den Volkserziehungsrat vor Grausen schüttelt

Die Warnung vorm Jahresendfest gehört zu den Standards der wachsamen Medien. Welche Trends gibt es 2024? Heuer geht es weniger um den rassistischen Onkel, sondern vor allem um Degrowth unterm Nichtbaum.

IMAGO

Im Medienkalender gibt es feste Markierungen: ab März die Warnungen vor der Hitzehölle des Sommers, im September die Abrechnung mit dem Oktoberfest und spätestens ab Ende November die schon bestens vertraute Auseinandersetzung mit dem toxischen Jahresendfest, das unvermeidlich dräut, bevor dann die Silvesterfeierlichkeiten in Berlin und anderswo überwiegend friedlich verlaufen.

Die öffentliche Behandlung des Krisenfests folgt nicht jedes Jahr den gleichen Pfaden. Es gibt wie überall Trends – und deshalb bei Tichys Einblick auch den jährlichen Bericht über die ganz aktuellen Tendenzen der Adventsberichterstattung in den Redaktions- und sonstigen Nachdenkstuben. Ein deutlicher Unterschied zu den vergangenen Jahren zeichnet sich in der Vorweihnachtsbilanz 2024 schon jetzt ab: Bestimmte Begründungen für die Gift- und Schädlichkeit des Festes kommen heuer deutlich seltener vor als früher.

Die Mitteilungen beispielsweise, dass es sich beim Nikolaus um einen Türken, bei Jesus um einen Palästinenser und beim Tradwife von Opa um eine alte Umweltsau handelt, finden sich in den Medien so gut wie gar nicht mehr. Auch die früher sehr verbreiteten Notfallratgeber tauchen nur noch außerordentlich selten auf: ‚Wie entlarve ich als Studierender der postkolonialen Astrologie die rassistischen Ansichten von Onkel Willi unterm Tannenbaum‘ beziehungsweise, noch grundlegender: ‚Wie lasse ich mich drei Tage in der Provinzhölle verpflegen und belehre das Pack, aber so, dass Großalt 1 + 2 mich nicht enterben?‘ Es wirkt fast so, als hätte es sich in den Medienzentralen herumgesprochen, dass es der Auflage nicht dient, seinem Publikum mit vollem Hintern ins Gesicht zu springen. Nur der Tagesspiegel, bei dem es offenbar nicht mehr darauf ankommt, erörtert für sein verbliebenes Publikum noch Strategien gegen den Weihnachtsonkel, „der eine rechte Parole raushaut“ (es ist immer der Onkel).

Die leicht veränderte Medienpraxis 2024 besteht im Großen und Ganzen darin, es zur Abwechslung mal mit dem halben Gesäß zu versuchen. Und die 10 wichtigsten Ratschläge, wie man als Mitglied der kognitiven Elite einmal im Jahr psychisch heil von Berlin nach Braunschweig, Braunsbedra, Braunsen und andere Unorte und wieder zurückkommt, sitzen inzwischen bei den Adressaten so perfekt – wahrscheinlich können Finn und Ska schon morgens um elf sämtliche Punkte beim WG-Frühstück aufsagen.

Wo liegen nun also die Schwerpunkte der neuen offiziellen Weihnachtseinstimmung? Zunächst einmal in der Konsum- statt Personenkritik. Welche Zeit des Jahres würde sich auch besser eignen, um noch ein bisschen mehr über Degrowth zu sprechen als sonst?

Der NDR gehörte 2024 zu den frühesten Mahnern vor „übertriebenem Weihnachtskitsch“. Eine Ansagefrau im schwarzen Rollkragenpullover, mit erhobenem Kinn und dem Gesichtsausdruck einer evangelischen Landesbischöfin klärt dort über die Schädlichkeit von Lichterketten und Dekoration auf, die „niemand braucht“, und die nervig seien „für alle, die es sehen müssen“. Außerdem ginge das auch speziell wegen des Energieverbrauchs „richtig ins Geld“. Mit anderen Worten, gleich dreimal das Gegenteil des öffentlich-rechtlichen Warnfunks. Da möchte der WDR nicht zurückstehen. Er informiert über die allgemeine Schädlichkeit von Kerzen. Deren Emissionen könnten der Gesundheit schaden. Also besser ganz Finger weg davon. Der WWF trägt seinerseits zur Stimmung bei, indem er daran erinnert, dass sich eigentlich nur vorbildlich verhält, wer ganz auf den Weihnachtsbaum verzichtet.

Und wenn doch ein Weihnachtsbaum, dann auf keinen Fall eine Nordmanntanne, „die nicht in unsere regionalen Ökosysteme gehört“. Über allem schwebt der schon beizeiten von allerlei Fachblättern ausgerufene Großtrend des Alkoholverzichts, bei dem angeblich die Generation Z so entschlossen vorangeht wie seinerzeit bei den mittlerweile still verebbten Freitagsmärschen.

Die Flaschenansammlungen an Freiluftpartyplätzen beispielsweise entlang der Isar und anderswo erzählen dem Münchner Autor dieser Zeilen zwar eine andere Geschichte. Aber an der Binnenalster und in manchen anderen Gegenden rings um das Stern-Hauptquartier trinken die dort versammelten bunten jungen Leute möglicherweise wirklich nullkommanull Promille, womit sie wiederum einen gewissen kulturellen Anpassungsdruck ausüben. Wenn dann auch noch zwei Redakteurinnen je einen Neuabstinenzler kennen, dann ist die Sache genauso titelblatttauglich wie weiland die Champagnernazigeschichte von Sylt. Aber genug der Abschweifung und weiter im Sermon.

Also: Wer keine vom NDR als gesichert kitschig eingestufte Weihnachtsdekoration kauft und am besten die alte gleich entsorgt, die Kerze kalt und den Baum im Wald lässt, macht schon mal vieles richtig. Beim warmen Mineralwasser mit Zimtgeschmack empfiehlt es sich außerdem, statt der durchweg weißen und kolonialistischen Weihnachtsmusik den Podcast der Vereinten Evangelischen Mission anzuhören, der über „Rassismus unterm Weihnachtsbaum“ aufklärt.

Vieles müssen die Redaktionen in diesem Jahr dank der umfassenden Vorsorge vieler zuständiger Stellen gar nicht erst ansprechen. In Hamburg fiel schon im November vor dem Amtsgericht das Urteil gegen einen 53-jährigen Gärtner, der 2023 einen Gratis-Weihnachtsbaum vor der Lokstädter Kindertagesstätte „Mobi“ aufstellte. Deren Leiterin hatte damals verkündet, es werde bei „Mobi“ in diesem Jahr, also 2023, keinen Baum geben, und das unter anderem mit dem finanziellen Aufwand begründet. Als das geschenkte Bäumchen samt Absenderkarte dann vor der Tür stand, zeigte die Kindergartengouvernante den Mann wegen Hausfriedensbruchs nach Paragraf 123 StGB an, denn um das Geschenk zu liefern, hatte er ein paar Meter des nicht abgesperrten Privatgeländes betreten.
Die Geldstrafe in vierstelliger Höhe dürfte Nachahmer bundesweit abschrecken. So schnell wiederholt sich eine illegale Tanne also nicht. Speziell Kinder sollen nicht mit kulturellen Vorstellungen aufwachsen müssen, die ihnen später bei der Integration ins Transformationsland nur schaden würden.

Das sieht auch die katholische Kirche im Südwesten so: Sie stellt ab 2024 sicher, dass in ihrem Sprengel eine Frau namens Edith Tucci Kindern ihrer Gemeinde zu Weihnachten nicht mehr Geschichten aus der Bibel vorliest. Das tat die 67-jährige Dame jahrelang gratis, bis sie dann auf Gemeindeebene für die AfD kandidierte. Die offizielle Begründung für die Kirchenentscheidung lautet, die AfD verbreite ein „ausgrenzendes Menschenbild“. Wer möchte, kann hier Details zum alternativlosen Einschreiten der Beamten für Nächstenliebe nachhören und -lesen.

Nach dem Schutz vor Weihnachtskitsch, Kerzen, legalen und illegalen Bäumen und von den falschen gelesenen Bibelgeschichten bleibt noch ein Hotspot übrig, auf den es jedes Jahr Bürger zieht, die noch der alten und eigentlich schon überwundenen Weihnachtstümelei nachhängen. Und das trotz aller Bemühungen, neben dem Merkellego auch ein paar dringend nötige mentale Sperranlagen zu errichten. Der Weihnachtsmarkt in Quedlinburg etwa gibt den Leuten in diesem Jahr schon optisch zu bedenken, ob der Bummel denn wirklich sein muss.

An einem integrativen Weihnachtsmarkt wie in Essen haben manche Ewigweihnachtliche auch wieder etwas auszusetzen. Dort, wo die Buden um eine Tanne stehen, droht außerdem der Ausschank eines falschen (und obendrein noch alkoholischen) Getränks; die Stuttgarter Zeitung schickte sogar ihren Weihnachtsmarktrassismusinspektor aus, um Entgleisungen dieser Art zu verhindern.

Wer dann unbegreiflicherweise immer noch meint, auf einen Weihnachtsmarkt wackeln zu müssen, den tastet die Polizei in Rheinland-Pfalz als Konsequenz gründlicher ab als einen Flugpassagier und schüttet auch schon mal die Handtasche einer älteren Dame aus.

Ein Schweizermesser bei der Seniorin, soso. Das muss nach dem Messerverbotsgesetz aus dem Haus von Nancy Faeser zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit subito ab in die Asservatenkammer. Wer sich über die Auswahl der Gefilzten aufregt, der soll sich vor Augen halten: Oma durchsucht sich nun mal leichter als Omar. Das leuchtet ein wie zehn Weihnachtskitschleuchtketten zusammen.

Was gibt es noch? Eine erhöhte Chance auf weiße Weinachten 2024. Aber auch hier beugt die öffentlich-rechtliche Anstalt schon jetzt irrefalschen Schlussfolgerungen vor:

Apropos Schlussfolgerung: In der Phase vor dem Jahresendfest 2024 beschloss die Münchner Stadtratsmehrheit gerade die Einführung einer Ramadan-Beleuchtung für die Landeshauptstadt nach dem Beispiel Frankfurts.

Wer in diesem Fall öffentlich Kitschverdacht äußert, auf Stromverbrauch (das geht richtig ins Geld) hinweist und die Frage stellt, ob die Illumination möglicherweise mehrheitlich so gewünscht wird wie der Weihnachtsbaum von einer Hamburger Kinderaufseherin, der sollte entweder sehr an seiner Formulierung feilen. Oder er/sie erhält womöglich Gelegenheit, demnächst im frischgeschenkten Bademandel wildfremde Leute zu empfangen.

Der Autor dieser Zeilen neigt normalerweise nicht zu Kitsch, vor und zu Weihnachten aber durchaus, und er fühlt sich in diesem Jahr darin bestärkt wie noch nie. Da kann er geradezu neobarock werden. Und wer will ernsthaft behaupten, im Barock wäre es nur geschmackvoll zugegangen?

Außerdem empfiehlt es sich generell, seinen Kerzenvorrat aufzustocken. Einmal im Jahr kann auch ein Whisky dem Schreiber nicht schaden. Unserem Volkserziehungsrat gilt der gemeine Bürger als Feind, das sowieso. Aber als noch feindlicher und schlimmer benimmt sich in ihren wachenden Augen nur der fröhlich beschwingte Bürger, der zur Opulenz neigt, statt zu degrowen; der sich an toxische Traditionen klammert, statt die Zukunft zu umarmen, die Frauen mit Kreissägenstimme und der Mann am Küchentisch schon fix und fertig entworfen und als Geschenk verpackt haben. Nur bezahlen und tragen muss der Empfänger das Päckchen noch.

Feiern Sie Weihnachten also auf eine Art, dass es eine bestimmte Sorte von Medienschaffenden vor Entsetzen schüttelt. Was die Kosten für Baum, Kerzen, Schmuck, Schluck und Braten angeht – die lassen sich erstaunlich gut ausgleichen, wenn man gleich ab Januar 2025 genau 18,36 Euro pro Monat spart.

Und wenn Sie demnächst an stark frequentierten Plätzen Personen sehen, die Ihnen eine Broschüre entgegenhalten und mit Ihnen über ihre religiösen Vorstellungen sprechen wollen: Lassen Sie sich nicht in ein Gespräch verwickeln. Aber schenken Sie ihnen Ihr schönstes Festtagslächeln.


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