Der Begriff „Populismus“ ist von der Bezeichnung „Popularen“ abgeleitet. Die Popularen verband nicht ein spezifisches politisches Programm, sondern eine bestimmte Methode, mit welcher sie Politik betrieben: die „populare Methode“ oder „popularis ratio“. Von Norbert, F. Tofall
Der Begriff „Populismus“ ist von der Bezeichnung „Popularen“ abgeleitet. Als „Popularen“ werden ab 133 v. Chr. in der Zeit der untergehenden römischen Republik Politiker wie die Brüder Tiberius und Gaius Gracchus, der Feldherr und mehrfache Konsul Gaius Marius, aber auch Clodius Pulcher und Julius Cäsar bezeichnet. Die Popularen waren keine Partei im heutigen Sinne. Die Popularen verband nicht ein spezifisches politisches Programm, sondern eine bestimmte Methode, mit welcher sie Politik betrieben. In der Geschichtswissenschaft redet man von der „popularen Methode“ oder „popularis ratio“.
- Die „populare Methode“ ist insbesondere in Gesellschaften erfolgreich, die unter Polarisierung durch Problemverschleppung leiden.
- Heute ist in den westlichen Gesellschaften die Polarisierung durch Problemverschleppung noch nicht so weit gediehen, dass eine Änderung der freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu befürchten ist. Auffällig ist jedoch, dass Sachfragen mehr und mehr als Vehikel für den Kampf gegen das Establishment und gegen „das System“ missbraucht werden.
Ziel der popularen Methode war die Macht- und Herrschaftsgewinnung. Die Popularen waren Politiker, die im römischen Senat keine Mehrheit hatten und mit der popularen Methode der Senatsmehrheit die Macht abnehmen wollten. Auffällig ist, dass die popularen Politiker im Senat nicht nur eine Minderheit bildeten, sondern oftmals zu den reichsten Personen innerhalb der römischen Nobilität zählten, was sie gerade in eine Frontstellung zur Mehrheit des Senats brachte. Die Popularen waren nicht die Armen, die gegen die Reichen kämpften. Und Tiberius Gracchus wendete die populare Methode erst an, nachdem seine Karriere innerhalb der römischen Ämterlaufbahn einen empfindlichen Knick erhalten hatte.
So standen hinter dem Versuch des Tiberius Gracchus, alles Land über 125 Hektar enteignen zu lassen und es landlosen Bevölkerungsteilen und Veteranen zu geben, einige der reichsten römischen Senatoren, deren Vermögen jedoch nur zu geringen Teilen aus Land bestand und die deshalb nicht aus den Einnahmen aus Landbesitz angewiesen waren. Man wollte der Mehrheit der Senatoren, die auf Einnahmen aus Landbesitz angewiesen waren, die Existenzgrundlage entziehen. Es ging primär um Macht- und Herrschaftsgewinnung, nicht um Sozialgesetzgebung.
Mit Hilfe des Volkes und der Volksversammlung sollte Macht und Herrschaft gegen die Mehrheit im Senat und gegen den ausdrücklichen Widerstand des Senats gewonnen werden. Die populare Methode bestand deshalb erstens in der systematischen Ausschaltung des Senats oder allgemein formuliert in der Umgehung der politischen Institutionen. Man wendete sich deshalb direkt an das Volk.
Um dabei erfolgreich zu sein, war es zweitens notwendig, einen Aufruhr zu entfachen, der ansteckend wirkt, was auch mimetischer Furor genannt wird. Die einen fangen an, Krawall zu erzeugen, die anderen ahmen den Krawall nach. Clodius Pulcher (92 v. Chr. – 52 v. Chr.), der Intimfeind von Cicero, war beispielsweise ein regelrechter Krawallunternehmer. Bei der Durchsetzung seiner Politik setzte Clodius gezielt Gewalt und Straßenkämpfe zur Zerstörung der öffentlichen Ordnung und politischen Institutionen ein. Sein destruktives „Ansteckungspotential“ reichte sogar über seinen Tod hinaus. Nachdem Clodius Pulcher von Titus Annius Milo und seinen Leuten im Verlauf einer Straßenschlacht am 18. Januar 52 v. Chr. auf der Via Appia außerhalb der Stadtmauern Roms getötet wurde, schichteten die Anhänger von Clodius in der Curia Hostilia, einem Versammlungsort des römischen Senats, alle Holzbänke zu einem Scheiterhaufen auf, um Clodius zu verbrennen. Das Feuer war dabei so „ansteckend“, daß gleich das gesamte Senatsgebäude abbrannte.
Dieser Furor wurde drittens dadurch legitimiert, indem sich auf die „wahren“ Interessen des Volkes bzw. die Mehrheit des Volkes berufen wurde. Und um zu überdecken, dass die wahren Interessen des Volkes letztlich niemand kennen kann, wurde viertens der mimetische Furor gegen das Establishment gelenkt und der politische Gegner moralisch diskreditiert. Der ausgeprägte Furor gegen das Establishment lässt sich dann fünftens leicht steigern zur Delegitimierung der politischen Institutionen und zum Angriff auf „das System“.
Sachthemen werden im Zuge dieser destruktiven Dynamik zu Vehikeln im Kampf gegen das Establishment und „das System“. Tiberius Gracchus hatte zwar ein reales Problem aufgegriffen. Aber weshalb dieses Problem nur durch die von ihm geforderten Enteignungen zu lösen gewesen wäre, wieso diese Lösungsmöglichkeit alternativlos gewesen sein soll, ist überhaupt nicht evident. Tiberius Gracchus hat vielmehr eine Sachfrage in einer Situation der Polarisierung durch Problemverschleppung als Vehikel für seinen Machtgewinnungskampf benutzt.
Zu diesem Zweck entfachte er durch mimetischen Furor eine verstärkte Freund-Feind-Konstellation, die letztlich nicht zur Lösung des Problems, sondern zur Politikblockade führte. Die Versorgungsfrage für Veteranen blieb über Jahrzehnte ungelöst.
Derartige Politikblockaden haben seit 133 v. Chr. bis zur Ermordung Cäsars 44 v. Chr. und danach, also während der gesamten Phase des römischen Bürgerkriegs und des Untergangs der römischen Republik, Gesellschaft und Politik polarisiert und die politischen Institutionen schrittweise delegitimiert, so daß in der Gesellschaft das Bedürfnis nach Veränderung um jeden Preis übermächtig wurde. Das Bedürfnis nach Veränderung um jeden Preis führt dazu, dass es nicht nur den politischen Akteuren immer weniger um die sachliche Lösung von Problemen und deren politische Durchsetzung geht. Es geht auch der Bevölkerung nur noch um eine Änderung der machtpolitischen Verhältnisse. Und wer machtgierig genug ist und Macht um jeden Preis will, setzt sich oftmals durch.
Octavian hat 43 v. Chr. erst mit Cicero geflirtet und sich scheinbar auf die Seite des Senats gestellt, um dann zusammen mit Antonius und Lepidus gegen den Senat zu kämpfen und Proskriptionen von 300 Senatoren und 2.000 Rittern durchzusetzen, denen auch Cicero zum Opfer fiel. In einem langen Bürgerkrieg hat Octavian dann Antonius und Lepidus abserviert und die alleinige Macht errungen, die es ihm erlaubte, eine Monarchie unter scheinrepublikanischen institutionellen Formen zu errichten und sich Augustus, der Erhabene, zu nennen. De facto hatte Augustus die Republik abgeschafft. Eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse um jeden Preis war eingetreten.
Heute ist in den westlichen Gesellschaften die Polarisierung durch Problemverschleppung noch nicht so weit gediehen, dass wir eine Änderung der freiheitlichen Gesellschaftsordnung befürchten müssen. Auffällig ist jedoch, dass Sachfragen mehr und mehr als Vehikel im Kampf gegen das Establishment und gegen „das System“ mißbraucht werden. In den Niederlanden geriet im Frühjahr das Referendum über ein Assoziierungsabkommen zwischen EU und der Ukraine zu einem Votum gegen die EU. Und der Ausgang des italienischen Referendums über die Senatsreform, welche die Auflösung von Politikblockaden zum Ziel hatte, lässt sich nur als Votum gegen „die da oben“ interpretieren. In der Sache hätte gerade die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppo Grillo die Senatsreform begrüßen müssen, um im Falle von Wahlsiegen eigene Reformen auch schnell politisch durch- und umsetzen zu können. Stattdessen verstärkte man die Freund-Feind-Polemik im Kampf gegen das Referendum, dessen negativer Ausgang die Politikblockade in Italien vermutlich verlängern wird.
In den Niederlanden könnte im März durch die Parlamentswahl der Populist Geert Wilders erstarken, während Frankreich mit Francois Fillon die Chance hat, die jahrelange Politik- und Reformblockade zu durchbrechen. Aber auch Fillon hat gegen Marine Le Pen noch nicht gewonnen. In Deutschland wird der Einzug der AfD in den Bundestag nicht zu einer Politikwende, sondern zur Fortsetzung der derzeitigen Politik in (vielleicht) anderer Farbgebung führen. Und in den USA hat Donald Trump bislang den Clodius Pulcher mit modernen Medienmitteln gespielt und konnte so gegen den Willen des Establishments das Präsidentenamt erringen. Die Welt wartet auf seinen Amtsantritt und stellt sich die Frage: Was wird er damit machen?
Der Text ist die ausformulierte und leicht erweiterte Fassung des Vortrages „Was ist Populismus?“ auf der Flossbach von Storch Investmentkonferenz am 25. November 2016 in Köln.
Norbert F. Tofall, Analyst
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein