Auch „alte“ deutsche Panzer helfen der Ukraine

In der Debatte über die Lieferung schwerer Waffen werden Sachzwänge nur behauptet, während die wirklichen Motive verschleiert bleiben. Es führt kein Weg daran vorbei, alte Bestände an schweren Waffen der Bundeswehr möglichst rasch einsatzfähig zu machen.

IMAGO / Political-Moments
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) spricht im Bundestag am 6.4.2022, im Hintergrund Bundeskanzler Olaf Scholz

Wenn Waffenlieferungen für die Ukraine zur Verteidigung gegen die russischen Invasoren nicht so existenziell für dieses Land wären, würde man das aktuelle Hickhack um deutsche Waffenlieferungen schier für eine Posse halten. Es ist dies nämlich zum Teil eine Debatte aus dem hohlen Bauch, weil man in der „hohen“ Politik kaum wahrnimmt, was Deutschland überhaupt in kürzester Zeit liefern könnte. Und es ist dies auf Seiten mancher Entscheidungsträger auch eine verlogene Debatte.

Will die Bundesregierung überhaupt Waffen liefern? Seit der „Zeitenwende“, ausgerufen von Bundeskanzler Scholz am 27. Februar, drei Tage nach Putins Überfall auf die Ukraine, wird herumgeeiert: Mal sollte es um defensive Waffen gehen. Zum Beispiel kündigte Verteidigungsministerin Lambrecht die Lieferung von 5.000 Helmen, von Nachsichtgeräten und von Schutzausrüstung an. Dann sollte es um Munition gehen. Zum Beispiel aus alten Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Schließlich zirkulierten – offenbar vom Kanzleramt zensierte – Listen von ukrainischen Waffenwünschen.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Dann debattierte man über die Lieferung schwerer Waffen, also von Panzern und schwerer Artillerie. Aber auch diese Debatte wurde rasch plattgemacht, weil ukrainische Soldaten ja angeblich nicht in der Lage seien, solches Gerät zu bedienen. Jüngst kam noch ein Veto der Schweiz (namentlich des Schweizer Wirtschaftsdepartements Seco) hinzu, die es Deutschland aus der Neutralität der Schweiz heraus untersagen wollte, Marder-Schützenpanzer zu liefern, denn diese Panzer würden ja über ihre Bord-Maschinengewehre Munition verschießen, die von Rheinmetall in der Schweiz produziert wird. Genug der Posse? Nein!

Dann wurde ein „Ringtausch“ ins Gespräch gebracht: Slowenien solle deutsche Marder- und/oder Puma-Schützenpanzer und Fuchs-Radpanzer bekommen (von je 35 ist die Rede) und dafür seine alten Panzer aus russischer Bauart in die Ukraine liefern. Konkret: Das kleine Nato-Land Slowenien liefert Kampfpanzer des Typs M84 an die Ukraine. Dieser Panzer ist eine in Ex-Jugoslawien produzierte Weiterentwicklung des sowjetischen T-72-Panzers. Über die Stückzahlen ist nichts bekannt. Groß kann die Zahl nicht sein, denn laut „Military Balance“ des „International Institute for Strategic Studies“ hat Slowenien von diesem Panzer-Typ 14 Exemplare für Trainingszwecke und 32 im Depot.

Die verworrene Debatte geht quer durch das Parlament, auch durch die „Ampel“. Da werden dann schon auch mal alte, vermeintlich unverrückbare pazifistische Attitüden beiseite geräumt, wie man bei den Grünen beobachten kann. Von der Lieferung neuer Leopard-Kampfpanzer und neuer Puma-Schützenpanzer sowie von schwerer Artillerie ist die Rede. So zumindest wollen es führende Leute der FDP und vor allem die CDU/CSU.

Die Bundeswehr pfeift seit Merkel, von der Leyen und Co. aus dem letzten Loch

Jedenfalls steht jetzt die Frage an, welches „schwere“ Gerät Deutschland liefern soll. Genauer: überhaupt liefern kann! Wenn es um das „Können“ geht, ist das Ende der Fahnenstange indes rasch erreicht. Schauen wir uns den aktuellen „14. Rüstungsbericht und den Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft“ des Generalinspekteurs vom 13. Januar 2022 an.

Dort lesen wir: „Die materielle Einsatzbereitschaft aller 71 Hauptwaffensysteme … liegt mit durchschnittlich 77% geringfügig über den 76% aus dem letzten Bericht. Unsere Zielgröße von 70% durchschnittlicher materieller Einsatzbereitschaft übertrafen hierbei 38 Hauptwaffensysteme, 11 lagen unter 50% (davon 6 Altsysteme). Die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von Kampffahrzeugen lag bei 71%, für Kampfeinheiten der Marine bei 72%, für die Kampf- und Transportflugzeuge bei 65%, für alle Unterstützungsfahrzeuge (Logistik, Sanität und CIR) bei 82% und bei den Hubschraubern weiterhin bei 40%.“

Noch einmal: 11 Waffensysteme lagen unter 50 Prozent Einsatzbereitschaft!

Es kommt hinzu: „Systeme in der Sättigungs- bis Degenerationsphase: SPz MARDER, Amphibie, Bergepanzer, TORNADO, C-160, CH53, A310, COUGAR, Korvette, Minenabwehreinheiten, Flottendienstboot, Tender, Betriebsstoffversorger, P-3C ORION, SEA KING, SEA LYNX, LKW mil gl 5t, 7t, 10t sowie 15t MULTI, Einsatzlazarett, Rettungszentrum, Rettungsstation, Luftlanderettungszentrum, Luftlanderettungszentrum (leicht). Die Waffensysteme dieses Clusters wiesen im Berichtszeitraum eine durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von 68% auf … Bei 7 Systemen liegt sie allerdings unter 50%.“

Und: „Die Masse an erforderlichen Modernisierungsmaßnahmen über die gesamte Bandbreite unseres Geräts wird auch in den kommenden Jahren zu Einschränkungen im verfügbaren Bestand mit sich bringen. Beispiele hierfür sind: TPz FUCHS CIR: 50 von 77 Systemen (Delta: 35%). Der geringe Verfügungsbestand ist im Wesentlichen auf umfangreiche Werksinstandsetzungen wie auch auf Umrüstungen zurückzuführen. Die Integration hochmoderner, komplexer IT-Technologie in eine technisch gereifte Plattform ist sehr aufwändig und damit zeitintensiv. KPz LEOPARD 2: 183 von 289 Systemen (Delta 37%).“

Es kommt nach Auffassung von Rüstungsexperten hinzu: Der Bundeswehr fehlen eigentlich Munitions- und Ersatzteilvorräte in der Größenordnung von rund 20 Milliarden Euro. (Zur Erklärung: „Delta“ ist die Differenz zwischen Gesamtbestand und verfügbarem Bestand.)

Man vergesse nicht: Dieser desaströse Zustand ist das Ergebnis von 16 Jahren Merkel-Regierung, die der Bundeswehr unter anderem fast sechs Jahre lang eine Verteidigungsministerin von der Leyen zugemutet hat. (SPD-Verteidigungsministerin Lambrecht tritt nun in deren Fußstapfen!)

Ausweg: Eingemottete Panzer reaktivieren!

Es führt kein Weg daran vorbei, wenn denn der Wille dazu da ist, alte Bestände an schweren Waffen der Bundeswehr zu ertüchtigen, das heißt, möglichst rasch einsatzfähig zu machen. Hier hätte die Rüstungsindustrie sogar einiges zu bieten: Rheinmetall hat zum Beispiel rund hundert Marder-Schützenpanzer von ehemals 2000 für die Bundeswehr ausgelieferten eingelagert; 250 sind im Einsatz bei der Bundeswehr. Die anderen wurden verscherbelt. Die hundert könnten laut Rheinmetall-Mitteilung von Mitte April in drei „Portionen“ geliefert werden: 20 davon nach sechs Wochen, weitere 23 nach sechs Monaten und die übrigen 55 nach zwölf Monaten. Ähnlich verhält es sich mit Leopard-Kampfpanzern des Typs 1 und mit Flugabwehrkanonenpanzern (Flak-Panzern) des Typs Gepard. Davon sollen je rund fünfzig an Restbeständen da sein und von der Rüstungsindustrie binnen einiger Wochen einsatzfähig gemacht werden.

Der Haken dabei ist nicht, dass diese Waffen eben ausgemustert sind. Sobald sie wieder ertüchtigt sind, sind sie den russischen und ukrainischen Panzern allerdings mindestens ebenbürtig. Der weitere Vorteil dieser „alten“ Systeme ist, dass sie nicht in so hohem Maße kompliziert und hochtechnisiert sind wie ihre Nachfolgemodelle. Das heißt: Sie können von ukrainischen Soldaten auch nach vergleichsweise kurzer Schulung bedient werden.

Was wird nun aus Scholz‘ Zeitenwende?

Bundeskanzler Scholz hat mit seiner Rede am Sonntag, 27. Februar, die Backen stramm aufgeblasen. Von einer Zeitenwende war die Rede, von 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, von zukünftig zwei Prozent Anteil Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt.

Jetzt, zwei Monate nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und Scholzens Rede, entpuppt sich all dies als laues Lüftchen. Wäre es der Bundesregierung wirklich wichtig gewesen, der Ukraine zu helfen und die Bundeswehr zu stärken, so hätte man unmittelbar in den Tagen darauf die führenden Leute der Rüstungsindustrie und des Bundeswehr-Beschaffungsamtes an einen Tisch geholt und sondiert, was möglich ist. Nunmehr aber sind wertvolle acht Wochen vergangen und nahezu nichts ist geschehen. Hoffen wir, dass es nicht zu spät ist.

Und noch eines: Der eine oder andere wird die Nase rümpfen ob der Lieferung „alten“ Materials. Diesen Leuten sollte aber auch klar sein, was Deutschland machen müsste, würde es oder würden seine östlichen Nato-Anrainer Polen, Tschechien oder die baltischen Staaten urplötzlich von Russland angegriffen. Deutschland bliebe dann nichts anderes übrig, als „alte“ Systeme zu reaktivieren. Denn in der jetzigen Verfassung ist die Bundeswehr nicht einmal bedingt abwehrbereit.


Unterstützung
oder

Kommentare ( 68 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

68 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Alf
2 Jahre her

Die ganze Dikussion führt nicht weiter. Abgesehen davon, daß wir Panzer aus dem Museum liefern, das Ganze ohne Munituiion (es darf gelacht werden), Polen ist weiter.
Die Gasspeicher sind besser gefüllt und Polen hat sich bereits seit Jahren um eine alternative Energieversorgung bemüht. Ein Lieferstopp russischen Gases trifft Polen nicht.
Unsere seltsame Regierung (auch die von Merkel) ist (war dazu) nicht in der Lage. Auch die Gasspeicher werden von Gazprom bewirtschaftet.
Polen zeigt uns, wie Energieversorgung ohne Rußland geht. Ist das nicht traurig?
Komisch, daß unsere Medien darüber jahrelang nicht berichten.
Scholz schweigt dazu. Die Ampel hat fertig.

RoyBush
2 Jahre her
Antworten an  Alf

Tja Polen trifft der Gas-Stopp nicht.
Deutschland liefert nämlich russisches Gas zurück nach Polen.
Komisch darüber schreiben die Medien sehr zurückhaltend

Contra Merkl
2 Jahre her

Für 50 Gepard Panzer hat man noch 23.000 Schuß. Macht 460 Schuß pro Panzer, der 1.100 Schuß die Minute braucht. Mit 460 Schuß reicht es nicht mal für eine halbe Minute. Was ein Witz. Volltanken braucht man die Panzer sicher nicht, die Munition ist lange vorher alle. Dann hat Deutschland zwar Panzer geliefert, nur woher soll die Munition kommen ? Das 35mm Kaliber ist keine gängige Munition, ein Zwischending zu der gängigen 30mm und 40mm Munition. Da wird der Selensky aber böse werden, höre ihn jetzt schon schimpfen. Vielleicht gibt es eine Wiederladepresse für 35mm Munition gratis dazu. Hauptsache Deutschland… Mehr

Alf
2 Jahre her

Panzer für die Ukraine machen keinenn Sinn, wenn die Munition dazu fehlt.

Melnyk: Ohne Munition wird auf Gepard-Panzer verzichtet

Sollte die Munition in den nächsten Tagen vom deutschen Verteidigungsministerium nicht besorgt werden, würde die Ukraine auf dieses Angebot Deutschlands wohl verzichten müssen“

https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_92083416/waffenlieferungen-melnyk-ohne-munition-wird-auf-gepard-panzer-verzichtet.html
An Peinlichkeit nicht zu überbieten.
Eine weitere Ganzleistung von Scholz und Co.

TschuessDeutschland
2 Jahre her

Mit dem Militär-Schrott der Bundeswehr ist es wie mit den Impfdosen von Herrn Lauterbach:
Das Zeug ist eigentlich schon abgelaufen und muß halt weg, egal wie.

Kassandrissima
2 Jahre her

Mal eine ganz einfach Frage, was soll er denn in Berlin, der Russe? Gibt es da irgend etwas was auch nur lohnt müde zu lächeln? So kaputt wie Deutschland ist? Lachhaft.
Ausserdem hat Putin ganz klar gesagt worum es geht, um den Schutz der russischsprachigen Bevölkung in der Ukraine und um eine Entwaffnung und Entnazifizierung der durch die USA hochgerüsteten Ukraine. Die Ukraine und Europa sind nur willige Sklaven und Prügelknaben für die Weltmachtgelüste der USA und sind so verblendet sich auch noch coram publikum selbst zu demontieren.

GMNW
2 Jahre her

Die Lieferung von Flugabwehrpanzern Typ Gepard ist ein zweifelhaftes Geschenk an die Ukraine!
Dieses System ist nur erfolgreich in der Flugabwehr in einem Führungs- und Einsatzverbund mehrerer ‚Geparden‘; die notwendige Folgelogistik dieses Typs aus den 70- Jahren im Einsatz ist kritisch und aufwendig. Der Munitionsverbrauch/ Feuergeschwindigkeit dieses Systems ist im Vergleich zum Schützenpanzer Marder besonders hoch Die Munition vom Kaliber 35 × 228 mm ist in den Beständen der Bundeswehr nur begrenzt verfügbar.
Fazit: Der Nutzen für die Ukraine ist begrenzt, jedoch politisch ein Erfolg!
Mit dieser Lieferung aus Firmenbeständen gehört Krauss-Maffey zu den Kriegsgewinnlern; die Aktionäre werden sich freuen!

friedrich - wilhelm
2 Jahre her

…….ich höre heute noch, wie einst im radio, die kriegsberichterstattung und wundere mich nicht, wie einst, als mein vater hochdekoriert, aber abgeschossen und nicht mehr einsatzfähig, von seinen einsätzen zurückkam und dadurch die wahrheit ans licht kam. von der zeit ab gingen die luftalarme los und bald fielen auch bei uns bomben und wir mußten ins vaterhaus auf ein kleineres dorf ziehen, weil unser haus teilweise durch bomben zerstört wurde. ich erinnere mich noch an viele tage, die ich im bunker verbringen mußte oder im keller in der kartoffelkiste schlafend. ziegenmilch mochte ich von da ab garnicht mehr. und bald… Mehr

Last edited 2 Jahre her by friedrich - wilhelm
TschuessDeutschland
2 Jahre her
Antworten an  friedrich - wilhelm

Ein Bekannter von mir war mit der Bundeswehr in Afghanistan.
Die Parallelen sind verblüüfend.

ersieesmussweg
2 Jahre her

Die Panzer werden gerne „abgegeben“, weil sie bei uns wegen der strengen Abgasauflagen nicht mehr fahren dürfen. Glauben Sie nicht? Dann bitte informieren und recherchieren.
Gibt es noch die passende Munition? Wer stellt die her, falls es keine Bestände mehr gibt?

Wuehlmaus
2 Jahre her

Wieso hat eigentlich die Aufklärung so kläglich versagt? Liegt das vielleicht daran, dass der BND im Ausland die Grundrechte der potentiellen Gegner wahren muss und sie nicht mehr abhören darf?

Wuehlmaus
2 Jahre her

Es ist doch damit nicht getan, einen Panzer rollfähig zu machen. Der muss gewartet werden, sonst bleibt er wie die russischen Panzer auf dem Marsch liegen und wird aufgegeben. Die Besatzung muss ihn richtig bedienen können. Der Kommandant muss ihn taktisch richtig einsetzen können. Und dann muss er auch noch mit der richtigen Munition versorgt werden, die vom T-72 passt nämlich nicht.