Von der Wiederkehr des Sozialismus

Von der SPD über Jeremy Corbyns Labour-Party bis zu den Demokraten in den USA: Weltweit feiert der Sozialismus ein Comeback. Dazu Hegel: „Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dies, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“

© Getty Images

Im August 2015 schrieb der britische Labour-Chef und bekennende Sozialist Jeremy Corbyn auf seiner Website: “In a sense history is being played out to its fullest extent in Venezuela, where the Bolivarian revolution is in full swing and is providing inspiration across a whole continent…and Venezuela is seriously conquering poverty by emphatically rejecting the Neo Liberal policies of the world’s financial institutions. Success for radical policies in Venezuela is being achieved by providing for the poorest, liberating resources, but above all by popular education and involvement.”

Inzwischen wissen wir, wie das Experiment des “Sozialismus im 21. Jahrhundert“ endete. Es endete so, wie ausnahmslos alle sozialistischen Experimente in den vergangenen 100 Jahren – in einem Desaster. Viele haben dies heute, 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des Sozialismus, vergessen. In vielen westlichen Ländern ist „Kapitalismus“ heute ein „dirty word“, während vom Sozialismus eine neue Attraktivität ausgeht. Das trifft sogar für die USA zu, wo sich bei den Demokraten jene Politiker durchsetzen, die drastische Steuern für Reiche (70 Prozent) fordern und eine scharfe antikapitalistische Rhetorik pflegen.

Kapitalismuskritiker beklagen vor allem eine zunehmende Ungleichheit. Sie ignorieren, dass noch niemals in der Geschichte in so kurzer Zeit so viele der Armut entronnen sind, wie in den vergangenen 30 Jahren. Ein Beispiel ist China: Dort lebten 1981 noch 88 Prozent in extremer Armut, heute sind es nur noch 1 Prozent. Dieser extreme Rückgang der Armut hatte eine einzige Ursache: Der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft wurde (obwohl immer noch sehr stark) sukzessive zurückgedrängt. Die Chinesen erlaubten das Privateigentum und gaben dem Markt wesentlich mehr Raum. Dabei ist die Ungleichheit gestiegen. In keinem Land der Welt kommen jeden Monat so viele Milliardäre neu hinzu, wie in China. Dies zeigt jedoch, dass der „Nullsummenglauben“, dem Kapitalismuskritiker anhängen, falsch ist, wonach die Reichen auf Kosten der Armen reich werden.

Die kapitalistische Globalisierung hat weltweit zu einem Rückgang der Armut geführt, nicht nur in China: Südkorea war in den 60er-Jahren noch eines der ärmsten Länder der Welt – Nordkorea ist immer noch arm, immer wieder gibt es Hungersnöte. Aber Südkorea ist den kapitalistischen Weg gegangen und hat heute eine blühende Wirtschaft.

Anders ist es in Venezuela. Das Land war noch 1970 eines der 20 reichsten Länder der Welt. Dann ging es bergab: Seit Mitte der 70er Jahren wurde die Wirtschaft durch zunehmende Regulierungen des Arbeitsmarktes immer mehr geschwächt. 1999 kam Hugo Chavéz an die Macht und Venezuela galt vielen linken Intellektuellen und Politikern in westlichen Ländern als Vorbild im Kampf gegen Armut und Kapitalismus. Ein Vergleich der Entwicklung von Chile und Venezuela in den vergangenen Jahrzehnten zeigt die Überlegenheit des Kapitalismus: Chile ist das kapitalistischste Land in Lateinamerika. Dort hat sich die Lage der Menschen zunehmend verbessert. In Venezuela haben 20 Jahre sozialistischer Experimente zu Hunger und Armut geführt, Millionen Menschen haben das Land inzwischen verlassen.

Antikapitalisten argumentieren, sie wollten kein Regime wie in Venezuela, Kuba oder gar Nordkorea, sondern einen „demokratischen Sozialismus“. Doch der „demokratische Sozialismus“, von dem linke Demokraten in den USA oder die Anhänger von Jeremy Corbyn in Großbritannien träumen, ist ebenfalls gescheitert – nur haben die Menschen das vergessen. Verwirklicht war der „demokratische Sozialismus“ in Großbritannien und Schweden in den 70er Jahren: Dort herrschten extrem hohe Steuern für Reiche und der Staat regulierte die Wirtschaft. In beiden Ländern, in Großbritannien und in Schweden, endete dieses Experiment mit dem „demokratischen Sozialismus“ im wirtschaftlichen Desaster. Erst nach kapitalistischen Reformen kehrten Großbritannien und Schweden wieder zurück auf den Weg zu Wohlstand und Wachstum. Schweden ist heute längst kein sozialistisches Land mehr: Im „Index der wirtschaftlichen Freiheit“ der Heritage-Foundation gehört Schweden heute zu den 20 kapitalistischsten Ländern der Welt.

Obwohl der Ausgang aller sozialistischen Experimente immer wieder in die gleiche Richtung gewiesen hat, scheint die Lernfähigkeit der Menschen begrenzt. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel meinte in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: „Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dies, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“

Vielleicht ist dieses Urteil zu streng. Aber in der Tat sind die meisten Menschen nicht in der Lage, bestimmte historische Erfahrungen zu verallgemeinern. Aus den mannigfachen Beispielen, wo mehr Kapitalismus zu mehr Wohlstand führte, wollen viele Menschen nicht die naheliegenden Lehren ziehen, ebenso wenig wie aus dem Scheitern aller jemals auf der Welt probierten Varianten des Sozialismus.

Auch nach dem Zusammenbruch der meisten sozialistischen Systeme Anfang der 90er-Jahre wird regelmäßig erneut irgendwo auf der Welt versucht, die sozialistischen Ideale umzusetzen. „Dieses Mal“ soll es besser gemacht werden. Zuletzt geschah das in Venezuela, und wieder einmal waren viele Intellektuelle in den westlichen Ländern wie den USA oder Deutschland verzückt von dem Experiment, den „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ zu verwirklichen. Und in schöner Regelmäßigkeit erklären uns die Sozialisten nach dem Scheitern eines jeden neuen Experimentes: 1. Das sei nicht der „wahre“ Sozialismus gewesen – das nächste Mal werde es besser. 2. Im Übrigen seien die US-Imperialisten und deren Sanktionen schuld, dass das Experiment im Desaster geendet habe. Zumindest was die Sozialisten anlangt, so hatte Hegel auf jeden Fall mit seinem Diktum Recht.


Rainer Zitelmann, Die Gesellschaft und ihre Reichen. Vorurteile über eine beneidete Minderheit. FinanzBuch Verlag, 464 Seiten, 34,99 €.


Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>

Unterstützung
oder

Kommentare ( 54 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

54 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Uferlos
5 Jahre her

Den Hauptakteuren geht es gar nicht um eine Wiedereinführung oder Gestaltung eines neuen Sozialismus, es geht denen die Verschönerung des bürgerlichen Daseins.

Die Grünen sowieso aber auch die Linke agieren als Weltverbesserer, Weltenretter und Förderer von Minderheiten aller Art. Ihr Thema ist die Gleichberechtigung bzw. angebliche Benachteiligung diverser Gruppen im Vergleich mit dem Eingeborenen, hier vor allem eingeborenen Männern.

Mit klassisch sozialistischen Weltbildern hat dieses Politikverständnis wenig gemein. Es geht nicht um die Verteilung von Produktionsmitteln, sondern um das Nivellieren von meist natürlichen Unterschieden. Grüne und Linke streben Gleichheit an und zerstören dabei Vielfalt.

Absalon von Lund
5 Jahre her

Ich sehe bei der SPD eher ein Come Down. Immer nur Kapitalismus und Sozialismus gegenüberzstellen, sind auch irgendwie olle Kamellen. Ich würde mir mal ein System mit Herz und Vernunft überlegen, das allen eine bestmögliche Entfaltung erlaubt. Dann kommt auch für alle das Beste heraus. Den Kpitalismus müßte man so weiterentwickeln, daß es nicht immer nur um Geld geht, sondern um das „Kapital“, die Gaben und Talente des Einzelnen, und das kann sehr unterschiedlich sein.

KoelnerJeck
5 Jahre her
Antworten an  Absalon von Lund

Im Kapitalismus, ein Begriff von David Ricardo und nicht von Karl Marx, geht es nicht nur um Kapital. Es geht vor allendingen um WISSEN!

Kapital zu produktiven Zwecken anzuhäufen, erfordert kompetente Arbeit. Dasselbe gilt für die Organisation und den Betrieb eines Unternehmens. Deshalb scheitern die meisten neuen Unternehmen ja auch. Es geht darum, die Produktionsmittel produktiv einzusetzen. Und wenn man das nicht kann, ist man wahrscheinlich besser dran, für einen Kapitalisten zu arbeiten und sich seine Produktionsmittel im Austausch für ein Gehalt zu leihen.

Wolfgang Brauns
5 Jahre her

Kann nicht nur voll zustimmen, sondern finde es im Gegensatz zu Jasmin auch nicht sonderlich kompliziert.
Und amüsant mit der „Umschreibung“ von Charly Chemnitz! Gebe allerdings einen Moment des Grübelns offen zu. ?

Alexander Wildenhoff
5 Jahre her

„Schweden ist heute längst kein sozialistisches Land mehr“ Das kommt darauf an, welches „Messinstrument“ man benutzt. Und wie man die Pole Kapitalismus und Kommunismus definiert. Kapitalismus kann den Manchester-Kapitalismus bedeuten, der zur Verelendung breiter Massen führte – und Kommunismus kann die hard core Variante von Mao Zedong oder Pol Pot bedeuten, der im Falle Chinas zu ca. 50 Millionen Hungertoten und im Falle Kambodschas zu mehr als 2 Millionen Hungertoten führte. Der moderne Kapitalismus, eingebettet in „checks & balances“, hat mit dem alten wenig zu tun. Da der hard core Kommunismus nicht mehr en vogue ist, wird nun vom modernen… Mehr

der Doc
5 Jahre her

Solange Menschen dumm genug sind, ihren Unterdrückern zuzujubeln und ihnen hinterherzulaufen, statt ihnen – mit Verlaub – einen reinzuhauen, wenn sie sich anschicken, ihre Parolen hinauszublöken, wird Unterdrückung, Tyrannei und Sozialismus nie aufhören.
Keine Toleranz der Intoleranz!

Marcel Seiler
5 Jahre her
Antworten an  der Doc

Die jubeln ja nicht, weil sie wissen, dass sie unterdrückt werden. Vielmehr meinen sie, beschützt und umsorgt zu werden. Sie können nicht unterscheiden, was wirklicher Schutz von Unterdrückung unterscheidet, der sich nur als Schutz ausgibt. Die glauben ja auch, Windräder und E-Autos seien umweltfreundlich. Oder das Kohlestrom die Leitungen „verstopft“! Oder das man die Weltmeere rettet, wenn man auf Plastikstrohhalme verzichtet. Irre.

Michael Sander
5 Jahre her

Es ist ja nicht so, dass diese Sozialisten automatisch auch gewählt werden. Der Niedergang der Sozialdemokratie in Europa beweist das. Und wenn die amerikanischen Demokraten so in den Wahlkampf ziehen wollen, werden sie ihr Waterloo erleben.
Was wir hingegen erleben, ist eine tiefe Sinnkrise im linken Lager. Die alten, staatstragenden Strukturen befinden sich in Auflösung. Das Lager zerfällt schon länger in zunehmend radikalere, sektiererische Gruppen – die grüne Erlösungssekte, die radikal-sozialistische Linke. Wer sagt denn, dass die Zeit der Glaubenskriege vorbei ist?

Nicholas van Rijn
5 Jahre her

Der Kapitalismus (als System des freiwilligen Austausches unter gleichberechtigten Menschen, ohne kontrollierenden und regulierenden Staatsapparat) wird ja nicht nur von links angegriffen, sondern auch von rechts. Die meisten Menschen sind unpolitisch und fühlen sich, da sie die Selbstverantwortung scheuen, zu kollektivistischen Systemen hingezogen. Das nützen jene aus, die entweder zu keiner eigenen echten Leistung fähig sind, außer die Massen zu verführen, um ihre Ziele zu erreichen, oder moralisch fragwürdige Menschen.

The Saint
5 Jahre her

Der erste Sozialismus, der in einer Katastrophe endete, war der Nationale Sozialismus.

Marc Hofmann
5 Jahre her
Antworten an  The Saint

@The Saint Wobei ich sagen muss, dass der Ursprung des Sozialismus in Frankreich zu suchen wäre…das Gleichheitsprinzip hat seinen Ursprung in der französischen Revolution.. Gleichheit ist die Basis für den Sozialismus…der ja sein Weltbild nur durch das Diktat (Diktatur) durchsetzen kann..alle im Gleichschritt…keine Abweichungen werden toleriert..das ist SOZIALISMUS. Im Gegensatz zur französischen Gleichheit=Zentralismus steht die Einigkeit von uns Deutschen=Föderalismus (Demokratie). Die Franzosen haben mit ihren Gleichheitsgedanken im Endeffekt den Kern ihrer Revolution verraten…sie haben den Zentralismus behalten… der heutige König ist mit Macron nichts weiter als die Nachfolge des Sonnenkönig…das System der zentralen Macht wurde in Frankreich beibehalten und somit… Mehr

Protestwaehler
5 Jahre her

„Das sei nicht der „wahre“ Sozialismus gewesen – das nächste Mal werde es besser, und sowieso sind immer die anderen Schuld“ …und das passt wirklich sowas von aufs Auge.

Und dazu passt dann auch diese Schlagzeile, struktureller Antisemitismus durchzieht Corbyns Labour-Party, der nächste Abgeordnete kehrt der Partei aus Protest den Rücken.
Erinnert irgendwie an unsere „Linken“:

https://www.youtube.com/watch?v=5zoukXdlOvE&t=1s

Luxor
5 Jahre her

Der Grund für die „Wiederkehr des Sozialismus“ ist wenig erstaunlich. Er liegt ganz einfach daran begründet, dass der Kapitalismus in den letzten Jahren immer mehr degeneriert ist, und für immer mehr Menschen in den westlichen Industrienationen ganz einfach mehr gut funktioniert. So die laizze-faire Kapitalismus des 19. Jahrhunderts mit seiner Massenverelendung, seiner immensen Ungleichheit zwischen jenen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten, und jenen, die allein durch ihren Besitz verdienten schließlich den Sozialismus und die Ideologie des Marxismus hervorbrachte, so lässt der heutige Kapitalismus Ideen von Sozialismus wieder aus der Versenkung auferstehen. Im 20. Jahrhunderts kamen einige Industriekapitäne wie Henry… Mehr

Bernhard F.
5 Jahre her
Antworten an  Luxor

„Beginnend in den 1970ern dem Druck einer Kapitalelite….“ Glauben Sie das wirklich? Ist es nicht vielmehr so, daß immer mehr Unternehmer und Unternehmen deren Mitarbeiter am (nur positiven) Ergebnis beteiligen, negative Ergebnisse aber alleine tragen? Kann es sein, daß „sozial“ und „Sozialismus“ immer mehr ineinander verschwimmen? Daß „der Mensch“ ein soziales Wesen ist, der gerne „soziale Angebote“ des Staates annimmt und damit unversehens im Sozialismus landet. weil er große Teile der Herrschaft über sein Leben, auch noch unter lauten Hurra-Rufen, an „den Staat“ abgetreten hat? Ziemlich sicher befinden wir uns nicht deshalb auf einem Irrweg, weil der „Raubtierkapitalismus“ Urstände feiert.… Mehr

Marcel Seiler
5 Jahre her
Antworten an  Bernhard F.

Die Menschen lieben *heute* den Sozialismus nicht, weil sie sich davon noch mehr materiellen Wohlstand erhoffen, sondern weil er ihre „höheren“, nämlich die idealistischen und Selbstverwirklichungsideale anspricht, nachdem ihre materiellen Bedürfnisse befriedigt sind. Es ist die gehobene Mittelklasse, der es an nichts fehlt, die sozialistisches Gedankengut ausbrütet und sozialistische Kinder hervorbringt. (Dies entspricht übrigens der Maslowschen Bedürfnispyramide.)

Marcel Seiler
5 Jahre her
Antworten an  Luxor

„So die laizze-faire Kapitalismus des 19. Jahrhunderts mit seiner Massenverelendung, seiner immensen Ungleichheit…“ Ja, das ist die Geschichtslegende.

Richtig ist, dass die Verelendung des 19. Jh. seine Ursache in der Überbevölkerung hatte (es war wie in Afrika heute, wenn auch nicht so schlimm). Der Kapitalismus mit seiner enormen Produktivität hat dann Arbeitsplätze und Ernährung geschaffen, er hat die Massen des 19. Jahrhunderts nicht ins Elend getrieben (dort waren sie schon), sondern gerettet.