Auch in unserer wohlorganisierten Welt können Kinder verschwinden, weggeschickt, verheiratet werden: ein grausames Schicksal. Privilegierte Frauen der Oberschicht können sich das nicht vorstellen und instrumentalisieren Kinder für ihre politischen Zwecke.
Kinderehe. Ein so harmloses Wort. Seit dem letzten Wochenende und der Aufregung um einen von Bundesjustizminister Heiko Maas vorgelegten Gesetzentwurf zur angeblichen Verschärfung der Kinderehe, der, wie sich herausstellte, eigentlich doch keine Verschärfung sein sollte.
Das Mädchen Nida
Ich erinnere mich noch gut daran, wie es war, nach einem Umzug in eine neue Umgebung dann auch in eine neue Klasse in einer neuen Grundschule zu kommen. Sehr oft wenn man neu hinzukommt, in bereits bestehende Strukturen, ist es nicht so einfach. Gruppen und Freundeskreise haben sich längst gebildet und wer frisch dazu kommt, der steht nicht selten erst einmal ziemlich alleine und schutzlos da.
Nicht so an dem ersten Tag in der neuen Grundschule, in die ich zur Mitte der 2. Klasse gewechselt bin. Da war Nida. Nida lächelte mich freundlich an. Nida war die jüngste Tochter türkischer Einwanderer. Mit untypisch kurzen schwarzen Haaren, womit sie auch gut als frecher Junge hätte durchgehen können, mit strahlend blauen Augen und dem liebsten Gesicht, das man sich vorstellen kann. So habe ich sie in Erinnerung. Es ist eine gute Erinnerung. Denn Nida sorgte dafür, dass ich mich viel weniger alleine fühlte und auch vor den meisten Verkloppversuchen, die oft an der Tagesordnung sind, verschont wurde. Dass Griechen und Türken verfeindet sein sollten, das wussten wir auf dem Schulhof nicht. Wir waren Außenseiter. Mit Beendigung der Grundschule wechselten wir alle an verschiedene Schulen Und ja, wir haben uns aus den Augen verloren.
Nida kommt nicht mehr
Sechs Jahre später dann organisierte ein ehemaliger Klassenkamerad eine Wiedersehensfeier. Wer fehlte: Nida. Auf die Frage, wo sie ist und wie es ihr ginge, erklärte mir ihre mit auf die Gesamtschule gewechselte Klassenkameradin: „Nida wurde vor drei Jahren von ihren Eltern abgemeldet. Ihre große Schwester war einem Mann versprochen, aber sie wollte ihn nicht heiraten und ist abgehauen. Die Familie war aber eine Tochter „schuldig“ und so wurde Nida an den Mann verheiratet. Seitdem hat niemand mehr was von ihr gehört.“ Das Wort „schuldig“ wurde in dem Zusammenhang genauso verwendet. Man kann eine Tochter schuldig sein, Kinder sind eine Lieferverpflichtung wie ein Stück Marmor oder ein Beutel mit Tomaten.
Zu dem Zeitpunkt war Nida, ich erinnere mich nicht mehr an ihren genauen Geburtstag, 13 oder 14 Jahre alt. Wir waren gleich alt, als ich in die Klasse kam. Am Abend der Wiedersehensfeier war ich 16.
Wenn man Ihnen so etwas erzählt von einem in Ihrer Erinnerung kleinen Mädchen, wenn Sie selbst in einem Alter sind, in der Sie noch keinerlei Ahnung von einer intimen Beziehung zu einem Mann haben, können Sie die Dimension und die Bedeutung einer solchen Nachricht noch nicht mit aller Wucht erfassen. Aber schon zu dem Zeitpunkt war klar, dass das nicht in Ordnung ist. Überhaupt nicht in Ordnung.
Der dünne Lack der Zivilisation
Sofern Nida nicht ebenfalls die Flucht ergriffen hat, musste sie in einem solchen Alter die Ehe mit einem deutlich älteren Mann vollziehen. Die mutige Nida meiner Erinnerung! Ein freches, liebes, hübsches, kluges Mädchen, das große Träume hatte! Das sich einen Beruf wünschte und das in den Pausen mit mir auf der Grünfläche am Schulhofrand fröhliche Lieder auf einem imaginären Klavier spielte, das aber eigentlich ein umgeknickter Baumstamm war. Denn ein richtiges Klavier hatten wir Kinder aus den Einwanderer-Familien nicht. Aber wir wollten es. Wir wollten so sehr, wie es sich nur Kinder wünschen können.
Durfte das wissbegierige Mädchen irgendwo anders die Schule beenden? Ich weiß es nicht. Hat sie es geschafft, doch noch ein bißchen selbstbestimmtes Leben zu führen? Ich weiß es nicht. Keiner von uns hat Antworten auf Nachfragen erhalten. Nida ist verschwunden. In unserer durchorganisierten Welt können Kinder verschwinden.
Umso erstaunlicher mutet in diesem Zusammenhang dann an, dass eine flächendeckende Kampagne gegen das lückenlose Verbot von Kinderehen trommelt. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) spricht sich gegen ein generelles Verbot aus. Sie führt Unterhalt und Erbansprüche an. Abgesehen davon, dass alle diese Rechte geklärt werden können, wenn der Gesetzgeber will: Ist das wirklich ein Argument? Ist das nicht eher eine Sklavenhaltung von Minderjährigen – Sex gegen Unterhalt? Sex gegen Geld – das ist die Formel für Prostitution. Erschütternd, dass die Politikerin einer Partei, die sonst in jeder Rede die Gleichberechtigung und das Binnen-i für geschlechtsneutrale Sprache hochhält, plötzlich die Zukunft von 12 oder 14-Jährigen dem Geld der reichen Säcke opfert. Auch Innenminister Thomas de Maizière will nur ein kleines Ordnungsgeld von 1.000 Euro verlangen, wenn Imame in Deutschland Kinder verheiraten – so billig ist es, wenn man dem Rechtsstaat Kinder abkaufen will. Und besonders perfide läßt die evangelische Kirche ihren Mediendienst evangelisch.de Wer Kinderehen anzweifelt, gefährdet, dass deutsche Homo-Ehen in Syrien und anderen muslimischen Ländern anerkannt würden – Mädchen-Versklavung als Preis für Homo-Ehen, die evangelische Form des Verschacherns von Menschen?
„Was für Kinderehen spricht“, titelt ZEIT Online. Es ist eine peinliche Rechtfertigung von Kinderehen durch den Dortmunder Sozialwissenschafter Prof. Dr. Ahmet Toprak. Weile Ehe die Ehre der Mädchen schützt. Weil man sie für die Arbeit braucht. Weil Mädchen essen und damit Kosten verursachen. Es sind alles Argumente archaischer Gesellschaften. Und das also spricht für die Kinderehe auch in Deutschland? Weil es dem Steinzeit-Islam so gefällt? Nein, es spricht nichts für Kinderehen. Absolut nichts. Doch das wird gerne verdrängt, relativiert, verkompliziert – es soll sie eben doch geben. „Erstens, mit der Heirat sind auch wirtschaftliche Transaktionen verbunden. Zweitens, eine Heirat unter Verwandten wird gefördert,“ schreibt die ZEIT also. Die Ehe als wirtschaftlich begründetes Gefängnis? Ist das die neue Vorstellung von Emanzipation – oder gilt die nur für Frauen, die in Deutschland geboren wurden? Es spricht nichts für Kinderehen; so wenig, wie für andere Vergehen spricht. Und wer es Kindern auflädt, ohne Sprachkenntnis, Wissen und Geld ein deutsches Gericht anzurufen und den langen Prozess durchzuhalten und in der Zwischenzeit im Sklavenbett zu bleiben – der unterläuft das bestehende Verbot von Kinderehen.
„Nein heisst Nein“ auch bei Kinderehen
Auch wenn jetzt behauptet wird, es sei kompliziert, differenziert, und zum Vorteil der Mädchen, wenn sie als gefütterte Sklavinnen gehalten werden. „Nein heisst Nein“ – das gilt nicht für Mädchen unter 16, wenn man diesen Vorschlägen folgt: Das Nein zur Kinderehe ist nur noch Verhandlungssache.
So dünn ist also der Lack der Zivilisation? So schnell werden Kinder geopfert, weil die Einen ihre politischen Ziele damit verfolgen und andere einfach wegschauen wollen? Kaltschnäuzig werden Kinder zu Erwachsenen geschminkt, um nur ja Recht zu behalten und die Position des Justizministers zu verteidigen. So entstehen Parallelgesellschaften, in den Kinderrechte nicht mehr gelten, Frauenemanzipation an Unterhalt geknüpft wird. Frauen sollen wieder ins soziale Abseits gestellt werden, um die importierten Kulturen vor Modernisierung zu bewahren. Feministinnen? Die schweigen. Kein Aufschrei, wenn es wirklich um etwas geht. Bemäntelt wird es von einer unerträglichen Arroganz und Kaltblütigkeit Kindern gegenüber, denen sogar ihr Kind-Sein abgesprochen wird.
Etwa von Melanie Amann vom Spiegel. Auf Twitter verstieg sie sich zu dieser Aussage:
„Die Mär der hilflosen, einsamen 13-J ist Quatsch.“ Das Jugendamt wird schon aktiv werden. Wenn sich das Mädchen, wir reden in dem Fall über ein nach Deutschland zugereistes, vermutlich der deutschen Sprache weder in Wort noch Schrift mächtiges, massiv verschüchtertes Mädchen, dann mal an das Jugendamt wenden kann. Wenn das Mädchen sowieso durch die fremde Umgebung noch nicht eingeschüchtert genug ist, sind es nicht selten leider wenig verständnisvolle Männer, wo alleine die im Raum stehende Androhung von Gewalt ein Kind unterdrückt und gefügig macht. Nida war mutig. Wir wollten ein Klavier, aber wo das Jugendamt war und was es macht: Das haben wir nicht gewußt.
Der Mangel an Empathie, die Kaltschnäuzigkeit gegenüber der realen Not von Kinderbräuten ist schwer verständlich. Jetzt wird dafür getrommelt, den bestehenden Missstand nur ja nicht entschieden abzuschaffen. Es sind ja nur ausländische Mädchen, sie zählen nichts, wenn es darum geht, es manchen Einwanderergruppen besonders komfortabel zu machen mit ihren Kinderbräuten.
Es ist diese Kälte, die mich schaudern läßt. Und ja, ich verdanke Nida viel. Das weiß ich heute. Ich schäme mich auch. Hätte ich irgendwie auf Nida aufpassen müssen? Können? Wie? Sicherlich nicht im rechtlichen Sinn. Aber wer passt auf, auf die verlorenen Kinder mit dem Klavier auf dem Baumstamm?
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