Volker Beck: der Rückzug, der Anlass – und wie damit umgehen

Wie journalistisch mit Volker Beck, dessen Rücktritt von Ämtern und dem Grund dafür umgehen? Alexander Wallasch und Fritz Goergen sahen das gestern recht verschieden und führten spontan eine Email-Debatte, die Sie hier finden.

Wie journalistisch mit Volker Beck, dessen Rücktritt von Ämtern und dem Grund dafür umgehen? Alexander Wallasch und Fritz Goergen sahen das gestern recht verschieden und führten eine schnelle, spontane Email-Debatte, die Sie hier finden.

Alexander Wallasch: Ich ahne es, in Kürze erscheinen wieder die ersten Kommentare, die nicht müde werden, den Rückzug von Volker Beck aus der Politik in Folge von Drogenmissbrauch zu bedauern und zu erklären: „Privatsache ist Privatsache. Und seine Drogen haben mit seiner Politik usw. nichts zu tun.“

Fritz Goergen: Seinen Rückzug aus der Politik bedauere ich nicht. Drogen sind in der Tat Privatsache. Wo Drogenkonsum zur Schädigung anderer Menschen führt, ist die Schädigung Sache der Justiz.

Wallasch: Seit wann sind Drogen Privatsache? Noch weniger, wenn ich gleichzeitig als Politiker eine liberale Drogenpolitik befürworte? Dann bin ich doch Lobbyist in eigener Sache. Wenn Politiker X im Bauausschuss sitzt und gleichzeitig Großgrundbesitzer ist und entsprechende Gesetze verabschiedet, die seinen Grund und Boden aufwerten, würden sie doch auch empört aufbegehren. Und wie síeht es aus mit der Vorbildfunktion im Amt? Welche Botschaft sendet das aus? Privat ist nur, mit wem Beck ins Bett geht, nicht, ob und in welcher schmuddligen Ecke er sich illegale Drogen besorgt. Nicht etwa Cannabis oder Kokain, sondern möglicherweise sogar Mother of hell Crystal Meth! Was wäre denn mit seinen Ämtern passiert, der Mann wäre nicht sofort zurückgetreten? Was glauben Sie?

Goergen: Persönliche Lebensführung ist Privatsache. Ausnahmslos. Transparenz ist eine Forderung an jeden Politiker und jede Person der Öffentlichkeit. Ob und wie sie ihrer Vorbildfunktion nachkommen, ist Gegenstand legitimer öffentlicher Kritik: das Verhalten anderer Amtsträger Beck gegenüber ebenfalls.

Wallasch: Ja, schöne Theorie, lieber Fritz Goergen. Aber wie sieht es aus, wenn wir damit in der Realität ankommen? Ich sag‘ Ihnen was: Es sind doch gerade so bunte Vögel, wie Ronald Schill und Volker Beck, so subkulturnahe Lebenskünstler, die besser was anderes begonnen hätten als ausgerechnet Politik. Wir brauchen diese unsteten Geister in der bildenden Kunst oder in der Gastronomie oder sonst wo. Nicht umsonst ist die Toleranzschwelle für Drogen, für das lebendige Experimentieren, dort deutlich niedriger. Wer weiß, vielleicht ist es sogar eine Chance für Volker Beck und er nimmt es als libertäres Coming Out. Ich würde mich nicht wundern, wenn der außerhalb der Politik ganz sehenswerte Talente hat. Dort, wo Verantwortung, Moral und Ethik nicht ganz so hoch aufgehängt sind. Wo so ein Beschaffungsweg nicht ganz so elend lang ist, wie vom Bundestagscasino bis zur tchechischen Grenze oder wo immer Volker Beck seine Dealeradresse hat. Im übrigen: Crystal Meth ist alles andere als eine Einsteigerdroge. Bis dorthin muss man schon durch die Höhen und Tiefen einer Drogenkarriere gehastet sein.

Volker_Beck

Goergen: Becks Eignung für die Politik ist eine andere Baustelle: die Wirkungen des Auswahlverfahrens nach Parteiengesetz und Bundeswahlordnung auch. Ändert nichts am Grundsatz der persönlichen Lebensführung als Privatsache. Übrigens: Alle Größen der Bonner Republik, von denen viele parteiübergreifend schwärmen, hatten keinen kleinen Drogenkonsum.

Wallasch: Interessant! Worauf würden Sie das zurückführen? Und wollen Sie nicht Roß und Reiter nennen?

Goergen: Der tägliche Alkoholkonsum war in der westdeutschen Gesellschaft quer durch alle Schichten beträchtlich, in der DDR noch wesentlich höher. Bei den Funktionären in allen Bereichen von Wirtschaft, Gesellschaft und eben auch Politik stieg er mit dem Dienstgrad nicht selten an. Für Theo Heuss, um ein freundliches Beispiel zu nennen, waren mehrere Flaschen Wein in einer längeren Nacht normal. Willy Brandt wurde von seinen Feinden als Willy Weinbrandt verunglimpft, Franz-Josef Strauß konnte mit Rudolf Augstein nicht annähernd mithalten. Fernsehmoderatoren in jenen Tagen entspannten sich vor der Sendung mit einem Glas Whiskey (wie viele nehmen heute welche Pillen?). Stress war sicher bei allen im Spiel, aber eben auf der Basis einer Kulturgewohnheit. Bier oder Wein zum Mittagessen waren bis zum Jahrhundertwechsel normal. Das heute übliche Wasser hätte den Genannten und ihren Zeitgenossen den Spaß an der Freude vergällt. Aber, lieber Alexander Wallasch, wer sind wir, darüber dem einzelnen gegenüber zu urteilen?

Wallasch: Nein, es geht hier nicht um das Gläschen Whiskey nach Feierabend. Es geht um den Teufel höchstpersönlich: um Crystal Meth, wenn sich die Medienmeldungen bestätigen sollten. Aber kommen wir nochmal konkret zu Volker Beck zurück. Mich erinnert das an den Fall Christoph Daum, was war das für ein häppchenweise gestehen und zurückhalten und lamentieren. Ich frage Sie, was sendet das denn für ein Signal, wenn Beck via Facebook mitteilt: „Zu den gegen mich erhobenen Vorwürfen wird mein Anwalt zu gegebener Zeit eine Erklärung gegenüber der Staatsanwaltschaft abgeben. Ich werde mich dazu öffentlich nicht einlassen.“ Wer, wenn nicht er weiß am Besten, was er getan hat. Soll er doch sagen, er hat Crystal Meth genommen, er hat sonstwas genommen in diesen und jenen Mengen aus diesem und jenem Grund. Das wäre mal eine Reaktion, die angemessen wäre, anstatt sich hinzustellen und abzuwarten, bis der Polizeidoktor mit der Schere kommt und Haare abschneidet oder wie immer da Mengen bestimmt werden, wenn das Geständnis fehlt. Hier geht es nicht darum, sich nicht selbst zu belasten, sondern um eine Haltung. Um Gradlinigkeit und Rückgrat.

Goergen: Nun, das zu kritisieren, steht jedem frei. Die Politik der Bonner Republik hat nicht darunter gelitten, dass Bett- und Saufgeschichten in aller Regel kein öffentlicher Gegenstand waren. Die politische Debatte war dafür hart und alles andere als zimperlich. Aber die gegenseitigen Vorwürfe waren politische und keine der Lebensführung. Unser Abtausch bringt mich zur These: Die öffentliche Konzentration auf das Persönliche und die Entpolitisierung der Politik sind zwei Seiten einer Medaille.

Wallasch: Ach, so viel Privates wird doch gerade in der Einwanderungskrise überhaupt nicht gewälzt. Ok, ich stimme Ihnen ja sogar in sofern zu, dass der Drogenkonsum nicht in direkter Linie Nachweis für fahrige, für schlechte, für falsche Politik sein kann. Für die Unfähigkeit überhaupt politisch zu gestalten. Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Wenn ich es recht erinnere, haben Sie und andere Autoren sich doch hier bei Tichys Einblick akribisch mit den psychosozialen Hintergründen, mit dem psychischen Befinden einer Angela Merkel beschäftigt. Mit dem kleinen Asylanten-Mädchen, das Merkel so brüsk abgewiesen hatte und den Folgen etc. Haben spekuliert, was Persönliches hinter Ihrer Einwanderungspolitik stecken könnte, als gäb’s da ein düsteres Geheimnis. Warum bitte soll es auf einmal nicht zulässig sein, zu hinterfragen, was die Psychodroge Crystal Meth oder was immer ihm am Ende nachgewiesen werden kann, für Auswirkungen auf das politische Wirken, auf das Urteilsvermögen des Volker Beck hatte? Oder haben Sie bei Merkels Psychoanalyse einen  Fehler gemacht?

Goergen: Meine These zu Merkel ist und war, dass sie simpel Machtpolitik für Merkel macht. Das reichte lange für die deutsche Bundesliga, aber nicht für den politischen Eurocup und die Olympiade der globalen Politik bei einem Jahrhunderthema wie der Weltwanderung, wie wir alle beobachten können. Das ist das Schöne auf Tichys Einblick, dass jeder seine Meinung placiert, wir uns also auch widersprechen. Ganz anders, als Leute, die nur Einheitsmeinungen dulden, unserem Portal unterstellen.

Wallasch: Na ja, die Wahrheit liegt sicher rechts von der Mitte. Wir sind ja bei Tichys Einblick auch nicht bei Jungle World. Nicht mit einem einzigen Beitrag. Aber das ist, was viele so sehr an dem Portal schätzen. Und nicht umsonst ist die politische Richtung ja schon im Branding vorgegeben: „Liberal-Konservativ“. Aber sagen Sie mir doch einmal bitte abschließend – wenn Sie mögen in Form eines begründeten Rankings – was wäre denn für Sie schlimmer, wenn Volker Beck einer Oma die Handtasche geklaut hätte, wenn er es gemacht hätte wie Ulli Hoeneß oder dieses fatale Signal an User von Crystal Meth und Crystal-Meth-Interessierte, an Jugendliche und Dealer dieser chemischen Hirnschmelze?

Goergen: Die mitteste Mitte ist der nullste Nullpunkt und „links“ wie „rechts“ sind untauglich zur Einordnung von Politik in der Sache. Weil internationaler Sozialismus, der als links gilt, und nationaler Sozialismus als rechts, beide Feinde der Offenen Gesellschaft sind, von Freiheit und Herrschaft des Rechts. Nur beim letzteren bin ich konservativ, sonst mit dem Herzen Anarchist und dem Verstand liberal. Und Beck? Kann sich wohl zwischen Hoeneß und Daum nicht entscheiden. Aber: Schaunmermal. Dannsegnmersscho.

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