Der tschechische Journalist Daniel Kaiser beschreibt aus der Nähe den Weg des alten Liberalen Václav Klaus bis auf den Parteitag der AfD: und fragt, wer wird ihm noch alles folgen?
Offensichtlich steht das nicht-sozialistische, nicht-grüne Lager im Westen vor der Entscheidung, ob es sich mit der aufkommenden Welle des Anti-Establishment-Populismus‘ einlassen soll oder nicht. Man könnte es Trump-Dilemma nennen. Oder AfD-Dilema. Am letzten Parteitag dieser Alternative in Stuttgart trat als Gast Václav Klaus auf, ehemaliger tschechischer Präsident und Vorzeige-Thatcherist. Klaus selber war ursprünglich mit der Vor-Petry-AfD befreundet, mit Hans-Olaf Henkel verstand er sich auch persönlich, H-O-H besuchte Klaus, und nicht einmal, in Prag, als er noch auf der Prager Burg saß.
In Stuttgart, wo die Delegierten Marcus Pretzells Absicht billigten, im Europäischen Parlament mit dem Front National zusammenzugehen (die Fraktion der Konservativen und Reformisten hatte Pretzell ausgeschlossen, nachdem er gemeinsam mit Heinz-Christian Strache auftrat), war Klaus voll Lob für die neue AfD: „Ich muss gestehen, dass ich die Spaltung ihrer Partei im vorigen Jahr am Anfang mit Beunruhigung verfolgt habe, die Unvermeidlichkeit der Spaltung habe ich aber schnell verstanden.“ Zwar habe er enttäuschte Briefe von den Gründern erhalten, jedoch: „Es muss so sein.“ Für jede Partei, betonte Klaus, sei die Einheit zwischen Basis und Spitze entscheidend.
Noch vor 15 Jahren, als Klaus Österreich in Schutz gegen die EU-Sanktionen nahm, betonte er mehrfach, mit Haider und der FPÖ habe das nichts zu tun, es gehe ihm um die skandalöse Behandlung eines Mitgliedsstaates durch die EU. Warum macht jetzt dieser Liberale alter Prägung gemeinsame Sache mit Protektionisten wie Le Pen oder Leuten nicht ganz frei von völkischem Denken?
Chicago-Schüler
Der Ökonom Klaus, die meiste Zeit vor 1989 aus politischen Gründen in einer Bezirkfiliale der Zentralbank kaltgestellt, war schon in den 80ern Anhänger Milton Friedmans. Als er 1991, inzwischen ein populärer Finanzminister, die revolutionäre Bewegung Bürgerforum spaltete und die Mehrheit der Bewegung ihm in die von ihm gegründete Partei folgte, definierte sich diese als „konservativ“. Das aber nur, weil den Begriff „liberal“ schon zuvor der kleinere, geschlagene Teil für sich besetzt hatte (deren Mehrheit dann zu der Sozialdemokratie ging).
Die 90er Jahre waren hervorragend für Klaus, bald ein im Ausland hochgeschätzter Ministerpräsident, und für die Freiheit generell. Es gab zwar auch ein bisschen Chaos, der Rechtstaat hatte seine Geburtskrankheiten, es gab etliche Fälle von Korruption. Gemessen an der Entwicklung der letzten Jahre war es aber eine goldene Zeit, wirtschaftlich und gesellschaftlich ausgesprochen liberal.
Seit die sukzessiven Regierungen in Prag mit den Vorbereitungen auf die EU-Mitgliedschaft ernst machten und die Republik im Jahre 2004 schließlich aufgenommen wurde, geht es mit den Freiheiten wieder abwärts, zunächst in der Wirtschaft, dann allmählich auch atmosphärisch (z. B. die Polizei tritt heute nicht nur forscher, sondern auch viel arroganter auf.) Mehr Unternehmer orientieren sich heute an EU-Subventionen oder den vom Staat geförderten Sektoren, Beispiel: erneuerbare Energien, um. Die goldene Zeit liegt leider schon hinter uns.
Klausophobie
Am Anfang der Klausophobie steht persönlicher Unmut, der dann auch politische Gründe findet. Schon Ende 1989 passte Klaus nicht in die bunte Gesellschaft des revolutionären Bürgerforums. Er war Sportler, vom Lebensstil der Boheme um Václav Havel herum hielt er nicht viel, und das ließ er manche auch bald spüren (anfangs noch nicht Havel, der war damals zu mächtig und Klaus zu pragmatisch). Von seiner Kindheit an ist Václav Klaus sehr kompetitiv und ehrgeizig, was natürlich viele in den Kellern, wo das Bürgerforum tagte, massiv störte, 1989 aber auch nützlich war: Klaus wollte Ergebnisse, forderte ein Ende ziellosen Plauderns, Disziplin und, später in der Regierung, wirkte er wie ein Klassenlehrer, der die Hausaufgaben kontrolliert.
Nicht zu unterschätzen ist die persönliche Animosität zwischen ihm und Havel. Sie war beidseitig, wurde aber bis 1996 unter dem Deckel gehalten. Havel wurde Präsident des neuen tschechischen Staates von Klaus‘ Gnaden, gleichzeitig war auch er sich seiner geschichtlichen Verantwortung für den Erfolg der Transformation akut bewusst. Als im Herbst 1997 Klaus´ Regierung infolge eines Parteifinanzen-Skandals die Mehrheit verlor, griff Havel Klaus plötzlich und in aller Schärfe an. Die alte, eingefrorene Feindheit war auf einen Schlag wieder da. Beide ließen seitdem keine Gelegenheit vergehen, den anderen schlechtzureden. Für eine relativ kleine Gesellschaft wie die tschechische, wo Intellektuelle auf Havel eingeschworen waren, eine furchtbare Entwicklung.
Klaus wird Monster
Auch die Intelligentsia ist vom Herd-Instinkt nicht frei. Man ahmt sich gegensetig nach, ist tribalistisch. Gleichzeitg, weil diese Leute sich als besonders kreativ sehen, wiederholen sie sich nicht gerne. Selbst Kritik an jemandem muss sich immer wieder entwickeln, vertiefen. Als Klaus im Jahre 2003 Präsident wurde – gegen den kollektiven Willen der Intelligentsia, was für eine Frechheit! -, schoss sie sich auf ihn mit einer Vehemenz ein, die ihresgleichen sucht. Wie man Helmut Kohl schlechtgeredet hat in der alten BRD („Birne“), war im Vergleich dazu noch relativ harmlos.
Der Kampf gegen Klaus wurde damals sehr persönlich. Teilweise kann er sich dafür bei sich selbst bedanken, er ist sehr eitel und im persönlichen Verkehr kann er unerträglich sein. Aber die Kritik geht sehr viel weiter.
Er hat eine hochliegend Stimme, was alleine manche von seinen Feinden zu Andeutungen verleitet, er sei ein geheimer Homosexueller. Zu verheimlichen habe er aber angeblich noch viel mehr. Klaus ist eine hyperkritische Person, er kritisierte immer alle, in alle Richtungen. Aber seine Kritik an manchen Entscheidungen des westlichen Establishments in den letzten 20 Jahren (Luftangriffe auf Belgrad, Irak-Invasion, Konflikt zwischen Russland und Ukraine, vor allem die unendliche EU- Integration) wird routinegemäß mit der Behauptung abgetan, Klaus sei doch Agent des Kreml, er sei womöglich mit dem KGB schon seit den 1980ern verbunden. Dazu fehlt jedwedes Indiz, außer dass ein StB-Offizier und Verwalter seiner Akte (StB – tschechoslowakische Stasi), 1986 gegen ihn eine Anklage wegen antisozialistischer Tätigkeit vorgeschlagen hatte, zu der es dann nicht kam. In den 1980ern kein unüblicher Vorgang – das Politbüro musste nämlich über jeden einzelnen politischen Prozess abstimmen, was man seit Gorbatschow nicht mehr so gerne tat. Leider zählen solche Einwände unter den Klausfressern nichts.
Das letzte Jahr im Amt, als seine Feinde das Ende nicht mehr abwarten konnten, wurde zu einer Hölle. Als ihn bei einer Veranstaltung ein Mann mit Makette-Pistole aus der Nähe „anschoss“ (mit einem Farbbeutel), brach ein öffentliches Gelächter gegen den 72-Jährigen los, da er geschockt von einem „Attentat“ sprach. Ein gut subventioniertes Theater konnte seinen Tod nicht abwarten und gab ein Stück zum Begräbnis von Klaus. Zwei Monate vor seinem Abgang rief Präsident Klaus eine breite Amnestie aus, die auch manchen der sich lange hinziehenden Fälle wirtschaftlicher Kriminalität einbezog. Umgehend wurde er beschuldigt, er habe seine alten Kumpel, mit denen er Privatisierung in den frühen 90ern „gemacht“ hatte, in letzter Sekunde begnadigt. Unsinn: fast alle diese Fälle – unter den zehntausenden zählten Staatsanwälte 21 solcher Fälle auf – gehen nicht auf die große Privatisierung, sondern auf die erste Dekade dieses Jahrhundertes zurück, wo längst nicht mehr Klaus, sondern die Sozialdemokraten dominierten. Trotzdem brach noch einmal mediale Hysterie aus, in manchen Schulen wurden Bilder des Präsidenten im Klassenzimmer von der Wand abgenommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche, langjährige Behandlung durch die „Progressiven“ an jemandem spurlos vorbeigehen kann.
Er hat Recht, seine Feinde Pech gehabt
Das Präsidentenamt hat nicht viel reale Macht, dafür aber große öffentliche Wirkung. Václav Havel nutzte die Prager Burg als Ort geistiger Unabhängigkeit und intellektueller Provokation. Klaus setzte diese gute Tradition fort, natürlich mit seinen eigenen Themen.
Als Präsident hatte er zwei: Die Kritik der anthropogenen Klimaveränderungsthese, damals als eine „settled science“ erklärt, inzwischen durch etliche Affären in Verruf geraten. Auch wurde daraus der Solarboom, zu dem sich heute nicht einmal seine Urväter bekennen wollen. (Klaus leistete sich als Präsident ein Signal und verweigerte dem entsprechenden Gesetz die Unterschrift.)
Das zweite Thema: europäische Integration und der Euro. Über Schwächen der Einheitswährung schrieb Klaus nüchtern und detailliert schon im Jahre 1999. Er prophezeite die Entwicklung sehr gut, wofür er jedoch damals als Nationalist geschmäht wurde.
Und nun stellen Sie sich vor: Sie haben Feinde, die sich bei jedem Thema umgehend melden, um Ihnen jede Kompetenz und Seriosität abzusprechen, und im Nachhinein zeigt sich immer wieder, dass nicht Ihre Gegner, sondern Sie Recht gehabt hatten. Die Geschichte liebt offensichtlich Sie, nicht ihre Kritiker. Noch dazu sind diese Leute – wie der ganze mediale Mainstream – offenbar nicht willens oder unfähig, das anzuerkennen. Stattdessen bezeichnen sie Sie immer öfter als einen Reaktionär, Extremisten, sogar als Xenophoben. Vielleicht kommen Sie zu dem Schluss, dass diese Etikette irrelevant sind. Irgendwann geraten Sie selbst in die Nähe von Reaktionären, Populisten und Extremisten.
Oder sollte an den alten Verdächten gegen Klaus als einem geheimen Nationalisten etwas dran sein? Fest steht, dass er sich in der Exekutive nie als solcher gezeigt hat. Auch wenn es 1990 bis 1992 einen eskalierenden Streit mit den Slowaken gab und in der tschechischen Bevölkerung die Nachfrage nach einem Politiker wuchs, der „es ihnen endlich zeigt“, spielte Klaus mit diesen Ressentiments nicht. Übrigens ist seine Frau Slowakin.
Als ich ihn ungefähr vor fünf Jahren in einem Interview fragte, ob er den Nationalstaat, den er gegen die EU in Schutz nimmt, nicht etwa ethnisch definiere, schaute er mich erstaunt an: „Selbstverständlich definiere ich den Nationalstaat bürgerlich, nicht ethnisch. Selbstverständlich.“
Auf dem Kriegspfad
Doch gleichzeitig ist ihm in diesem Zusamenhang entweder Sensitivität oder Interesse verloren gegangen. Um dieselbe Zeit, als das Interview entstand, wurde im Bildungsministerium ein Mann aus der völlig unbedeutenden Nationalen Partei zum Beamten gemacht. Bald zeigte sich, dass er von Klaus´ Sprecher empfohlen wurde. (Der Sprecher und der Nationalist sind beide Katholiken der Art „Von dem II. Vatikaner Kongress“). Der richtige Schock war, als Klaus diesen Beamten in einem Artikel in Schutz nahm. Mir wurde erzählt, dass er sich um diese Zeit beim Familienmittagessen erkundigte, welche Reaktionen sein Artikel hervorgerufen habe. Als er erfuhr, dass all die „üblichen Verdächtigen“ gegen ihn harte Stellung bezogen, war er außer sich vor Freude.
Heute sind wir offensichtlich einen Schritt weiter. Klaus, der langjährige Amerikanophile, glaubt, dass das Establishment der USA und der EU mit der an Repression grenzenden politischen Korrektheit, dem Genderwahn, der grünen Ideologie, und letzlich dem Aufgeben der Staatsgrenzen in Europa voriges Jahr die westliche Zivilisation gegen die Wand fahren will. Nach allen seinen Erfahrungen und Ausgrenzungsversuchen stellt er sich nichts geringeres vor als eine populistische Revolution, die diese „Neomarxisten“ vielleicht noch aufhalten kann. Seine Widersacher und Feinde haben so lange versucht, ihn zu dämonisieren, bis er sich am Ende mit dem Dämon gegen sie vereinte. Die interessante Frage ist jetzt, wie vielen alten Liberalen und Konservativen es in Europa genauso gehen wird wie Václav Klaus.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Danke fur seinem Meinung.