TV-Triell: Faeser bleibt bei der Hessenwahl Statistin

Eine Woche vor der Landtagswahl in Hessen versuchen die Kandidaten von CDU, Grünen und SPD noch einmal in Stellung zu bringen: Boris Rhein distanziert sich von Merz-Wortwahl, Tarek Al-Wazir weicht von der Parteilinie ab und Nancy Faeser faesert.

Screenprint: hessenschau

Eigentlich wollte man sich das Fernsehtriell der drei Spitzenkandidaten zur hessischen Landtagswahl gar nicht antun. Denn man konnte erwarten, dass sich die beiden Koalitionäre Boris Rhein (CDU; 51) und Tarek Al Wazir (Grüne; 52) verbal nichts antun. Aber dann hat man doch reingeschaltet und beispielsweise mit Al Wazir einen für grüne Verhältnisse ungewöhnlich distinguierten Realo erlebt. Zudem sah und hörte man einen Boris Rhein, der seinerseits wiederholt zu verstehen gegeben hat, dass er die geräuschlos arbeitende schwarz-grüne Koalition über den 8. Oktober hinaus fortführen möchte. Man duzt sich, auch vor der Kamera. Zusammen bringen ihre beiden Parteien voraussichtlich rund 50 Prozent auf die Beine. Das ergibt im neuen hessischen Landtag eine recht komfortable Mehrheit an Sitzen.

Für die Dritte im Bunde des Triells, Nancy Faeser (53), sieht die Perspektive indes zappenduster aus. Sie wird zur Statistin. Bestenfalls zwischen 15 und 18 Prozent wird Faeser für die SPD einheimsen können. Sympathieträgerin ist sie schon gleich gar nicht, im Ranking der beliebtesten Politiker ist sie laut INSA sogar hinter den AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla gefallen.

Faesers gespenstisches Szenario für den Wahlabend: Rang 4 bei der Hessenwahl – hinter CDU, Grünen und sogar AfD, womöglich nur 15 Prozent und damit noch deutlich weniger als bei der Wahl 2018, als die ehemals erfolgsverwöhnte 40-/50-Prozent-Hessen-SPD mit 19,8 Prozent das bis dato miserabelste Ergebnis eingefahren hat. Diese Perspektive merkte man Faeser im Triell an. Hypermotiviert und hyperaktiv unterbrach sie Boris Rhein mehr als ein Dutzend Mal. Dieser hatte – seine Redezeiten staatstragend nutzend – dennoch unterm Strich etwas mehr Redezeit (exakt eine Minute) als Faeser beziehungsweise Al Wazir. Nicht mitgerechnet allerdings Faesers permanente Zwischenrufe. Einmal fauchte Rhein sie an: „Wollen Sie sprechen oder soll ich sprechen?“

Rhein und Al Wazir gaben die überlegenen, wissenden und zugleich besorgten Landespolitiker; Faeser konnte als Bundesinnenministerin nicht so recht punkten. Gewiss steht in Hessen nicht alles zum besten: Es fehlt an Wohnungen und Eigenheimen, es fehlt an Erziehern, es fehlt an Lehrern. Rhein und Al Wazir räumten das ein, verwiesen auf Verbesserungen in jüngster Zeit und versprachen, in diesen Problemfeldern aufzustocken. Wahlkampfversprechen eben.

Richtig spannend hätte es bei zwei anderen Themen werden können: beim Thema Migration und beim berüchtigten SPD-Video, mit dem Faesers Partei die CDU als AfD-nah anschwärzen wollte.

Thema Migration

Faeser gab die zufriedene Bundesinnenministerin: „Ich habe nach 15 Jahren Stillstand in Europa etwas erreicht.“ Alles ist gut, alles wird gut. Die EU wird das richten, Deutschland ist dabei. Rückführungen finden in größerer Zahl statt. Abkommen mit Ländern, aus denen Flüchtlinge kommen, wurden auf den Weg gebracht. Die Grenzen werden besser geschützt. Die Kommunen bekommen mehr Geld. Und schließlich hat Kanzler Scholz ein „atmendes System“ versprochen. Was immer das ist.

Selbst ein Al Wazir, für einen Grünen ungewöhnlich, sagte: „Unser gemeinsames Ziel muss es sein, da wieder Ordnung hineinzubringen …. Diese Ordnung muss von den Außengrenzen her hergestellt werden.“ Al-Wazir widersprach hier mehrfach seiner Partei, sagte auch, wer in Deutschland kein Bleiberecht bekomme, solle möglichst erst gar nicht einreisen. Schade, dass Al Wazirs Parteikollegin Baerbock wegen ihrer humanitaristischen Hypermoral nicht so tickt. Al Wazir sagte zudem: „Ich möchte, dass Menschen, die kein Bleiberecht haben, auch wieder gehen.“ Und: „Rückführungsabkommen sind Job der Bundesinnenministerin.“ Boris Rhein musste da nicht mehr viel sagen. Allerdings hat er es auch versäumt, Faesers Pirouetten der letzten zwei Wochen aufzuspießen: Mal war sie für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Lampedusa, mal dagegen. Mal war sie gegen strengere EU-Regelungen, nach einer Kanzlerintervention dafür. Mal war sie für ein Wahlrecht für anerkannte Asylbewerber bei Kommunalwahlen nach 6 Monaten (oder 6 Jahren?), mal dagegen.

Thema SPD-Wahlkampfvideo

Rhein attackiert Faeser wegen des SPD-Wahlkampfvideos. www.tichyseinblick.de/meinungen/landtagswahl-hessen-spd-faeser/ Das Video verdächtigte Rhein einer künftigen Kooperation mit der AfD. „Es war ein ganz schlimmes Video“, sagt Rhein. „Widerwärtig!“ Faeser: „Es ist nicht mein Stil, deswegen gibt es dieses Video nicht mehr.“ Die SPD habe sich entschuldigt. Rhein: „Bei mir hat sich niemand entschuldigt.“ Weiter Rhein: „Wenn einer seine Partei nicht im Griff hat, fragt man sich schon, wie er ein Land regieren möchte.“ (Rhein über Faeser). Und weiter: „Ich möchte gern von Frau Faeser wissen: Kannten Sie das Video? Haben Sie Verantwortung für das Video übernommen? Waren Sie irgendwie eingebunden in die Produktion dieses Videos?“ Faeser redet darum herum und beantwortet die Frage nicht. Selbst Al-Wazir spricht hier Klartext: „Die SPD weiß selber, dass dieses Filmchen ein schmutziges Stück Propaganda war.“

Pflichtschuldigst distanzierten sich schließlich Al Wazir und Rhein von CDU-Chef Friedrich Merz, der in einer Talkrunde davon sprach, dass deutsche Patienten bei Zahnärzten nicht so leicht einen Termin bekämen, weil Flüchtlinge sich dort ihre Zähne machen ließen. Al Wazir baute Rhein eine Brücke: „Ich weiß, dass es nicht Deine Wortwahl ist. Aber, Boris, man kann auch mal, wenn einer Quatsch erzählt, sagen, dass es Quatsch ist.“ Rhein geht dann doch auf Distanz zu Merz Parteichef: „Es ist eine Wortwahl, die hätten Sie so von mir nicht gehört. Ich weiß aber, dass das Thema diskutiert wird.“

Unter’m Strich: Vergeudete 60 Minuten, auch weil die beiden Moderatorinnen nur gespielt neutral blieben und weil es zu sechs Themen eingespielte Fragen von der zweitägigen Reise des HR-Wahlmobils nach Fulda und Bensheim gab. Wenig erhellend auch die 30-Minuten-Nachbesprechung des Hessischen Rundfunks mit einem „Fachmann“ für Körpersprache, einer Politikprofessorin, einem Landtagskorrespondenten und der Siegerin des Wettbewerbs „Jugend debattiert.“

Bislang Unentschlossene wird man mit den insgesamt 90 Minuten nicht an die Wahlurne oder zur Briefwahl gebracht haben, so dass erneut eine niedrige Wahlbeteiligung zu erwarten ist. Zuletzt (2018) waren es in Hessen 67 Prozent, vergangenes Jahr in NRW nur magere 55 Prozent.


TE-Wahlwette Hessen

Ihre Wetten nehmen wir ab sofort entgegen. Unsere Buchmacher öffnen ihre Schalter. Wer über alle genannten Parteien hinweg am nächsten an den Ergebnissen landet, gewinnt.

Annahmeschluss ist der Wahlsonntag (08.10.2023) um 17:35 Uhr. Das Wettergebnis wird bis einschließlich Montag, den 09.10.2023, veröffentlicht. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Auf die Gewinner wartet:
1. Platz: eine Flasche Champagner von Roland Tichys Tante Mizzi aus Verzy
2. Platz: zwei Bücher aus dem Shop nach Wahl
3. Platz: ein Buch aus dem Shop nach Wahl

++ Abstimmung geschlossen ++

Unterstützung
oder

Kommentare ( 68 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

68 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Sabine K.
1 Jahr her

Die Hessenwahl wird an der Regierungskonstellation nichts ändern, CDU weit vorn, Grüne etwas geschrumpft, aber egal. Schwarz/Grün mag sich und sitzt dank der großen Menge an desinformierten Wählern fest im Sattel. Die AfD wird mit Ach und Krach 15 oder 16 % kriegen und im Wahlstudio noch hämisch belächelt werden wegen der nicht eingetroffenen höheren Umfrage-Ergebnisse.
SPD wird verdient ihr Fett wegkriegen und die FDP muss zittern.
Eigentlich hätte besonders die CDU für ihren Linkskurs auch eine auf den Deckel kriegen müssen, aber das steht nicht zu erwarten. Die werden sich höchstwahrscheinlich feiern als Sieger.

Waldorf
1 Jahr her

Die SPD hat fertig und nirgends sieht man es so deutlich, wie an deren „Spitzenpersonal“. Eingeschlafene Füße sind anregender als deren „Topleute“. Wo solch extreme Durchschnittskaliber wie Esken oder Faeser oder Scholz ganz nach oben kommen können, ist die Firma, der Verein oder die Partei bereits am Ende. Die farblosen Langeweiler/innen in Führungspositionen sind Phänome langer Wohlstandsphasen, in denen nur die sehr langweilige Verwaltung des bereits Vorhandenen erwartet wird, keine Innovationen oder Richtungswechsel, keine ernsthaften Probleme am Horizont drohen, kurz: alles in Friede,Freude, Eierkuchen vor sich hindümpelt und nur verwaltet werden braucht, daß es so bleibt wie es ist. Das… Mehr

Kontra
1 Jahr her

Die beiden „Moderatorinnen“ waren auch echt goldig. Die Nachwuchsschmieden des ÖRR scheinen ein unerschöpflicher Quell an links, woken Haltungs- Journos zu sein.

Albert Pflueger
1 Jahr her

Wenn zu befürchten steht, daß Faeser mit ihrer SPD nur Vierte wird, wie kommt es dann, daß der Spitzenkandidat der AfD nicht eingeladen wurde, sondern sie? Wenn man die Schlagseite des Propagandafunks nicht schon kennen würde, müßte man sich w u n d e r n ! So aber empfindet man nur die übliche Verachtung und Zorn, daß man dafür bezahlen muß.

G
1 Jahr her

Wieso die drei und nicht alle im Landtag vertretenen Parteien? Geht so Ausgewogenheit im ÖRR?

Yani
1 Jahr her
Antworten an  G

Ist doch hier auch nicht viel anders. Hier dreht sich vorranging alles um CDU/FDP/SPD/Grüne. Herr Kubicki wird vor der Wahl eine schöne Bühne gegeben. Diesem CDU Mann aus Hessen ebenso. Einen Chrupalla, eine Weidel oder von Storch ignoriert man dafür auch hier eisern.

fatherted
1 Jahr her
Antworten an  G

Letzte Woche gab es im HR eine „Runde der Unwichtigen“….dort war dann die zweite Garde der CDU/SPD/Grünen mit den „Anderen“….kam genauso wenig raus wie bei dieser Sendung. Was will man auch erwarten….mal ehrlich…auf Landesebene wird höchstens noch über Bildung und ein bisschen Verkehr entschieden….alles andere wird aus Brüssel und Berlin durchgereicht….die Landesparlamente in Deutschland sind letztlich „Auffangstationen für gescheiterte Existenzen“ die sich qua Partei ein sehr warmes Plätzchen sichern….sieht man mal was da so „entschieden“ wird….könnte man auf diese gut verzichten….der Föderalismus ist ein totes Pferd das noch immer gern gesattelt wird, weil es für die Reiter goldene Pferdeäpfel sch….äh….macht.

merkelinfarkt
1 Jahr her

Das ist kein politischer Dreikampf, sondern wenigstens ein Vierkampf. Vielleicht könnte das der hessische Rundfunk mal endlich realisieren. Eine Unverschämtheit eines von der Allgemeinheit finanzierten Öffentlichrechtlichen Senders gegenüber den Wahlberechtigten!

puke_on_IM-ERIKA
1 Jahr her
Antworten an  merkelinfarkt

Dass der HR die grünrote Nachrichtenzentrale rund um Frankfurt ist und eine Kaderschmiede für Linksgründumme Regierungsplapperer , ist bedauerlicherweise keine Neuigkeit.

Schwabenwilli
1 Jahr her

Frau Faeser hat es geschafft den Grünen (und der AfD) ordentlich Stimmen zuzuschaufeln. Sie ist politisch schon jetzt abgeschrieben.

Evero
1 Jahr her

Die Verhältnisse in Hessens Politik: festgefahren aber durch und durch unbefriedigend. Schlechte Bildungsstandards (auch und mit der CDU), zu viel Bürokratie, Bevormundung der Landwirte, Verkehrsgängelung hoch 3. Aber: heute wird im Bundesland kaum noch was von größerer Bedeutung entschieden. Wir werden zu sehr fremdregiert durch UN-Resolutionen, EU-Kommission und Bundesgesetze. Lokal relevante Themen müssen viel mehr auch lokal entschieden werden. Also: mehr Demokratie für Hessen, neue Parteien beleben den Markt.

Siggi
1 Jahr her

Wenn sich der Trend wie in den jüngsten Umfragen zu Hamburg und SW behauptet, wird das für die Ampelparteien ein Rheinfall.

littlepaullittle
1 Jahr her

„SPD …… womöglich nur 15 Prozent ….“
Das waere in der Tat erschreckend.
Viel zu viel! So etwa 15% zu viel.