Tradition oder Identitätsverlust?

Die jüngste Debatte um den Muezzin-Ruf zeigt: Nicht der Islam selbst, sondern ein falsch verstandener Säkularismus ist der Brandbeschleuniger abendländischer Zerfaserung.

imago images / Team2
Die DITIB Tuerkisch Islamische Gemeinde zu Recklinghausen e.V., hat von der Stadt Recklinghausen wegen der Coronakrise die Genehmigung zur externen Beschallung des Gebetrufes ueber Lautsprecher erhalten.

Ist der Muezzin-Ruf vergleichbar mit dem Läuten der Kirchenglocken? Was als Sondermaßnahme begann, hat mittlerweile eine landesweite Debatte ausgelöst. Offenbar wird: Es handelt sich um eine Grundsatzdebatte. Der entscheidende Vorstoß, den Muezzin-Ruf zu verstetigen, kam nicht von muslimischen Verbänden, sondern von der Krefelder FDP. DITIB-Lobby hin, Koordinationsrat der Muslime her: Nicht der Islam selbst, sondern ein falsch verstandener Säkularismus ist der Brandbeschleuniger abendländischer Zerfaserung.

Das Mittagsläuten ist in sich kein Teil des christlichen Kultes

Die kulturrelativistische Sicht auf den Muezzin-Ruf wurzelt dabei nicht nur im Unwissen über die Bedeutung des islamischen Glaubensbekenntnisses; der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat ihn richtigerweise als „kultische Handlung“ eingeordnet, der Theologe Johannes Hartl spricht von einer „imperialistischen Proklamation“. Hier liegt der wunde Punkt: Ob Aufruf zum Angelus oder Erinnerung an den Sieg über die Türken bei Belgrad – das Mittagsläuten ist in sich kein Teil des christlichen Kultes, der in der Öffentlichkeit zelebriert wird. Zugleich vereint der Ruf mit seinem Exklusiv- und Dominanzanspruch das alte islamische Übel von Politik und Religion.

Der Streit berührt demnach nicht die reine Frage nach der Freiheit der Religionsausübung. Denn entgegen dem vom Minarett geschmetterten Adhan-Gebetsruf ist das Kirchengeläut ein tausendjähriger Bestandteil religiöser wie kultureller Tradition Europas. Hinter der Frage nach dem Muezzin verbirgt sich neuerlich die unerledigte Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Die Gleichsetzung relativiert gewachsene Strukturen des alten Kontinents zugunsten säkularer Prinzipien. Damit geht die Frage einher, in welchem Land wir leben wollen: in einem, das auf historischen Traditionen und Werten fußt, oder einem, das aus Angst vor Intoleranz seine Identität verleugnet.


Dieser Beitrag erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.

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Kommentare ( 11 )

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Silverager
4 Jahre her

Ich habe mich ganz früher als Atheist über das Glockenläuten am Sonntag morgen aufgeregt, wenn ich ausschlafen wollte.
Wenn ich aber das Gejaule denke, das von den Minaretten tönt, ist mir das Läuten der Glocken inzwischen die schönste Musik, selbst als Atheist.

Andreas aus E.
4 Jahre her

„Hinter der Frage nach dem Muezzin verbirgt sich neuerlich die unerledigte Debatte darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht.“ Für mich ist die Debatte längst erledigt, anders gesagt: Es stand nie zur Debatte. Natürlich gehört der Islam nicht zu Deutschland. Das Kirchengeläut halte ich auch für verzichtbar, aber das hat nun Tradition, zumal Glocken ja auch immer praktischen Nutzen hatten, etwa als Alarmzeichen oder schlicht Zeitansage (huhu Bauer, gleich kommt Mutti mit Pott Eintopf und Krug Bier auf Acker, schirr die Gäule ab). Das mögen allerlei Erdgeister, Zwerge und Elfen der deutschen Volkssage anders sehen, die wegen des… Mehr

Politkaetzchen
4 Jahre her

Die Frage ist obsolet, da der Michel sich bereits entschieden hat ihn ist nur noch nicht die Folgen bewusst.

Karl Schmidt
4 Jahre her

Ich denke nicht, dass es um einen Identitätsverlust geht. Ich halte es eher für eine Machtfrage: Einwanderung ist mit der Anpassung an die neue Heimat verbunden. Ansonsten wird der Einwanderer als Eroberer empfunden, denn er verpflanzt dann nicht sich selbst, sondern seine Heimat in fremdes Land. Darin liegt ein durchaus aggressiver Akt. Letztlich wird ja erwartet, dass sich der Einwanderer ändert und nicht das aufnehmende Land. Das ist zum einen schon deshalb logisch, weil der Zuwanderer seine Heimat ja nicht ohne Grund verlässt. Offensichtlich ist – aus seiner Sicht – das neue Land attraktiver; dann wäre es nicht nachvollziehbar, warum… Mehr

olive
4 Jahre her
Antworten an  Karl Schmidt

Genau so ist es. Es erstaunt, dass die Politiker offenbar nicht im Stande sind, soweit zu denken.

Heinrich Niklaus
4 Jahre her

Die Identitätsverleugnung gehört inzwischen zur Staatsräson!

Gernot Artus
4 Jahre her

„Der entscheidende Vorstoß, den Muezzin-Ruf zu verstetigen, kam nicht von muslimischen Verbänden, sondern von der Krefelder FDP“

Von allen verbrauchten Altparteien ist die FDP mit Sicherheit die überflüssigste!

Protestwaehler
4 Jahre her
Christa Wallau
4 Jahre her

Selbst der, welcher kein Christ (mehr) ist, kann nicht leugnen, daß er in einem Kulturraum lebt, der vom Christentum eindeutig geprägt ist. Dieser Raum braucht Schonung, wenn er erhalten bleiben soll. Der islamische Kulturraum ist völlig anders und beruht auf ganz anderen Denk- und Handlungsweisen. Vor allem ist sein Gottes- und Menschenbild nicht kompatibel mit unserem deutschen GG. Als großräumige, relativ homogene Einheiten können Kulturen nebeneinander bestehen und sich als solche tolerieren, aber auf engstem Raum nehmen sie sich gegenseitig die Luft zum Atmen weg bzw. die Kultur mit dem lebendigeren Wachstumspotential wird der anderen über kurz oder lang den… Mehr

Auswanderer
4 Jahre her

Dieses Thema passt denen, die mit Deutschland nichts anfangen können echt gut ins Konzept. Nur merken die nicht, dass die dem neuen Totalitarismus Tür und Tor öffnen! Man kann ja mal gegen eine Wand laufen, nur man sollte es dann auch bei Zeiten mal merken!

Protestwaehler
4 Jahre her
Antworten an  Auswanderer

FDP… Für Den Propheten! 😀