Stimmenschwund: Das grüne Bermuda-Dreieck

Brandenburg ist für die Grünen das vierte Wahl-Desaster in Folge. Die Daten verheißen nichts Gutes für die Partei, die vor nicht allzu langer Zeit noch das Bundeskanzleramt erobern wollte. Die Schuld suchen die Verlierer überall – nur nicht bei sich selbst. Jetzt soll sogar Moskau mitverantwortlich sein.

picture alliance/dpa | Frank Hammerschmidt

Zweiundsechzigtausendeinunddreißig. In Zahlen: 62.031. So viele – besser: so wenige – Menschen haben sich am Sonntag bei der Landtagswahl in Brandenburg dazu durchringen können, der Partei Bündnis‘90/Grüne ihre Zweitstimme zu geben. Bei den Erststimmen für die Wahlkreiskandidaten waren es sogar nochmal gut 10.000 weniger.

Im Vergleich zu den letzten Landtagswahlen im Jahr 2019 sind der Partei damit weit mehr als die Hälfte (!) aller Wähler von der Fahne gegangen. Damals bekamen die Grünen noch 136.364 Stimmen. Diesmal haben weniger Brandenburger grün gewählt, als Fans zu Bayern München ins Stadion gehen – bei jedem Spiel, wohlgemerkt.

Mit kümmerlichen 4,1 Prozent fliegen die Grünen im Heimatverband von Außenministerin Annalena Baerbock hochkant aus dem Landtag: weil sie auch das bisher gehaltene Direktmandat in Potsdam nicht verteidigen konnten, das sie über die sogenannte Grundmandatsklausel – eine Besonderheit des brandenburgischen Wahlrechts – noch hätte retten können.

„Ab morgen sind wir eine starke außerparlamentarische Opposition.“

So kommentiert Spitzenkandidat Benjamin Raschke die Totalpleite. Der Satz klingt auch für wohlwollende Ohren nach Pfeifen im Wald, und er stimmt allenfalls zur Hälfte. Opposition – ja. Außerparlamentarisch – ja. Aber stark?

Es ist ein Desaster, das bei näherem Hinsehen immer nur noch schlimmer wird. Als einzige Partei haben die Grünen an alle anderen Konkurrenten ausschließlich nur Wähler abgegeben: 47.000 sind zur SPD gewandert, jeweils 5.000 zum BSW und zur CDU, sogar 3.000 zur AfD. Jeweils 2.000 bisherige Grün-Wähler haben ihr Kreuz bei irgendwelchen Splitterparteien gemacht oder sind gleich ganz zuhause geblieben. Jeweils 1.000 fanden sogar noch die „Linke“ und die Freien Wähler attraktiver.

Eine Klatsche auf ganzer Linie.

Bei der demografischen Wahlanalyse müssten den Strategen in der Parteizentrale eigentlich die Tränen in die Augen schießen, denn die Grünen haben ihre bislang sicherste Basis verloren: die Jugend. Gerade noch sechs (6) Prozent holt der einstige Liebling der jungen Leute in der Alterskohorte der 16- bis 24-Jährigen (in Brandenburg darf man ab 16 wählen). Nur die Freien Wähler sind da noch schlechter.

In derselben Altersgruppe gewinnt haushoch die AfD mit 31 Prozent, und selbst die chronisch überalterte SPD kommt da noch auf 19 Prozent.

Dasselbe Bild bei den 25- bis 34-Jährigen und bei den 35- bis 44-Jährigen: jeweils nur sechs Prozent für die Grünen, jeweils über 30 Prozent für die AfD. Und das sind noch die besten Werte für die Baerbock-Truppe: Bei den Älteren danach wird es immer nur noch schlimmer.

In Brandenburg – wie zuvor schon in Sachsen und Thüringen – zeigt sich erneut: Den Grünen hilft es überhaupt nicht, junge Studienabbrecher ohne Berufsausbildung und ohne ernsthafte Arbeitserfahrung (wie Ricarda Lang und Emilia Fester) in Spitzenpositionen zu hieven. Vor allem den arbeitenden Teil der Jungwählerschaft schrecken diese rein politischen Biografien bei den Grünen offensichtlich eher ab.

Wie zum Beleg äußerte sich Ricarda Lang am Wahlabend im schlimmsten Berufspolitiker-Sprech: „Wir müssen näher an die Lebensrealität der Menschen im Osten ran.“ Doch genau diese Menschen im Osten spüren, dass Lang & Co. genau diese Lebensrealität nicht nur nicht kennen, sondern in Wahrheit mit ihr auch ums Verrecken nichts zu tun haben wollen.

Bei der EU-Wahl abgestürzt und nur noch gerade so zweistellig, in Sachsen nur denkbar knapp im Landtag, in Thüringen und jetzt in Brandenburg draußen: Es ist die vierte Wahl in Folge, bei der die Partei schlicht abgewatscht wird.

Aber die Lernkurve bei den Grünen bleibt flach wie das EKG bei einer Leiche.

Nach jeder Niederlage – und inzwischen schon mit einiger Routine – wird von den Parteispitzen die eigene Verantwortung für den neuerlichen Absturz wegerklärt. Das Ritual ist jedes Mal dasselbe: Schuld sind die anderen, die eigene Politik ist richtig, der Wähler hat sie nur nicht verstanden.

Die nachweislich wahlentscheidenden Probleme der Bürger zu leugnen, ist mittlerweile ein grüner Routine-Reflex. Alle Umfragen zeigen: Auch in Brandenburg waren die wichtigsten Themen für das Volk wieder Wirtschaft und Soziales – und danach gleich Zuwanderung und Kriminalität.

Auf beiden Feldern haben sich die Grünen mit einiger Beharrlichkeit erfolgreich zum Hassobjekt der Wähler hochgearbeitet: Wirtschaftsminister ist ein Grüner, und keine politische Gruppierung in Deutschland kämpft so leidenschaftlich noch gegen die Abschiebung auch noch des abscheulichsten illegal eingereisten Straftäters.

Doch die Parteilinke macht gegen jede Annäherung an die offensichtlichen Wünsche der Wähler mobil. Schon warnt der grüne EU-Abgeordnete Rasmus Andresen: „Anstatt sich an rechten Diskursen abzuarbeiten, wird es Zeit, eine eigene Agenda ins Zentrum zu stellen.“ Was den Menschen helfe, seien nicht Sozialkürzungen oder Asylrechtsverschärfungen, „was ihnen hilft ist, wenn ihre Interessen in den Mittelpunkt gerückt werden.“

Neben vielen anderen hat so auch der grüne Spitzenkandidat und bisherige Fraktionsvorsitzende Benjamin Raschke tatkräftig zum Misserfolg in Potsdam beigetragen. Der 41-Jährige fand es sinnvoll, vor allem mit Insektenschutz und dem öffentlichen Nahverkehr Wahlkampf zu machen. Das ging den Brandenburgern absehbar am Allerwertesten vorbei.

Zudem gehört Raschke zum unbelehrbaren Flügel seiner Partei: „Ich kann nur davor warnen, diesen AfD-Thesen hinterherzulaufen“, sagte er mit Blick auf eine schärfere Asylpolitik, und forderte „Integration statt Grenzkontrollen“.

Die Wähler sehen das erkennbar anders.

Um das Bild abzurunden, zeigen die Verlierer mit allen verfügbaren Fingern auf andere. Antje Töpfer war bisher Brandenburgs Staatssekretärin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz. Dass das Volk sie aus dem Amt gewählt hat, liegt für sie an Ministerpräsident Dietmar Woidke von der SPD: Der „hat es auf Kosten der demokratischen Mitte gemacht“. Das sei „unverantwortlich auf Kosten der demokratischen Vielfalt“.

Selbstkritik? Fehlanzeige.

In der demnächst vermutlich olympischen Disziplin „Schuldzuweisung“ schießt – nicht zum ersten Mal – die unvermeidliche Katrin Göring-Eckart den Vogel ab. Die Vizepräsidentin des Bundestages erklärt den Absturz ihrer Partei allen Ernstes mit „Einflussnahme des Kreml“.

„Der Partei stehen schwere Zeiten bevor.“

Das schreibt sogar der notorisch Grünen-affine „Spiegel“. Da kann man kaum widersprechen.

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