Bestimmt der Bundespräsident, wer Demokrat ist?

Wenn es um Demokratie geht, will der wieder gewählte Bundespräsident nicht neutral sein. Dabei scheint demokratisch nur zu sein, was er für demokratisch hält. Frank-Walter Steinmeier wird in die Geschichte eingehen als erster Bundespräsident, der nicht neutral ist.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Berlin, 13.02.2022

Eine große Rede hätte der neue, alte Bundespräsident nach seiner Wiederwahl gehalten, jubelte so mancher in den Medien. Vermutlich hätte er auch gejubelt, wenn Frank-Walter Steinmeier geschwiegen hätte. Der Wortlaut der Rede ist weder überraschend noch bietet er Neues. Nein, der neue Bundespräsident hat keine große Rede gehalten, sie erinnert eher an ein Formular, das mit den richtigen Begriffen nach dem rotgrünen Politiklehrbuch fleißig und wenig inspiriert abgearbeitet wurde. Zwar gebot es die Form, sich bei den Mitbewerbern zu bedanken, aber natürlich ist nur einer erwähnenswert – und deshalb in Wahrheit auch nur akzeptiert.

Auch durch kleine Gesten kann man deklassieren. Größe sieht anders aus. Dass das persönliche Wort des Bundespräsidenten dem Kandidaten der Linken galt, erstaunt bei einem Bundespräsidenten, der ein Konzert, auf dem linksradikale Gruppen auftraten, bewarb, wirklich niemanden. Wenn Steinmeier sagt: „Aber es gibt eine rote Linie und die verläuft bei Hass und Gewalt!“, stellt sich die Frage, wo bei Frank-Walter Steinmeier die „rote Linie“ war, als auf dem von ihm beworbenen Konzert die Gruppe K.I.Z. sang:

„Ich mach Mus aus deiner Fresse
Boom verrecke
Wenn ich den Polenböller in deine Kapuze stecke
Die halbe Schule war querschnittsgelähmt von mei’n Nackenklatschern
Meine Hausaufgaben mussten irgendwelche deutschen Spasten machen
Gee Futuristic ich krieg Durchfall von die Bässe
Ich ramm die Messerklinge in die Journalistenfresse.

Oder als die Band Feine Sahne Fischfilet sich wünschte: „Die Bullenhelme, die sollen fliegen, eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein!“

Natürlich musste Steinmeier sich zur drohenden Kriegsgefahr äußern – und alles, was er dazu sagte, war nicht mit Blick auf Russland, sondern mit Blick auf Deutschland, auf die deutsche Öffentlichkeit gesprochen, denn Steinmeier nutzte die Kritik an Russland zum Lob der Demokratie. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn es um Demokratie gegangen wäre. Um Demokratie handelte es sich jedoch nur insoweit, dass nur demokratisch zu sein scheint, was Frank-Walter Steinmeier für demokratisch hält.

So beginnt der Bundespräsident mit einer Kampfansage: „Überparteilich, ja – aber ich bin nicht neutral, wenn es um die Sache der Demokratie geht. Wer für die Demokratie streitet, hat mich an seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben!“ Steinmeier wird in die Geschichte eingehen als erster Bundespräsident, der nicht neutral ist. Wie sieht der Bundespräsident die weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates?

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Wer nicht neutral ist, ist Partei, wer nicht neutral ist, kann demzufolge auch nicht überparteilich sein. Wer nicht neutral ist, hat nämlich Partei ergriffen. Weil das auch Frank-Walter Steinmeier weiß, versucht er, diesen Widerspruch aufzulösen, indem er relativiert, dass er nicht neutral sei, wenn es um die Sache der Demokratie ginge. Nur macht der Relativsatz die Sache nicht besser. Im Grunde ist es eine nicht erwähnenswerte Binse, dass der Bundespräsident für die Demokratie eintritt, das ist als höchster Repräsentant eines demokratischen Staates auch seine Pflicht. So gesehen hätte ein einziger Satz gereicht: Meine Damen und Herren, ich erfülle meine Pflicht.

Aber darum ging es Steinmeier nicht, sondern darum, den Feind zu benennen, dessen Gegner er ist. Wenn es Frank-Walter Steinmeier so wichtig ist, sich als Kämpfer für die Demokratie und gegen ihre Feinde darzustellen, stellt sich die Frage, wer der Gegner ist. Und der Bundespräsident benennt auch diejenigen, die ihn zum Feind haben werden: „Ich fürchte, die Gegner der Demokratie werden nach der Pandemie nicht leiser werden, sie werden sich neue Themen suchen und vor allem neue Ängste, von denen es reichlich gibt in dieser Zeit: Werden unsere Kinder noch denselben Lebensstandard haben wie wir heute? Kann ich Schritt halten mit dem Lauf der digitalen Welt? Fällt unser Land hinten runter im globalen Wettbewerb?“

Sind also diejenigen Gegner der Demokratie, die diese Ängste ernst nehmen? Sind diejenigen Feinde der Demokratie, die nicht an das schöne Morgenrot der klimaneutralen Gesellschaft glauben? Denn, so Steinmeier, „solche Sorgen sind Nährboden für die, die mit der Angst ihr politisches Geschäft betreiben“. Ist die Formulierung dieser Sorgen für Steinmeier schon ein Anschlag auf die Demokratie? Gehört es nicht zu den Aufgaben der Politik, Sorgen ernst zu nehmen und die Interessen der Bürger zu vertreten? Dass all diese Sorgen berechtigt sind, dass sie eigentlich keine Sorgen mehr sind, sondern fast zur Gewissheit werden, bestätigt Steinmeier sogar, wenn er sagt: „Und ich fürchte, sie tun es auch mit dem großen Thema unserer Zeit: dem Kampf gegen den Klimawandel.“ Denn der Kampf gegen den Klimawandel „ist nicht weniger als die Überlebensfrage der Menschheit“.

Zur Verlängerung von Steinmeiers Amtszeit:
Präsident der politischen Klasse?
Überlebensfrage? Wer arbeitet hier eigentlich mit Ängsten? Wer benutzt eigentlich ständig das Armageddon-Argument, wer droht ständig mit Millionen Toten, wenn nicht jede Pandemieverordnung mit größter Leidenschaft und nie nachlassender Dankbarkeit der weisen Regierung gegenüber eingehalten wird? Diese Pflicht zu dieser Dankbarkeit haben wir im Osten 1989 abgelegt. Frank-Walter Steinmeier will nach Ostdeutschland fahren, er könnte dort, wenn er will, Leute treffen, die ihm davon erzählen können, Leute die damals viel dafür riskiert haben, dass sich Staatsorgane neutral verhalten, gerecht gegen jedermann.

Wer droht eigentlich ständig damit, dass die Welt untergeht, wenn wir einmal zu oft atmen? Aber es geht nicht ums Klima, auch nicht um den Klimawandel, sondern um „die große Aufgabe, die Transformation“, um den Umbau der Gesellschaft also. Da Steinmeier kein Argument besitzt, keine Begründung dafür, muss so etwas wie ein göttlicher Auftrag her: „Diese große Aufgabe, die Transformation hin zu einer nachhaltigen Lebensweise auf unserem Planeten, die sucht kein Land, keine Regierung sich einfach aus.“ Nein, sie ist ihr gegeben. Von wem eigentlich?

Esoterischer geht es schwerlich, denn wer hat diese große Aufgabe formuliert und welche Regierung – außer der deutschen – versucht sie zu lösen? Frank-Walter Steinmeier erweckt irgendwie den Eindruck, als hätte die UN, als hätten die Regierungen der ganzen Welt, von Kabul bis Paris, von Teheran bis Washington, von Moskau bis Berlin beschlossen, „diese große Aufgabe, die Transformation hin zu einer nachhaltigen Lebensweise auf unserem Planeten, die … kein Land, keine Regierung sich einfach“ aussucht, anzupacken.

Reden wir über Demokratie. Man kann der Ansicht sein, dass ein menschengemachter Klimawandel uns dazu zwingt, eine „klimaneutrale Gesellschaft“ zu errichten, man kann auch der Meinung sein, dass die Transformation zur klimaneutralen Gesellschaft zu einer grünen Kommandowirtschaft, zum Abbau von Freiheit und Demokratie, von Wohlstand und Gerechtigkeit führt, man kann für seine Ansichten um Mehrheiten werben, schließlich – nur zur Erinnerung – sollte letztlich nicht die politische Klasse, sondern der Souverän, laut Grundgesetz das „deutsche Volk“, entscheiden, welche Entwicklung unsere Gesellschaft nimmt. Das nennt man Demokratie.

Aber der Bundespräsident hat weder das Recht, diese politischen Richtungen zu beurteilen noch zu bekämpfen, er hat nicht das Recht, die politische Vorstellung, die seinem Denken entspricht, als „demokratisch“ zu loben, und die, die nicht seinem Denken entspricht, als „undemokratisch“ zu brandmarken, der Bundespräsident hat die Pflicht, neutral zu sein. Er hat nicht das Recht, Bürger mit anderen politischen Ansichten auszugrenzen. Er hat die Pflicht, die Freiheitsrechte zu verteidigen, nicht ihre Aussetzung abzunicken. Die Verteidigung der Demokratie ist nicht an eine Ideologie oder eine „große Aufgabe“ gebunden, sondern an das Grundgesetz. Der Bundespräsident irrt, wenn er meint: „Aber es gibt eine rote Linie und die verläuft bei Hass und Gewalt.“ Die rote Linie wird für ein Staatsorgan nicht von einer willkürlichen Empfindung, sondern vom Recht, vom Grundgesetz gezogen.

Keine Bundespräsidentenwahl
Steinmeier oder die peinliche Veranstaltung einer verängstigten Demokratie
Frank-Walter Steinmeier will Brücken bauen, „Brücken zwischen den Generationen; zwischen den Alteingesessenen und denen, die neu hinzukommen; Brücken zwischen Start-Up und Hochofen; zwischen Großstadt und plattem Land; zwischen den Gesprächen in der Kneipe und denen in Brüssel und Berlin.“ Warum will er keine Brücken bauen zwischen den politischen Lagern? Warum will er keine Brücken bauen zwischen denen, die spazieren gehen, und denen, die rote Karten zeigen wollen? Warum glaubt er, dass er Brücken bauen muss zwischen den Generationen? Ich sehe keinen Generationenkonflikt, dafür aber diejenigen, die einen Generationenkonflikt politisch benötigen. Ich sehe auch keinen Konflikt zwischen „Großstadt und plattem Land“. Auch wenn man im politischen Berlin womöglich glaubt, dass das platte Land gleich hinter der Bezirksgrenze von Berlin Mitte beginnt.

Es ist schade und für das Land nicht gut, wenn der Bundespräsident nur mit denen sprechen will, die für die große Transformation sind, wenn er Gräben in den Wissenschaften und in den Medien aufreißt, zwischen denen, die seiner Meinung entsprechen, und denjenigen, die eine andere Meinung haben, übrigens auch eine andere wissenschaftliche Expertise. Denn die Thematik des Klimawandels ist weit komplexer, als diejenigen mit großer medialer Unterstützung darstellen, die nur nach Argumenten für den Gesellschaftsumbau suchen. Die Vorsitzende der Grünen Partei hat durchaus das Recht zu äußern, dass wir in Deutschland den Luxus hätten, nicht mehr mit Klimaleugnern diskutieren zu müssen, doch ein Bundespräsident sollte nicht in die Nähe einer solchen Äußerung kommen.

Wenn Steinmeier zwischen den „freien Medien“ und den „freien Wissenschaften“ und den anderen unterscheidet, dann wird er leider das ehemals großartige Adjektiv frei in ein Synonym für staatlich verwandeln. Und damit würde er letztlich nicht einmal den Medien und den Wissenschaften, die er als frei tituliert, gerecht werden. Dass in seinem Sprachgebrauch in der Tat frei ein Synonym für staatlich oder staatsnah ist, dokumentiert er, wenn er staatliche Institutionen, staatliches Handeln auf einer Bedeutungs- und auf einer Funktionsebene mit der freien Wissenschaft und den freien Medien ansiedelt, wenn freie Wissenschaft und freie Medien zu Institutionen des Staates werden und zu seiner Handlungsfähigkeit zählen: „Gegner der Demokratie, von außen und von innen, säen in der Pandemie Zweifel an unserer Handlungsfähigkeit und unseren Institutionen, an der freien Wissenschaft und den freien Medien.“

Möglich, dass der Bundespräsident die für ihn richtigen Lehren aus seiner Wiederwahl gezogen hat – für das Land, für unsere Republik allerdings wären sie die falschen.

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Kommentare ( 106 )

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Nibelung
2 Jahre her

Der versteckte Eitle glaubt noch immer er sei Mitglied des Kabinetts und so verhält er sich auch, weil er noch nicht so richtig begriffen hat, daß seine Aufgaben nur noch repräsentativer Natur sind und dann ist er auch noch so vermessen der Präsident aller Deutschen zu sein und wenn man die vielen Kommentare die letzten Jahre zu seiner Person und seinem Handeln sieht, kann das nicht stimmen und diese Art der Propaganda liegt den Roten ja im Blut, weil sie sonst nicht viel vorzuweisen haben und wie sagte Adenauer sinngemäß so schön, sie können nur nehmen und verteilen, etwas zu… Mehr

Till Kinzel
2 Jahre her

Was bei diesem Herrn nicht Framing ist, ist Propaganda – und andersherum. Und alles immer mit moralinsaurer Sauce überzogen.

Lee Bert Aire
2 Jahre her

Er bestätigt mit der Prognose, dass es nach Corona den gleichen Widerstand gegen den Klima-Irrsinn gebe werde, meine Befürchtung. Es wird auch nach Corona nicht aufhören. Es geht mit gleichen Repressalien gegen die Bevölkerung weiter Nur mit einem anderen Thema.

Konservativer2
2 Jahre her

Passt doch ins Bild. Während der begriff der „Demokratie“ in allen Abwandlungen mittlerweile inflationär eingesetzt wird, wuchern die Denk- und Sprechverbote. H. Steinmeier ist der erste Bundespräsident, von dem ich mich angegriffen fühle, er wird aber als der große Einer verehrt. Ganz offensichtlich bin ich mittlerweile zu doof für diese Republik.

F.Peter
2 Jahre her

Die Linken haben doch immer schon bestimmt, was richtig und was falsch ist. Und wenn man die Definition selbst festlegen kann und sich daran entlanghangelt, dann ist man immer im Recht. So auch unser Bundespräsident, der ja nicht nur selbst definiert, was er für Demokratie hält sondern auch, was Hass und Hetze ist!

Ohanse
2 Jahre her

Ich hatte Steinmeier bewußt nicht die Gelegenheit gegeben, mir seinen Text vorzulesen und meine Zeit zu verschwenden. Dass da nichts Wertvolles kommen würde, war erwartbar. Aber dass es so einfältig geworden ist, das überrascht mich nun doch noch ein bisschen.

Lizzard04
2 Jahre her

Danke für die aufklärende Analyse des Phrasentextes unseres Staatsoberhauptes. Da man davon ausgehen muss, dass er es so sagt, wie er es auch wirklich meint, bestätigt sich ein weiteres Mal, dass dieses Land mittlerweile in den Händen einer zutiefst undemokratisch denkenden und handelnden politischen „Elite“ gelandet ist. Die wahren Demokratiefeinde sind genau jene, die sich ständig selber als (lupenreine) Demokraten bezeichnen und im gleichen Atemzug anders und kritisch denkende Bürger dieses Landes pauschal als Rechte usw. denunzieren und dabei fortlaufend die demokratischen Strukturen sowie mit Hilfe willfähriger Medienvertreter unterwandern und zerstören. (Dabei geht es in erster Linie um die staatlichen… Mehr

puke_on_IM-ERIKA
2 Jahre her

Man muss es als das betrachten, was es ist: Ein verfrühter schlechter Beitrag zum Fasching.

Aqvamare
2 Jahre her

Bei welcher demokratischen Wahl durch den Bürger wurde Steinmeier bisher direkt in Amt und Würden gewählt?

Steinmeier profitiert wie so viele in Berlin vom Direktmandat Tourismus und der Hilflosigkeit der Ämter durch den direkten Zugriff der Partei en auf diese.

puke_on_IM-ERIKA
2 Jahre her

Der Bundesspalter ist eine totale Fehlbesetzung- wer nach einer herbeigezogenen Hetzjagd zu einem Konzert mit einer linksradikalen gewaltverherrlichenden Band einlädt, hat mit Demokratie und Versöhnung nichts am Hut- eher mit Verhöhnung rechtschaffener Bürger.

Eine daherfabulierte Gewalt bekämpfen mit einer Band, deren Sänger sich mit Gewalttaten rühmen- etwas sehr schräger Humor eines üppigst dotierten Landes-Repräsentanten, der offensichtlich seine Stellenbeschreibung nicht verstanden hat und lieber linksradikale demokratiezrrsetzende Agitation betreibt. #notmypresident

Last edited 2 Jahre her by puke_on_IM-ERIKA