Frank-Walter Steinmeier (67, SPD-Politiker mit „ruhender“ Parteimitgliedschaft), zweimal vier Jahr lang Merkels Außenminister (2005 – 2009 und 2013 – 2017) und von ihr ins Bellevue befördert, hat seine vormalige Kabinettschefin Merkel (68, offiziell CDU) nun also zur Säulenheiligen erhoben. In der ihm eigenen Melange aus rhetorischem Leerlauf, Plattitüden (etymologisch korrekt: „Wortfladen“), viel „Friede, Freude, Eierkuchen“ und jeder Menge egozentrischer Projektionen zeichnete der Bellevue-Hausherr Merkel am Montagabend mit dem allerhöchsten Orden der Republik aus: dem „Großkreuz in besonderer Ausführung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Diese Auszeichnung hatten bislang nur Helmut Kohl (1998) und Konrad Adenauer (1954) bekommen.
Auf Steinmeiers Begründung für den Merkel-Orden musste man nicht gespannt sein. Eher konnte man rätseln, wie peinlich und geschichtsklitternd die am Ende 3.056 Wörter umfassende Rede werden würde. Wörter – „Worte“ gab es wohl eher nicht.
Greifen wir ein paar dieser Wortfladen heraus: beispiellose Politikerin, wollte nie im Mittelpunkt stehen, selbstbestimmter Abschied, immer vom Ende her denkend, naturwissenschaftlich rational, faktenorientiert, Deutschland zu wirtschaftlichem Erfolg verholfen, der Geißel der Arbeitslosigkeit den Schrecken genommen, 2014 bis zur Erschöpfung gegen eine Ausweitung des Krieges gekämpft, den Euroraum gerettet, das jüdische Leben in Deutschland geschützt. Und dann auch noch der entlarvende Satz: Vor allem die Rettung des Euro stelle Merkel „ganz erkennbar in die Tradition von Helmut Kohl …“ Hier kommt der Name Kohl immerhin vor. Dass Merkel mit offenen Grenzen zigtausendfachen Antisemitismus importiert hat; dass Deutschland in der UNO häufig anti-israelischen Resolutionen zugestimmt hat … – „so what“. Schließlich war Steinmeier ja acht Jahre lang selbst Deutschlands Chefdiplomat, auch in der UNO, und vor den Machthabern etwa im Iran hat er mit Glückwunschschreiben gerne auch den Kotau gemacht.
Den Namen Adenauers, des ersten Trägers des Großkreuzes in besonderer Ausfertigung, den Vater der Westbindung und Wiederbegründer des deutschen Ansehens in der Welt, bringt Steinmeier nicht über die Lippen. Und dass Merkel Helmut Kohl, den Vater der deutschen Einheit und ihren Ziehvater abservierte und ihm die CDU-Ehrenmitgliedschaft nahm, wird Steinmeier bis heute mit Genugtuung erfüllen.
Kurz: Steinmeiers Rede sagt über den Redner mindestens so viel aus wie über die Geehrte. Vor allem eint die beiden, den Lobredner und die Gelobte, ein wahrlich schräges, zumindest naives Verhältnis zu Russland. Merkel war zwar kein Mitglied der Moskau-Hannover-Connection. Aber Steinmeier war es über Jahrzehnte hinweg. Und was hier alles abgelaufen ist und eingefädelt wurde, haben die beiden FAZ-Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner ja mikrochirurgisch dargelegt mit ihrem jüngst erschienenen Buch „Die Moskau-Connection“. Steinmeier war hier hinter Gerhard Schröder die maßgebliche und koordinierende Kraft – als Chef der Staatskanzlei in Hannover und als Chef des Bundeskanzleramtes – jeweils unter Schröder.
Zudem hat der Bundespräsident in seiner Laudatio auf Merkel im Grunde alle Klischees ausgebreitet, die eine willfährige Akklamations- und Apportier-Presse, inklusive Regenbogenpresse, über die angeblich „mächtigste Frau der Welt“ jahrelang konstruierte und jetzt mit einem Heiligenschein umgibt. An ihrem Amtseid jedenfalls wurde Merkel noch nie gemessen.
Zur Erinnerung, er lautet: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. (So wahr mir Gott helfe.)“ Die größten Verirrungen Merkels haben wir bereits hier aufgelistet.
Übrigens: Wie sehr Merkel das Land immer noch spaltet, sieht man an den Ergebnissen einer Umfrage. Bild fragte nach der Einschätzung Merkels. Mögliche Antwort 1 war: „Ja, sie hat viel für unser Land getan.“ Mögliche Antwort 2 war: „Nein, sie reicht nicht an Kohl und Adenauer heran.“ Für Antwort 1 waren von den rund 250.000 Antwortenden 33 Prozent, für Antwort 2 die anderen 66 Prozent. Wobei man sich schon fragt, warum hier nicht klipp und klar nach den Schäden Merkel’scher Politik gefragt wurde.
Abschließend fragen wir uns: Was ist das, wenn eine Bundesregierung mit der Atomenergie eine Schlüsseltechnologie verbietet (2011 von Merkel begonnen) und die Deindustrialisierung Deutschlands vorantreibt? Was ist das, wenn eine CDU-Kanzlerin Angela Merkel jetzt von den Vorsitzenden der SPD und der „Grünen“ für ihre Hinterlassenschaften gerühmt wird? Was ist das, wenn eine Regierungschefin, die Deutschland mehr als jeder andere in dieser Position geschadet hat, die allerhöchste Ehrung dieser Republik erfährt? Was ist das für ein Land, das sich ein solches – vom Volk allerdings nicht gewähltes – Staatsoberhaupt leistet? Ist das nicht ein Stück verkappter, autoaggressiver Nationalmasochismus? Aber das müssen Tiefenpsychologen beantworten.