Staatsstreich in der Türkei – die Nato hat ein Demokratie-Problem

Die Nato hat ein Problem mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Nach den skandalösen Vorgängen im EU-Staat Rumänien passiert nun in der Türkei, was die Opposition einen „Putschversuch“ nennt. Die Justiz spielt dabei den Handlanger der Politik.

picture alliance / Sipa USA | Depo Photos

Die türkische Justiz hat den Bürgermeister von Istanbul Ekrem İmamoğlu verhaftet. Die Vorwürfe sind ein wüstes Konstrukt aus Betrug, Terror-Unterstützung und formellen Fehlern beim Wechsel des Studienplatzes. Die türkische Justiz scheint nach dem Prinzip vorzugehen, wenn wir Ekrem İmamoğlu genug vorwerfen, wird sich irgendwas schon nicht widerlegen lassen. Und falls doch, kann der Oppositionelle so lange in Haft sitzen, bis er politisch unschädlich ist – so wie es die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit dem Organisator von Corona-Demonstrationen, Michael Ballweg, getan hat.

Ekrem İmamoğlu ist der gefährlichste politische Gegner des amtierenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Dessen AKP ist bei der letzten Kommunalwahl die Führungsrolle verloren gegangen. Die großen Städte wie Istanbul gehören seitdem der Partei von Ekrem İmamoğlu, der sozialdemokratischen CHP. Die wollte ihn an diesem Wochenende zu ihrem Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahl 2028 machen. Zu der dürfte Erdoğan eigentlich gar nicht mehr antreten. Doch wer politische Konkurrenten verhaften lassen kann, der kann auch ratzfatz eine Verfassung ändern.

“Unsere Demokratie” am Bosporus
Erdogans Konkurrent verhaftet – Türkei macht sich fit für die EU
Der Angriff Erdoğans auf Ekrem İmamoğlu erfolgt auf allen Ebenen. Zuerst nahm die Uni dem Bürgermeister seinen Uni-Abschluss wegen angeblicher Unstimmigkeiten bei einem Wechsel des Studienplatzes vor drei Jahrzehnten. Dann erfolgte die Verhaftung, und nun hat die Staatsanwaltschaft die Kontrolle über Ekrem İmamoğlus Baufirma „Construction“ übernommen. Zeitgleich mit Ekrem İmamoğlu sind 100 weitere Anhänger verhaftet worden, darunter auch Bürgermeister osttürkischer Städte. Auch hier wegen einer wilden Mischung aus Terror-,  Betrugsvorwürfen und irgendwas, was sich schon nicht so schnell widerlegen lassen wird.

Die CHP spricht nun von einem „Putschversuch gegen unseren nächsten Präsidenten“. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat die Festnahme immerhin als „äußerst besorgniserregend“ bezeichnet. Von „Zeit der Ruchlosigkeit“ hatte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gesprochen – allerdings nicht im Zusammenhang mit der Türkei. Sondern mit Donald Trump. Baerbock will sich demnächst von der Visagistin der Vereinten Nationen hübsch machen lassen. Da kritisiert man islamische Länder besser nicht. Sondern schickt wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) dem iranischen Terrorregime Glückwünsche zum Jubiläum des Staatsstreiches. Zuhause kann man ja erzählen, das sei nur ein blödes, blödes Missverständnis gewesen. Oder man streicht der UNRWA nicht die deutschen Gelder, bloß weil aus ihren Gebäuden die Kindermörder, Vergewaltiger und Leichenschänder der Hamas gekrochen sind. Baerbock hat es sogar geschafft, ihnen dafür noch die Gelder zu erhöhen.

In Istanbul haben die Behörden ein Demonstrationsverbot verhängt. So wie die deutschen Behörden zur Pandemie-Zeit. Doch in Istanbul und Ankara setzen sich tausende Menschen über dieses Verbot hinweg und wehren sich gegen den Putsch von oben. Danach kam es zu Festnahmen. Zudem hat der Staat kritische Medien sperren lassen, wie das Netzwerk X. Etwas, das die EU auch für ihren Machtbereich plant. Doch was von der Leyen in der Türkei als „äußerst besorgniserregend“ empfindet, ist in ihrem eigenen Verantwortungsbereich der Kampf gegen Hass und Hetze beziehungsweise Fake News. Sprachliche Hoheit. So wichtig.

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hat der amerikanische Vizepräsident JD Vance der EU ins Gewissen gesprochen. Sie stelle Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Frage. Das stelle die gemeinsame Wertebasis in Frage. Nun tut der türkische Nato-Partner Ähnliches wie in Rumänien: In dem EU-Land erklärte erst ein Gericht die Wahl eines der EU unangenehmen Kandidaten für nichtig und verhinderte dann dessen Antritt zur Wahlwiederholung über den Rechtsweg. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehen der Nato tatsächlich als gemeinsame Wertebasis verloren.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 28 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

28 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Ralf Poehling
1 Tag her

Da hat jemand sehr gut aufgepasst und etwas ganz entscheidendes gelernt. 😉

Satter Buerger
1 Tag her

Ein Blick in die nähere deutsche Zukunft…

DDRforever
2 Tage her

Der türkische Präsident tut einfach das Notwendige um an der Macht zu bleiben. Bald wird er „Unsere Demokratie“ sagen!

Alf
2 Tage her

Staatsstreich in der Türkei – die Nato hat ein Demokratie-Problem?
Was ist mit dem Putsch von oben in Schland?
Ach so, Merz ist wieder mal umgefallen.
Ist demokratisch. Man hat halt hart gerungen….

Aber die die heutige Meldung gehört auf Seite 1

666 Mio. pro Jahr für Sicherheitsdienste: Bundeswehr kann eigene Kasernen nicht bewachen

https://www.bild.de/politik/inland/private-sicherheitsdienste-bundeswehr-kann-kasernen-nicht-ueberwachen-67dad9f1559c903aae805116

Unsere Politdarsteller sollten sich in Grund und Boden schämen.
Und der BR soll morgen dem unsinnigen Schldenpaket dieser „Volksvertreter“ zustimmen?
Wir brauchen keine Aufrüstung, wenn die BW nicht mal die eigenen Kasernen bewachen kann.
Schande.

Danischmend
2 Tage her

Ich verstehe die Aufregung überhaupt nicht. Die Türkei übt doch nur für den EU Beitritt.

Aljoschu
2 Tage her

Es wird höchste Zeit, dass Erdogan aus der NATO rausfliegt. Er ist ein Despot, ein Kriegstreiber und islamistischer Terrorist.

DDRforever
2 Tage her
Antworten an  Aljoschu

Ein guter Mann der sagt wie es ist.

Meier2
2 Tage her

. . . und wo genau ist die Überraschung. Das System ist unter Druck geraten und zeigt seine wahre Fratze. Und nicht nur in Rumänien und der Türkei.

Berlindiesel
2 Tage her

Ich finde es schon ziemlich naiv, Rumänien und die Türkei als „Demokratien“ zu bezeichnen. Beziehungsweise, es kommt darauf an, was man unter „Demokratie“ überhaupt versteht. Nicht umsonst schreibt auch Mario Thurnes immer von „unsere Demokratie™“ wenn er die deutsche Demokratie meint. Generell haben wir in Europa zwei Ebenen von sog. Demokratie. Es gibt die alten Demokratien, die sich zu einer solchen schon vor Jahrhunderten, meist in der Frühphase der europäischen Aufklärung konstituierten in Abwehr von absolutistischen Monarchen. Sie benötigen eigentlich nicht wirklich ein umfangreiches Regularium an Verfassungen und juristischer Begleitung, da es sich um lange eingeübte Rituale handelt, die in… Mehr

Haba Orwell
2 Tage her
Antworten an  Berlindiesel

> Es gibt die alten Demokratien, die sich zu einer solchen schon vor Jahrhunderten, meist in der Frühphase der europäischen Aufklärung konstituierten in Abwehr von absolutistischen Monarchen.

Das bringt keine Garantie, dass es nicht schon wieder totalitär wird. In den 1930er Jahren ging es ganz schnell. Soll etwa „Wollt ihr den totalen Krieg?“ als ergebnisoffene Umfrage gelten? (Heute übrigens wieder topaktuell.)

Berlindiesel
2 Tage her
Antworten an  Haba Orwell

Diese Frage wurde nie in einer „alten“ Demokratie gestellt. Und Krieg wird auch immer geführt werden. Der Mensch ist nicht für eine Welt des Friedens gemacht. Die heutige Welt (woke, links, westlich), die ja auch Sie ablehnen, ist eine Welt des Friedens, die nur in einer langen Phase der Kriegslosigkeit entstehen konnte. Im Grunde müssten alle Friedenshuber von heute Bellizisten sein und die Kriegsfreunde Pazifisten.

Haba Orwell
2 Tage her

Soll die türkische Dysotopie trösten? Böses Medium bringt heute den Artikel „Das Ahrtal und der innere Zerfall Deutschlands“ – die Bahn im Ahrtal nach vier Jahren längst nicht wiederaufgebaut; die Dresdner Carolabrücke wird es vielleicht nie. Dennoch lenkt die Obrigkeit mit massiver Kriegshetze ab – wird man wie unter Stalin verhaftet, wenn man bloß nicht laut genug jubelt?

Ich bin nicht sicher, ob die Türkei so viel Dekadenz, Zerfall und Dysfunktionalität erlebt.

Memphrite
2 Tage her

„Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hat der amerikanische Vizepräsident JD Vance der EU“ => Diese absolute Scheinheiligkeit der USA ist nur noch ekelerregend. Es ist die USA die seit 1945 unzählige demokratisch gewählte Regierungsvertreter durch diverse „Terror-Putsch-Regime“ ersetzt hat. Der Iran ist das beste Beispiel. Die USA sind der größte Terrorstaat auf diesem Planeten, jeder der nicht nach deren Pfeife tanzt wird vernichtet. Jetzt wurde wieder der Jemen bombardiert. Natürlich sind die US-Militärs nicht Manns genug gegen die Jemenitischen Kämpfer anzutreten. Nein man macht auf die US-Art indem man mutig gegen Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder vorgeht und mal einige… Mehr

DDRforever
2 Tage her
Antworten an  Memphrite

Die Huthi sind elende Verbrecher und sonst gar nichts. Da ist jedes Mittel richtig und die USA haben viel zu lange einfach zugesehen.