Tichys Einblick
Nach der EU-Wahl

Bürgergeld, Migration oder Kampf gegen Rechts – die SPD will mehr von Bisher

Die SPD berät sich in diesen Tagen, welche Lehren sie aus der Niederlage bei der EU-Wahl zieht. Das Ergebnis zeichnet sich bereits ab: mehr von bisher. Damit werden die Sozialdemokraten weitere Latten reißen.

picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

Rolf Mützenich hat gefordert, dass die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz sozialdemokratische Interessen stärker wahrnehme. In diesem einen Satz steckt die gesamte Krise der SPD. Gar nicht mal so sehr, weil Fraktions-Chef Mützenich wie ein Franz Müntefering auf Valium wirkt. Oder weil halt Olaf Scholz Kanzler ist. Sondern weil die SPD denkt, mit mehr von Bisher aus der Krise zu kommen. Statt einzusehen, dass das Bisher zu den Problemen geführt hat.

Zu den Problemen des Landes wie der Partei. In 22 der letzten 26 Jahren war die SPD an der Bundesregierung beteiligt, hat diese sozialdemokratische Interessen wahrgenommen. Das Ergebnis: Der Staat knüpft dem Bürger so viel von seinem Lohn ab wie noch nie. Trotzdem droht die Überschuldung und sind Straßen, Schienen oder Netzempfang in einem erbärmlichen Zustand. Ganz im Interesse der SPD wuchert der öffentliche Dienst aus und wird immer stärker in Relation zur privaten Wirtschaft. Auch weil der Staat dieser privaten Wirtschaft unter der SPD mit hohen Steuern und Abgaben die Luft zum Atmen nimmt.

Das Geld fließt ins Soziale. Etwa ins Bürgergeld. Da hatte Arbeitsminister Hubertus Heil versprochen, der Staat werde Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose aufheben. Dieser Schritt nehme ihnen die Scham, motiviere sie, sich weiterzubilden und das wiederum mache aus ihnen gefragte Fachkräfte. Was für eine Vision. Was für ein Scheitern vor der Realität. Trotz „Arbeitskräftemangels“ steigt die Zahl der erwerbsfähigen Empfänger von Bürgergeld auf über 4 Millionen Menschen. Folglich gehen dem Staat die Kosten aus dem Ruder. Von zehn Milliarden Euro zusätzlichen Kosten ist die Rede. Vorerst.

Als Konsequenz aus der verlorenen EU-Wahl will die SPD nun Härte zeigen und kommt mit folgendem Vorschlag um die Ecke: Wer als Empfänger von Bürgergeld bei Schwarzarbeit erwischt wird, soll künftig nicht nur übers Strafrecht sondern auch über den Empfang von Bürgergeld bestraft werden. Das muss man mal eine Sekunde sacken lassen: Bisher konnte man 563 Euro Bürgergeld im Monat erhalten, gratis wohnen und heizen, weil man keine Arbeit hatte, aber nebenher unangemeldet arbeiten. Erwischte einen der Staat dabei, erhielt der Betrüger trotzdem weiterhin 563 Euro, gratis Wohnung und Heizen. Das Gesetz dazu verantwortet Hubertus Heil. Oder wie Mützenich sagen würde: Heil hat sozialdemokratische Interessen vertreten.

Jetzt will die SPD also Härte zeigen. Wird ein Empfänger bei der Schwarzarbeit erwischt, soll er für zwei Monate das Bürgergeld verlieren. Aber nur die 563 Euro. Die Wohnung und die Heizung bezahlt der Steuerzahler dem arbeitenden Langzeitarbeitslosen weiter. Das versteht die SPD unter Härte zeigen. Wenn der Schwarzarbeiter auf Kosten des regulär Arbeitenden weiter kostenlos wohnt. Das sind in der Bundesregierung vertretene sozialdemokratische Interessen. Vor allem aber ist das mehr von Bisher. Die Strategie der SPD.

Nach 13,9 Prozent bei der EU-Wahl wird die SPD nun härter angegangen. Sogar von öffentlich-rechtlichen Journalisten. Der Auftritt der Vorsitzenden Saskia Esken in der Lanz-Show war der beste Werbeauftritt – für alle anderen Parteien. Selbst der Deutschlandfunk wagt jetzt kritische Fragen, konfrontiert Esken mit einem ihrer Vorgänger im SPD-Vorsitz, mit Sigmar Gabriel. Der meint, die SPD sei die Partei der Arbeitnehmer, nicht der Sozialhilfenehmer. Diesem Anspruch werde Heils Bürgergeld nicht gerecht.

Die arbeitende Mitte habe immer schon im Mittelpunkt der SPD gestanden, behauptet Esken kess. Als eine der Lehren aus der verlorenen Europawahl solle der Staat mehr Geld in die Hand nehmen, um der Mitte die Arbeitsplätze zu sichern. Denn die arbeitende Mitte stehe im Mittelpunkt, sagt Esken. Doch damit meint sie nicht bessere Straßen oder Schienen, um zur Arbeit zu kommen. Auch meint sie nicht niedrigere Preise, damit die Löhne mehr wert sind. Und schon gar nicht denkt Esken daran, der Mitte die Steuerlast zu senken. Im Gegenteil. Sie will mehr staatliche Einnahmen, um diese in die Wirtschaft zu investieren. Ein schlauer Spruch sagt: „Ich suche keine Arbeit, ich suche ein Einkommen.“ Esken verkehrt das ins Gegenteil. Sie verspricht den Arbeitnehmern, sie könnten weiter arbeiten, würden aber noch weniger davon haben – und damit denkt die SPD-Vorsitzende tatsächlich, sie würde deren Interessen vertreten.

Wobei Esken in einem Politikfeld recht behält: In der Innenpolitik steht die arbeitende Mitte tatsächlich im Fokus der SPD. Innenministerin Nancy Faeser hat diese Mitte ausdrücklich als anschlussfähig für Rechtsextremismus bezeichnet und hat ihr mit diesen Worten den Krieg erklärt. Unter Faeser ist die Polizei damit überfordert, Messerattacken zu unterbinden – aber sie stürmt Kindergeburtstage, entert Autos und inhaftiert 15-Jährige, wenn die das falsche Lied anstimmen. Döp dödö döp. Unter Faeser gehört es zu sozialdemokratischen Interessen, der Mitte den Krieg zu erklären, sie aber angesichts zunehmender Gewalt – vor allem der mit dem Messer – im Stich zu lassen.

Auch bei Karl Lauterbach steht die arbeitende Mitte im Mittelpunkt. Seit der Gesundheitsminister wurde, ist noch kein Jahr vergangen, in dem die Krankenkassen den Beitrag nicht erhöht haben. Wobei es nicht so wäre, dass sich nichts ändert. Im kommenden Jahr wird der Beitrag voraussichtlich noch viel stärker steigen als bisher. Mehr von Bisher ist auch da sozialdemokratische Interessenwahrnehmung. Das gilt ebenfalls für den Pflegebeitrag, den Lauterbach bereits drastisch erhöht hat und für den er bereits eine weitere Erhöhung angekündigt hat. Kommt noch die Rente dazu. Für die ist mit Heil ein anderer Sozialdemokrat zuständig. Also steigen auch hier die Beiträge. Zumindest, wenn sich Scholz wie geplant in der Rentenreform mit sozialdemokratischen Interessen durchsetzt.

Bliebe noch die Einwanderung. Für die bräuchte das Kanzleramt unter Scholz zwei neue Mäste. Einen für die rote Fahne. Die wird gehisst, wenn der Kanzler gerade zusammen mit den Ministerpräsidenten mehr Remigration fordert. Einen für die grüne Fahne. Die wird gehisst, wenn der Kanzler zusammen mit Faeser, Grünen und den Medien all die als Staatsfeinde verfolgt, die mehr Remigration fordern. Faktisch passiert nichts. Zumindest nicht im Berliner Regierungsviertel. Vor Ort quellen die Asylheime über, steigen die Kosten fürs Bürgergeld, sind Kitas und Schulen überlastet, gehen immer mehr lokale Wohnungsmärkte in die Knie und wächst der Anteil an Ausländern in der Statistik der Gewalttaten.

Generalsekretär Kevin Kühnert soll laut Medienberichten gefordert haben, dass Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellt. Das tun Kanzler dann, wenn ihnen die Situation droht, für ein wichtiges Thema die Mehrheit zu verlieren. Doch welches wäre das bei Scholz? Soll er die Vertrauensfrage stellen, damit er besser „im großen Stil“ abschieben kann? Oder damit er Faeser die verfolgen lassen kann, die selber mehr Abschiebungen fordern?

Scholz ist das Problem. Esken auch. Ebenso Kühnert. Oder der andere Parteivorsitzende, Lars Klingbeil. Der die sechs Millionen Morde der Nazis verharmlost, indem er sie als billige Metapher während peinlichen Auftritten missbraucht. Heil, Faeser oder Lauterbach sind das Problem. Oder Bauministerin Klara Geywitz, die mehr Wohnungen durch staatliches Engagement versprochen hat. Seitdem werden in Deutschland weniger Wohnungen gebaut. Oder Svenja Schulze. Die Ministerin für Entwicklungshilfe, unter deren Verantwortung Deutschland Radwege in Peru baut, die Millionen kosten, aber nur aus gelben Fahrbahnmarkierungen bestehen. Oder Klimaschutzprojekte in China, die es dann gar nicht gibt.

Einen Hoffnungsträger hat die SPD. Boris Pistorius. Der konnte damit punkten, dass er beim Amtseintritt ehrlich eingeräumt hat, dass Deutschland nicht verteidigungsfähig ist und seine Armee grundlegend reformiert werden müsste. Das ist anderthalb Jahre her. Allmählich ist es zu wenig, auf Probleme hinzuweisen. So langsam ist vom Verteidigungsminister zu erwarten, dass er Lösungen anbietet. Seine Idee der freiwilligen Wehrpflicht ist so eine SPD-Kopfgeburt, die nur in der nach Eigenmief stinkenden Berliner Käseglocke hält. In der Realität geht dieser Plan ein wie Sahneeis in der Sahara.

Das Problem der SPD ist das Personal. Ist das eingeschränkte Denken dieses Personals. Das lebt in einer Parallelwelt. Nur in dieser lässt sich erklären, dass eine Vorsitzende wirklich glaubt, es freut sich irgendwer im Land, wenn er mehr für weniger Geld arbeiten soll. Das Personal der SPD ist staatsverliebt. Es glaubt, der Apparatschik in der Wilhelmstraße wisse besser, wie der Fischfang aussehen müsse als der Fischer in Wilhelmshaven.

Deswegen zieht der Staat unter der SPD immer mehr Geld an sich. Umso mehr Projekte Sozialdemokraten dabei verbocken, desto stärker denken sie, es habe nur an Geld gefehlt und mit noch mehr Einsatz von Geld werde alles besser. Die Sozialdemokraten sind nicht nur arrogant und selbstverliebt, sie sind auch realitätsfern und lernresistent. Mit 13,9 Prozent sind sie daher noch gut bedient. Und mit dieser SPD sind 13,9 Prozent nicht die letzte Latte, die diese Partei reißen wird.

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